Bilder der Parade machen vor allem eines deutlich: Sicherheitsabstand spielte bei der Parade in Moskau offenbar keine wesentliche Rolle. Über 13.000 Soldatinnen und Soldaten marschierten im Zentrum auf – dicht an dicht und großteils ohne Schutzmasken. Dazu kommen über 200 gepanzerte Fahrzeuge und 75 Flugzeuge, wie BBC berichtet – und zwar von Einheiten aus mehreren Ländern der ehemaligen Sowjetunion, sowie aus China, der Mongolei und Serbien.
Und selbst ein paar Staatsoberhäupter nahmen an den Feierlichkeiten teil. Serbiens Präsident Aleksandar Vucic sah der Parade laut BBC ebenso zu wie der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko. Das Staatsoberhaupt von Kirgisistan, Sooronbai Dscheenbekow, musste in letzter Minute absagen – zwei Mitglieder der Delegation wurden positiv auf das Coronavirus getestet.
Zweittermin unter heiklen Bedingungen
Ursprünglich war die alljährlich abgehaltene Parade für den 9. Mai angesetzt – damals hätte die Gästeliste noch wesentlich imposanter ausgesehen, so hatten etwa Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Chinas Präsident Xi Jinping ursprünglich zugesagt. Doch aufgrund der Maßnahmen gegen das Coronavirus wurde die Parade verschoben.
Mittlerweile sind die Beschränkungen aufgrund des Virus in Moskau wieder gelockert. Doch die Situation scheint mit einem Blick auf die Zahlenlage noch nicht unter Kontrolle zu sein. Laut Daten der Johns-Hopkins-Universität liegt Russland weltweit an dritter Stelle bei den bestätigten Fällen.
Obwohl die Zahl der täglichen Neuinfektionen zurückgeht, wurden in den letzten Tagen immer noch über 7.000 neue Fälle binnen 24 Stunden gezählt. Und: Laut BBC sind Großveranstaltungen eigentlich immer noch verboten. Soldatinnen und Soldaten mussten sich vor dem Ereignis in Quarantäne begeben.
Verfassungsreferendum als möglicher Hintergrund
Doch für Präsident Putin geht es wohl nicht nur um den 75-jährigen Jahrestag des Kriegsendes, sondern auch um seine eigene Zukunft. Und deshalb spielt auch der Termin eine wesentliche Rolle: Denn schon ab Donnerstag kann in Russland online über die größte Verfassungsänderung der Geschichte abgestimmt werden, kommende Woche darf dann auch in den Wahlkabinen gewählt werden.
Die umfassende Änderung könnte Putin unter anderem den Weg ebnen, theoretisch bis 2036 im Amt zu bleiben – seine jetzige Präsidentschaft dauert noch bis 2024. Denn einer der Punkte, über den die Bevölkerung in Russland abstimmen muss, regelt die maximale Zahl der Amtszeiten für das Präsidentenamt – und schränkt diese eigentlich ein. Mit einem Kniff: Bisherige Amtszeiten fallen in der Neuregelung nicht ins Gewicht, somit könnte Putin zwei weitere Male an die Staatsspitze gewählt werden.
Machtdemonstration als Entscheidungshelfer
Eine große Parade, mit der Russland auch international die Muskeln spielen lässt, ist für Putin damit eine Gelegenheit, seine Position zu stärken. BBC verweist darauf, dass Putin damit auch den Geist der ehemaligen Sowjetunion beschwört und so etwa sowjetische Symbole aus der Zeit des Kalten Krieges wieder eingeführt hat, seit 2008 sind auch schwere Waffen wieder bei der Parade zu sehen. Auch der Ersatztermin ist wohl nicht zufällig gewählt: Am 24. Juni 1945 gab es die erste Militärparade nach Kriegsende.
„Es ist nicht möglich, sich vorzustellen, was mit der Welt passiert wäre, wenn die Rote Armee sie nicht verteidigt hätte“, sagte Putin auf dem Roten Platz. Er warnte auch vor Versuchen der Geschichtsfälschung. „Das Volk der Sowjetunion hat einen nicht wieder gutzumachenden Preis für die Freiheit Europas gezahlt.“ Die Menschen der Sowjetunion hätten die Hauptlast getragen, so Putin. 27 Millionen Tote zählte das Anfang der 1990er Jahre zerfallene Land im Zweiten Weltkrieg. Das sei die „Wahrheit über den Krieg“, die nie vergessen werden dürfe.
Opposition kritisierte Veranstaltung
Aus der Opposition wurde im Vorfeld der Veranstaltung Kritik an Putin laut, da die Parade abgehalten werde, während die Infektionszahlen in Russland immer noch stiegen. Der Regierung in Moskau wurde auch vorgeworfen, mit der Parade Werbung für die Verfassungsänderungen machen zu wollen. Hinzu kommt, dass die Kosten für die Parade enorm sind – laut einem dpa-Bericht kostet die Ausrichtung umgerechnet rund zwölf Millionen Euro. Laut dem Kreml-Kritiker Alexej Nawalny komme das den Staat teuer zu stehen, zitiert die dpa den Oppositionsführer.
Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin forderte unterdessen im Vorfeld die Einwohnerinnen und Einwohner auf, zu Hause zu bleiben und sich die Parade stattdessen im Fernsehen anzusehen. Dennoch waren nach Berichten Zehntausende Schaulustige auf den Straßen, um das Geschehen mitzuverfolgen. Auch in anderen Städten wurden laut BBC Paraden abgehalten – allerdings etwa in Wladiwostok ohne Publikum. Manche Städte sagten die Feierlichkeiten ganz ab.
Putin zu Kandidatur: „Schauen wir mal“
Die nächste Großveranstaltung ist nun das Referendum über die Verfassungsänderung selbst. Am nächsten Mittwoch wird in den Wahllokalen abgestimmt – auch das könnte im Hinblick auf das Coronavirus wohl eine Herausforderung werden. Dann entscheidet sich jedenfalls, ob die von Putin angestoßene Änderung der Verfassung durchgeht. Er selbst wollte am Wochenende nicht ausschließen, für weitere Wahlen zu kandidieren: „Ich schließe die Möglichkeit nicht aus, zu kandidieren, wenn es die Verfassung möglich macht. Schauen wir mal.“