Einsatzkräfte der Polizei in Schutzausrüstung stehen vor einer Absperrung an einem Wohngebäude in Göttingen (Niedersachsen)
APA/dpa/Swen Pförtner
Coronavirus

Lokale „Lock-downs“ gegen zweite Welle

Die Coronavirus-Pandemie hat auch der Weltwirtschaft schwer zugesetzt. Im Falle einer zweiten Welle droht weiteres Ungemach. Um einen neuen großflächigen Ausbruch der Krankheit und den damit einhergehenden wirtschaftlichen Stillstand zu vermeiden, setzen viele Länder daher auf lokale Maßnahmen.

Die Weltwirtschaft wird dieses Jahr nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) wegen der Coronavirus-Krise noch viel stärker schrumpfen als ohnehin schon gedacht. Die Welt erlebe in diesem Jahr „die schlimmste Rezession“ seit der Weltwirtschaftskrise vor rund 90 Jahren, sagte IWF-Chefvolkswirtin Gita Gopinath. „Kein Land bleibt verschont“, so die Ökonomin. Die Krise bedeute auch einen „katastrophalen Schlag“ für den Arbeitsmarkt.

Für kommendes Jahr erwartet der IWF eine Erholung der Wirtschaft in einigen Ländern; allen voran in China, jenem Land, in dem die Pandemie ihren Ausgang nahm. Eine zweite Welle könnte den sanften Aufschwung zunichte machen und die wirtschaftliche Krise weiter verschärfen. Entsprechend erpicht sind jene Länder, die den ersten Ausbruch der Erkrankung überstanden haben, darauf, eine zweite Welle und einen damit einhergehenden neuerlichen kompletten „Lock-down“ zu verhindern. Im Vordergrund steht das rasche Aufspüren und Eindämmen neuer Infektionscluster.

Infektionscluster in deutscher Fleischfabrik

Auf lokaler Ebene wurden dazu teils drastische Maßnahmen ergriffen. Nach dem Coronavirus-Ausbruch in einem Werk des deutschen Fleischkonzerns Tönnies in Nordrhein-Westfalen (NRW) wurde ein strenger „Lock-down“ für die Kreise Gütersloh und Warendorf verhängt. Ausreisen ist zwar nach wie vor möglich, allerdings sprachen andere deutsche Bundesländer bereits ein Beherbergungsverbot für Urlaubsgäste aus den betroffenen Bezirken aus. Österreich erließ eine partielle Reisewarnung für NRW. Die Kärntner Landesregierung appellierte an Touristinnen und Touristen aus den betroffenen Regionen, ihren Urlaub zu verschieben.

Eine Gemeindemitarbeiterin reicht in Gütersloh einer Frau im Lock-down eine Windelpackung über den Zaun
APA/AFP/Ina Fassbender
Deutschland versucht mit lokalen Sperren eine zweite Welle zu verhindern

Für Kontroversen sorgte das Vorgehen der deutschen Behörden im Fall eines Infektionsclusters in Göttingen. In der deutschen Universitätsstadt wurde ein gesamter Hochhauskomplex nach einem CoV-Ausbruch mit 700 Bewohnerinnen und Bewohnern für eine Woche unter Quarantäne gestellt. Das Gebäude und seine Umgebung wurden mit Bauzäunen abgeriegelt. Vergangenes Wochenende versuchten mehrere Bewohnerinnen und Bewohner, die Sperre zu überwinden. Es kam zu Tumulten, bei denen acht Einsatzkräfte der Polizei verletzt wurden.

„Lock-down“ im Großraum Lissabon

Auch in Portugal setzen die Behörden im Kampf gegen die Pandemie auf lokale Maßnahmen. Wegen einer Zunahme der Coronavirus-Infektionen müssen weite Teile des Großraums Lissabon mit 1. Juli zwei Wochen lang wieder in den „Lock-down“. Die Bewohner und Bewohnerinnen der 19 betroffenen Gemeinden würden nur noch aus dem Haus gehen dürfen, um Einkäufe zu tätigen, zur Arbeit zu fahren bzw. einen Arzt aufzusuchen. In dieser Zeit werden dort nur Versammlungen von maximal fünf Personen zulässig sein. Die Bezirke im Zentrum Lissabons sind nicht betroffen.

Maskenkontrolle in einer Bahnhofshalle in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon
Reuters/Rafael Marchante
Maskenkontrolle in der Lissaboner U-Bahn im Mai: Weite Teile des Großraums um die portugiesische Hauptstadt gehen in den „Lock-donw“-Modus

„Die einzige wirksame Form, die Pandemie unter Kontrolle zu bringen, ist, dass die Menschen so lange wie möglich zu Hause bleiben und stets die soziale Distanz sowie alle Schutz- und Hygienestandards einhalten“, sagte Ministerpräsident Antonio Costa. Die Region Lissabon ist seit Kurzem mit knapp 18.000 Infektionsfällen erstmals seit Ausbruch der Pandemie der am schwersten betroffene Teil des Landes. Bisher war es der Norden gewesen.

Gemeinde in Süditalien zur Sperrzone erklärt

In Süditalien sorgt ein Infektionsherd, der in einer Gemeinde in der Region Kampanien ausgebrochen ist, für Spannungen. Die Gemeinde Mondragone wurde zur Sperrzone erklärt, nachdem rund 50 Personen mit SARS-CoV-2 in fünf Wohngebäuden lokalisiert wurden, in denen zum Großteil bulgarische Migrantinnen und Migranten leben.

19 Menschen wurden in ein Krankenhaus eingeliefert, doch die anderen positiv getesteten Personen weigerten sich. Einige von ihnen tauchten unter. Das löste Sorge unter der Bevölkerung Mondragones aus, die eine Ausbreitung der Infektion befürchten. Um die Wohngebäude wurde eine Sperre errichtet. Einige Bewohnerinnen und Bewohner bewarfen die Sicherheitskräfte mit Gegenständen, berichteten lokale Medien.

Auch die norditalienische Stadt Bologna befürchtet eine neue Infektionswelle. 54 Coronavirus-Fälle wurden im Hauptquartier des Logistikunternehmens Bartolini gemeldet. Ein weiteres Dutzend Beschäftigte, die in Calderara di Reno in der Provinz Bologna beschäftigt sind, wurden positiv getestet. Die meisten von ihnen sind symptomfrei.

Israel erklärte mehrere Orte zu Sperrgebieten

Israel hat wegen einer gestiegenen Zahl von Infektionen mit dem Coronavirus ebenfalls mehrere Orte zur Sperrzone erklärt. Sowohl die zentrale Stadt El’ad als auch einzelne Wohnviertel der nördlichen Stadt Tiberias sollen sieben Tage lang nur eingeschränkt zugänglich sein, wurde am Dienstag bekanntgegeben.

Ein israelischer Polizist kontrolliert ein Auto an einem Checkpoint an der Einfahrt zur Stadt El’ad
APA/AFP/Ahmad Gharabli
Im Kampf gegen das Coronavirus wurden in Israel mehrere Orte zur Sperrzone erklärt

Die Entscheidung folgt einer Empfehlung des Gesundheitsministeriums. Erst vergangenes Wochenende hatten die Krankenhäuser des Landes wegen der steigenden Infektionszahlen ihre Coronavirus-Stationen wieder geöffnet. Einschränkungen für weitere Orte würden in Erwägung gezogen, teilte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit.

Peking: Lokaler Ausbruch unter Kontrolle

In Peking haben die Behörden nach eigenen Angaben einen lokalen Coronavirus-Ausbruch unter Kontrolle gebracht. Mitte Juni war die Zahl der positiven CoV-Fälle in der chinesischen Hauptstadt wieder gestiegen. Die neuen Fälle ließen sich zu einem Großmarkt zurückverfolgen, der daraufhin geschlossen wurde. Zudem riegelten die Behörden über 20 Wohnviertel in der Stadt ab und ordneten die Schließung von Schulen und Universitäten an. Der Flugverkehr wurde stark reduziert.

Menschen in der chinesischen Hauptstadt Peking warten hinter einer Absperrung auf Nahrungsmittellieferungen
APA/AFP/Nicolas Asfouri
In Peking wurden mehrere Stadtviertel abgeriegelt

Bewohnerinnen und Bewohner aus Vierteln in Peking, in denen das Risiko als „mittel“ oder „hoch“ eingestuft wurde, durften die Stadt nicht mehr verlassen, um zu verhindern, dass sich der neue Ausbruch auf andere Teile des Landes ausweitet. Begrenzt wurde auch die maximal erlaubte Anzahl von Fahrgästen in Bussen, Zügen und U-Bahnen. Masken müssen wieder getragen werden.

Neue Maßnahmen in Seoul erwogen

Die Gesundheitsbehörden in Südkorea sehen das Land indes einer zweiten Welle ausgesetzt. Ursprünglich seien sie davon ausgegangen, dass eine zweite Infektionswelle im Herbst oder Winter beginnen könnte, sagte die Direktorin der Zentren für Krankheitskontrolle und Prävention (KCDC), Jeong Eun Kyeong. „Unsere Voraussage erwies sich als falsch.“

Schwerpunkt der zweiten Welle ist laut der Wissenschaftlerin die Hauptstadt und Umgebung. Im Großraum Seoul lebt fast die Hälfte der etwa 51,6 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner des Landes. Der Bürgermeister von Seoul, Park Won Soon, kündigte an, wieder stärkere Beschränkungen für das öffentliche Leben einzuführen, sollte die Zahl neuer Infektionsfälle an drei Tagen in Folge 30 übersteigen und das Gesundheitssystem überlastet sein.

Südkorea hatte die Einschränkungen für soziale Kontakte und andere Schutzmaßnahmen gegen das Virus Anfang Mai gelockert. Doch hatten die Behörden seitdem Probleme, einzelne Häufungen von Infektionsfällen in der Hauptstadtregion, etwa unter Clubgästen und Kirchgängerinnen und Kichgängern, in den Griff zu bekommen.