Bundesministerin Elisabeth Köstinger im ORF.at-Interview
ORF.at/Christian Öser
Köstinger zum Sommertourismus

„Jeder trägt Verantwortung“

„Jeder trägt Anteil daran, dass wir weiter gut durch die Krise kommen.“ Das sagt Tourismusministerin Elisabeth Köstinger in Sachen Tourismus und Urlaub in diesem Jahr. Österreich will sie als Reiseziel mit den höchsten Sicherheitsstandards präsentieren. Weswegen sie auch im Interview mit ORF.at die Reisewarnung und den Umgang mit Nordrhein-Westfalen verteidigt. Im Bereich der Landwirtschaft könnte die CoV-Krise durchaus eine Systemkorrektur bewirken: Mehr regionale statt importierter Billigware solle konsumiert werden: „Die Landwirtschaft ist Teil der kritischen Infrastruktur“, bilanziert Köstinger Erkenntnisse aus der Coronavirus-Krise.

Wie bedeutsam die Landwirtschaft für die selbstständige Versorgung eines Landes sei, das habe der „Lock-down“ einer breiten Öffentlichkeit vermittelt, sagt Köstinger im Interview mit ORF.at. Nicht nur, weil in Wien zu Zeiten des „Lock-down“ die Germ rar geworden sei. Insgesamt hofft Köstinger auf einen stabilen und sicheren Urlaubssommer, fügt aber hinzu: „Es liegt nicht an den Wirten und Hoteliers“ – jede und jeder Einzelne müsse in diesem Sommer Abstand halten, Hände waschen und solle dort, wo es Massenzusammenkünfte gibt, zur Maske greifen. Man könne nur gemeinsam vermeiden, dass es einen zweiten „Lock-down“ gebe. Auch wenn man wie im Fall von Nordrhein-Westfalen nicht gerne zu strengeren Maßnahmen greife, verteidigt Köstinger die Notwendigkeit, dass man zum Schutz der Gesundheit Schutzmaßnahmen erhöhen müsse.

Dem Tourismus will Köstinger mit maßgeschneiderten Maßnahmen helfen. Auch wenn die Buchungslage im Sommer gut sei, müsse es für Herbst und Winter ein tragfähiges Konzept geben. Auch den Städtetourismus müsse man mit strengen Sicherheitskonzepten wieder ankurbeln. Motor dafür: Messen, Kongresse und Kulturevents.

Man habe im Rahmen der Krise gesehen: „Tourismus ist Strukturpolitik. Denn es lebt ja nicht nur ein Hotel davon, sondern das gesamte Umfeld. Wenn ein Hotel renoviert, vergibt es in der Regel die Aufträge im Umkreis von 50 Kilometern. Bis zum Bauern, der die Lebensmittel liefert, sieht man, wie groß die Wertschöpfungskette von Tourismus und Gastronomie ist.“

Das Interview

Frau Köstinger, Sie waren lange in Brüssel tätig. Was macht denn die Coronavirus-Krise mit der europäischen Idee, gerade wenn man immer die Grenzen zumacht, dann wieder auf? Verändert das unser Mindset?

Elisabeth Köstinger: Ich glaube, dass man die Reisefreiheit und das Europa noch mehr zu schätzen gelernt hat, weil sie für ein paar Monate nicht mehr da war. Es waren in der Krise für alle Mitgliedsstaaten der EU sehr weitreichende Entscheidungen zu treffen. Wir in Österreich haben diese Entscheidungen sehr früh getroffen, wodurch uns Bilder wie in Italien erspart geblieben sind. Durch rasches Handeln konnten wir rascher Lockerungsmaßnahmen umsetzen. Generell hätte das Engagement der EU in der Koordinierung stärker sein können, finde ich. Die Leitlinien für das Reisen durch die EU-Kommission haben sehr lange gedauert, da waren wir mit bilateralen Abkommen schneller.

Bundesministerin Elisabeth Köstinger im ORF.at-Interview
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„Haben durch den ‚Lock-down‘ die Reisefreiheit wieder mehr zu schätzen gelernt“, erinnert sich Köstinger im Interview

Wie sicher wird der Sommertourismus für uns – und auch für die Gäste, die nach Österreich kommen?

Köstinger: Wir wollen maximale Sicherheit bieten. Österreich ist eines der schönsten Urlaubsländer der Welt und wird auch eines der sichersten Länder sein. Wir haben gerade in fünf Pilotregionen eine Testphase laufen, wo wir schwerpunktmäßig Tests an Mitarbeitern mit Gästekontakt machen, um hier auch auszuschließen, dass sich Infektionscluster aus Ferienorten ergeben. Wir können als kleines Land schnell mit einem sehr guten Gesundheitssystem reagieren. Und das soll eine Art Überlebensversicherung für den Tourismus im Herbst und Winter sein. Die Gäste sollen sich bei uns sicher fühlen können.

Sie haben die Österreich-Werbung um 40 Millionen Euro aufgestockt. Wie bekommt man das hin, dass Ischgl nicht zu einem negativ besetzten, geflügelten Wort wird? Wo muss man imagemäßig im Moment ansetzen?

Köstinger: Es ist durchaus das Thema Sicherheit. Und geholfen hat uns auch das Ranking, wie schnell welche Staaten das Abflachen der Infektionskurven hinbekommen haben. Wir sehen auch, dass sich das in den Buchungsanfragen niederschlägt. Aber auch die Betriebe haben sich sehr schnell darauf eingestellt. Die meisten Hotels haben ihre Stornobedingungen flexibilisiert, bieten kostenfreies Storno bis 48 Stunden vor der Anreise. Jeder ist gefordert, ein Höchstmaß an Flexibilität an den Tag zu legen.

Weil Sie Flexibilität angesprochen haben, der Situation anpassen: Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, beklagt, dass die Maßnahmen Österreichs in der Reaktion auf Gütersloh zu streng seien. Können Sie ihn verstehen?

Köstinger: Man muss schon verstehen, dass wir hier sehr vorsichtig sind und ähnliche Maßnahmen anwenden wie im Fall Lombardei. In Italien ist es ja auch so, dass die Infektionszahlen regional sehr unterschiedlich sind, in Südtirol etwa sind die sehr niedrig. Es braucht natürlich auch flexible Lösungen. Aber das ist nie ein Akt gegen ein Land oder eine Region. Wir müssen Mittel und Wege finden, damit umzugehen, wenn die Infektionszahlen wieder steigen. Das bedeutet auch, Maßnahmen zu setzen, die man sich so nicht wünscht, aber machen muss.

Der Virologe Christian Drosten meinte zuletzt, er wäre nicht „optimistisch, dass wir in einem Monat noch so eine friedliche Situation haben wie jetzt, was die Epidemietätigkeit angeht“. Sind Sie darauf eingestellt, dass man die Maßnahmen auch im Urlaub wieder verschärfen wird müssen?

Köstinger: Zum einen ist zu sagen, dass sich das Gesundheitsministerium die Infektionscluster genau anschaut. Infektionsketten kommen oft sehr stark aus dem persönlichen Umfeld, weniger aus dem Arbeitsumfeld. Wir haben derzeit keine Infektionsketten, die von Gastrobetrieben oder Hotels ausgehen. Deshalb haben wir Erleichterungsschritte wie etwa den Entfall der Maskenpflicht in der Gastronomie setzen können. „Contact Tracing“ und Augenmaß sind die Parameter unseres Handelns. Und wir brauchen die Mitarbeit der Bevölkerung, Auskunft zu geben, mit wem man Kontakt hatte. So hoffen wir, dass wir einen zweiten „Lock-down“ vermeiden können.

Was sagen Sie jenen, denen die jetzigen Maßnahmen zu schnell gegangen sind?

Köstinger: Jede und jeder muss weiter Sorge tragen, vorsichtig zu sein. Man muss aber den Menschen ein Stück weit die Freiheit zurückgeben. Die Eigenverantwortung ist das Um und Auf. Wenn es nötig ist, müssen Maßnahmen wieder strenger werden.

Bundesministerin Elisabeth Köstinger im ORF.at-Interview
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„Eigenverantwortung ist das Um und auf.“ Köstinger im Gespräch mit Caecilia Smekal und Gerald Heidegger; vorne ihr Pressesprecher Daniel Kosak

Was sagen Sie Regionen, die sehr stark von Touristen aus Regionen abhängen, in denen es hohe Infektionszahlen gegeben hat, etwa aus der Lombardei? Was bietet man diesen Gebieten als Perspektive an?

Köstinger: Man kann Gesundheit und Wirtschaft nicht gegeneinander ausspielen. Und die Grenzöffnungen gingen am Ende schneller, als viele gedacht haben. Es wird für einzelne Regionen und Bereiche immer zusätzliche Unterstützung durch die Regierung brauchen. Und wir sehen auch, dass die Hilfe wirkt. Wenn es eine Zeitlang Kritik gegeben hat, kann ich jetzt sagen: Das Geld fließt. Etwa bei der Verlängerung des Fixkostenzuschusses. Wir sind dabei, Kriterien zu erarbeiten, sodass besonders betroffene Branchen noch stärker unterstützt werden können. Man muss sich auch Städte anschauen, die massiv von internationalen Ankünften abhängen. Aber wir dürfen nie riskieren, dass es höhere Infektionszahlen gibt. Lange gab es ja eine Art Glaubenskrieg zwischen dem österreichischen und dem schwedischen Weg. Jetzt sieht man, dass es Schweden auch wirtschaftlich durch die liberalere Haltung nicht besser ergangen ist. Es ist einfach eine weltweite Pandemie. Und wir sind in einem europäischen Binnenmarkt.

Werden die Unterstützungsmaßnahmen für die Tourismus- und Gastrobranche ausreichen? NEOS-Politiker und Hotelier Sepp Schellhorn wollte zuletzt einen großen „Freeze“ bei Kreditrückzahlungen und Co. Haben Sie einen Eventualitätenplan, wenn eine zweite Welle kommt?

Köstinger: Wir haben unterschiedliche Betroffenheitslagen. Die Urlaubshotellerie, wenn ich etwa ins Salzkammergut schaue, hat zum Teil schon wieder eine sehr gute Buchungslage. Die bieten alles, was das Urlauberherz begehrt, in verschiedenen Kategorien und für jede Brieftasche. In der Stadthotellerie wirken sich natürlich derzeit ausgefallene Angebote wie etwa Messen, Kongresse oder auch Kulturangebote sehr stark aus. Da bleiben die Gäste aus. Allein in Wien sind 13 Kongresse mit jeweils mehr als 5.000 Teilnehmern abgesagt worden. Da soll das Modell des Fixkostenzuschusses und das Kreditmoratorium helfen. Unterschiedliche Betroffenheiten brauchen auch verschiedene Maßnahmen. Die Mehrwertsteuersenkung wird bis Ende des Jahres gelten, Steuerstundungen haben wir bis Mitte Jänner kommenden Jahres verlängert. Wir versuchen, die Betriebe so gut es geht zu entlasten und über diese Zeit zu bringen. Die wichtigste Unterstützung ist: durchs wieder hochfahrende Geschäft schnell aus dieser Krise herauszukommen.

Sind die Salzburger Festspiele dann ein Modell für den Stadttourismus?

Köstinger: Es ist ein wichtiges Signal, dass sie stattfinden. Aber viele Regionen leben ja von den vielen kleinen Kulturveranstaltungen, zu denen Gäste seit Jahren und Jahrzehnten kommen. Wichtig für den Stadttourismus sind aber auch Messen und Kongresse. Auch da gibt es ja für den Herbst klarere Regeln, besonders dass Messen mit Sicherheitskonzept stattfinden können. Wir lassen nichts unversucht, um als Tourismusstandort präsent zu sein. Tourismus ist Strukturpolitik, das hat man bisher vielleicht zu wenig gesehen. Denn es lebt ja nicht nur ein Hotel davon, sondern das gesamte Umfeld. Wenn ein Hotel renoviert, vergibt es in der Regel die Aufträge im Umkreis von 50 Kilometern. Bis hin zum Bauern, der die Lebensmittel liefert, sieht man, wie groß die Wertschöpfungskette Tourismus ist. Und bei der Gastronomie ist es genauso.

Wie sensibilisiert man die Branche, damit im Sommer die Sicherheitsstandards eingehalten werden? Denken wir zuletzt an das Treffen in Salzburg …

Köstinger: Das ist schon auch die Verantwortung jedes Einzelnen. Etwa, dass man sich nicht mehr die Hand gibt. Ich erlebe das selber in meinem Umfeld, wie schnell man wieder die Hand hergestreckt bekommt. Es hilft aber nichts, wir müssen diese Gewohnheiten einfach durchbrechen. Das können wir nicht auf die Gastronomen und Wirte abwälzen. Jeder trägt Anteil daran, ob wir weiter gut durch die Krise kommen.

Bundesministerin Elisabeth Köstinger im ORF.at-Interview
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„Corona hat uns auch ein fehlgeleitetes System in der Landwirtschaft aufgezeigt“

Auch wenn die Hintergründe andere waren: Der Weinskandal war für Österreich eine Trendwende im Weinbau. Wenn wir sagen, wir müssen in der Coronavirus-Krise innehalten – wo liegt da in der Landwirtschaft eine Chance für Umorientierung? Wo ist Österreich gefordert, wo muss auf EU-Ebene etwas passieren?

Köstinger: Beides. Ich finde, dass dieser massive Ausbruch in Gütersloh auch ein komplett fehlgeleitetes System aufzeigt. Und das ist in der Fleischindustrie der Fall. Wir sind dadurch, dass wir einen gemeinsamen europäischen Binnenmarkt haben, seit Jahrzehnten massiv von einer derartigen Dumping-Preispolitik im Lebensmittelbereich betroffen. Nur zum Vergleich: In Österreich hat der größte fleischverarbeitende Betrieb einige hundert Mitarbeiter an einem Standort. In Gütersloh hat der jetzt betroffene Betrieben rund 6.500 an einem Standort beschäftigt. Es gibt aber in Deutschland in der Fleischindustrie Betriebe mit bis zu 8.000 Mitarbeitern. Die produzieren zu Preisen, die in Österreich denkunmöglich sind. Schon wegen unserer Standards, die strenger sind, vom Tierwohl bis zu sozialen Standards bei den Mitarbeitern und der Bezahlung. Und wenn das Coronavirus jetzt hilft, eine massive Fehlleitung in der Industrie sichtbar zu machen und dann auch zu bereinigen, dann können wir sehr dankbar sein.

Sehen Sie da Chancen? Wo setzt man da an? Bei den Konsumenten, die beim Konsum von regionalem Fleisch höhere Preise zahlen müssen? Wie bringt man das unter die Leute, wenn man ein Gütersloh nicht haben will? Wie viel lässt sich da auf EU-Ebene überhaupt erreichen?

Köstinger: Die EU-Kommission hat eine Prüfung der Zustände in Deutschland veranlasst, vor allem arbeitsrechtlicher Natur. Ich glaube, dass es beides braucht, das Bewusstsein bei jedem Einzelnen, dass es keine Billigproduktion geben kann, denn irgendwer zahlt immer. Egal, ob es das Tierwohl ist, das darunter leidet, ob es Arbeitsbedingungen sind, ob es zum Teil auch ein massiver Raubbau am Boden ist und an den natürlichen Ressourcen. Dieses Bewusstsein ist uns in den letzten Jahrzehnten, auch wegen des Wohlstands, alles wird immer besser, billiger und mehr, abhanden gekommen. Wir setzen seit vielen Jahren im Wesentlichen auf die bäuerlichen Familienbetriebe. Wir investieren jedes Jahr Millionen in benachteiligte Gebiete, ins Berggebiet. Wir haben das größte Agrarumweltprogramm von allen Ländern in der Europäischen Union.

Wir haben den höchsten Anteil an Biolandwirtschaft, wir haben mit dem AMA-Gütesiegel ein staatliches Herkunftssiegel, das dem Konsumenten Sicherheit gibt. Wir haben da schon sehr viel getan, aber ich glaube, es geht noch viel mehr, vor allem wenn ich von den Konsumenten fordere, sie sollen darauf schauen, woher etwas kommt, und sie sollen bereit sein, einen fairen Preis zu zahlen. Und da muss die öffentliche Hand auch mit gutem Beispiel vorangehen. Dass wir in der öffentlichen Beschaffung weiterhin Billigstprodukte von irgendwoher beziehen, das geht sich nicht aus.

Richten sich die Maßnahmen dann etwa an die Bundesschulen?

Köstinger: Sie richten sich an alle öffentlichen Einrichtungen. Die Bundesbeschaffungsgesellschaft BBG ist in hohem Maß auch verantwortlich für diesen Einkauf. Gemeinsam mit der BBG und den Bundesländern wird ein Prozess aufgesetzt, wie das funktionieren kann. Das soll unsere Schulen genauso betreffen wie Einrichtungen vom Heer über die Justiz, Polizei bis hin zu Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Regionale Butter statt Butter aus Holland, die Tausende Kilometer hierher reist.

Kann in Österreich etwas wie in Gütersloh tatsächlich nicht passieren? Kürzlich gab es einen Fall in Österreich, wo bei einem Spargelbauern die Arbeitsbedingungen das Problem waren.

Köstinger: Wenn sich einzelne Betriebe nicht an die Gesetze oder an Kollektivverträge halten, muss das sanktioniert und bestraft werden. Speziell in der Lebensmittelindustrie haben wir von Beginn an intensive Gespräche geführt und viel Vorsorge getroffen. Wir haben kleinere Einheiten in Österreich, und da ist das durchaus auch einfacher. Man braucht nur zu schauen: Der Schweinepreis erholt sich gerade in ganz Europa, weil die Produktion in NRW so massiv zurückgeht. Da sieht man, was das für Mengen sind. Es hängt alles im Großen zusammen, aber im Kleinen hat jeder so viel Macht, wenn er zum Regal geht und dort die Produkte auswählt. Ich bin eine massive Verfechterin einer verpflichtenden Herkunftskennzeichnung für verarbeitete Produkte. Speziell Wurstwaren, Fleischwaren. Wir haben im Regierungsprogramm auch eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung für Fleisch, Milchprodukte und für Eier vereinbart. Das ist ein großer Schritt hin zu mehr Transparenz.

Wird es auch eine Kennzeichnung für die Haltung geben?

Köstinger: Speziell in Österreich, wo die Tierschutzbestimmungen in vielen Bereichen so viel strenger sind als in anderen Ländern, ist vor allem die Herkunft ausschlaggebend. Bei uns sind auch die Transportwege kurz, das ist ein Beitrag zum Klimaschutz. Wir haben letzte Woche auch ein neues staatliches Gütesiegel vorgestellt, wie haben ja das AMA-Gütesiegel, das vor allem für den Lebensmitteleinzelhandel wichtig ist, aber wir wollen dasselbe für bäuerliche Erzeugnisse mit dem AMA-Genussregion-Siegel, da kann man sich sicher sein, dass es aus bäuerlicher Verarbeitung kommt. Das haben wir auch ausgeweitet auf die Gastronomie. Wirte und Lokale und auch Manufakturen, also die Veredelungswirtschaft, können da mitmachen. Und ich will, dass dieses Dreieck zwischen Wirt, Bauern und dem Veredler mehr Wertschätzung erfährt. Ich sehe das auch als Türöffner in Richtung Konsumenten.

Bundesministerin Elisabeth Köstinger im ORF.at-Interview
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Köstinger betont die Kette der Wertschöpfung, die an Tourismus und Gastronomie hängt

Aber für die Konsumenten wäre ja ein einfacher Hinweis dienlich. Etwa in der Gastronomie, dass auf der Speisekarte steht: Fleisch nur aus Österreich.

Köstinger: Mit dem AMA-Genussregion-Siegel versuchen wir, genau das so herzustellen. Es braucht aber auch den Konsumenten, der mehr Bewusstsein an den Tag legt. Wir haben in der Corona-Krise wochenlang händeringend nach Schutzmaterial und Medikamenten gesucht. Die Lebensmittelversorgung war immer sichergestellt, einfach weil wir auch so breit aufgestellt sind und auch von Vorarlberg bis ins Burgenland produzieren. Das braucht aber eben auch Bedingungen und die Möglichkeit, das überhaupt zu tun. Und es braucht eine Wertschöpfung für die Betriebe.

Muss nicht auch beim Tierschutz stärker hingeschaut werden?

Köstinger: Wir liegen im World Animal Protection Index von 50 untersuchten Ländern wieder auf Platz eins beim Tierschutz. Wir haben mit dem Tierschutzgesetz 2006 eines der strengsten in ganz Europa. Aber schauen wir etwa im Europavergleich auf den Bereich der Pute: Da haben wir mit den Besatzdichten, der gentechnikfreien Fütterung einen sehr richtigen, hohen Standard gesetzt.  Das hat aber dazu geführt, dass wir bei Puten nur mehr einen Selbstversorgungsgrad von 43 Prozent haben. 57 Prozent der in Österreich verzehrten Puten in Österreich stammen aus anderen Ländern. Und dort diskutiert man über Besatzdichten und Fütterung zurzeit überhaupt nicht. Wir brauchen eine Möglichkeit, in diesem Wettbewerb auch mitzuproduzieren. Und ich brauche eine transparente Herkunftskennzeichnung und einen Konsumenten, der da auf das schaut, sonst hilft das alles nichts. Manchmal erinnert mich das ein bisschen an eine moderne Absolution: Ich setze meine Unterschrift auf irgendein Volksbegehren, aber im Regal ist mir der günstigste Preis wichtig.

Sie sagen also: Wenn wir die Standards nach oben schrauben, sind wir nicht mehr konkurrenzfähig?

Köstinger: Die Beispiele liegen überall auf der Hand. Dasselbe ist mit den Pflanzenschutzmitteln: Wir können jedes Pflanzenschutzmittel verbieten, aber wenn das dann zur Folge hat, dass alles importiert wird – wo niemand mehr drauf schaut, zu welchen Sozialbedingungen, zu welchen Umweltstandards und welche Pflanzenschutzmittel da zugelassen sind, dann ist das ein Denken mit sehr viel Scheuklappen.

Noch einmal zurück zur Fleischverarbeitung: Braucht es da mehr Maßnahmen, dass sich Mitarbeiter nicht bei der Verarbeitung von Fleisch mit dem Coronavirus infizieren? Das war ja rund um den Fall in Gütersloh zuletzt auch in der Diskussion.

Köstinger: Bei den österreichischen Betrieben sind schon mit März intensiv Schutzkonzepte erarbeitet worden. Die Corona-Präventionstests des Gesundheitsministeriums werden vermehrt auf diese Bereiche abzielen, aber da sind schon sehr viele Vorkehrungen getroffen worden. Dort, wo es zu Infektionen gekommen ist, waren die eigentlich immer außerhalb des Betriebes, also in Unterkünften oder bei privaten Treffen. Speziell in der österreichischen Lebensmittelproduktion konnten wir Schritt für Schritt ein Konzept erarbeiten, damit man weiß, was zu tun ist, hätte man einen positiven Fall. Das war wichtig zu sehen, wie sehr die Unternehmer auch ihrer Verantwortung für die Mitarbeiter nachkommen.

Gibt es, abschließend gefragt, für Sie so etwas wie drei zentrale Lehren aus der Coronavirus-Krise?

Köstinger: Eine ist sicher: die Verankerung der Landwirtschaft als systemkritische Infrastruktur. Das hat sich sehr schnell herauskristallisiert, wie Grenzen zugemacht worden sind, wie Warenströme unterbrochen wurden. Eines der besten Beispiele war ja die Germ, die war ja in nahezu ganz Wien ausverkauft; ganz Twitter hat Germ gesucht. Im Bereich Tourismus und Gastronomie sehen wir, welche unglaubliche Bedeutung dieser Sektor für andere Branchen, gerade auf einer lokalen Ebene, hat. Und die dritte Erkenntnis: der Zivildienst, für den ich ja auch zuständig bin, als wichtige strategische Reserve im Gesundheitssystem. Darauf bin ich schon sehr stolz, dass wir innerhalb sehr kurzer Zeit einen außerordentlichen Zivildienst erstmals in der Zweiten Republik ausgerufen haben und dass sich so viele Freiwillige gemeldet haben. Ich denke, in Krisen kommt immer der Charakter auch heraus. In Österreich können wir sehr stolz sein, dass wir ein Land sind, das zusammenhält. Deshalb bin ich überzeugt davon, dass wir als Land, als Gesellschaft, aus dieser Corona-Krise stärker herauskommen werden, als wir hineingegangen sind.