Wahlplakate von Rafal Trzaskowski and Andrzej Duda
Reuters/Kacper Pempel
Polen wählt Präsidenten

Verschiebung als Bumerang für Regierung

Am Sonntag findet die Präsidentschaftswahl in Polen statt. Die ursprünglich für den 10. Mai angesetzte Wahl war wegen verfassungsrechtlicher Probleme nach riesigem Streit nur wenige Tage vor dem geplanten Urnengang verschoben worden. Amtsinhaber Andrzej Duda von der nationalkonservativen Regierungspartei PiS führt zwar in aktuellen Umfragen, allerdings gilt der Warschauer Oberbürgermeister Rafal Trzaskowski vom liberalkonservativen Oppositionsbündnis als ernsthafter Herausforderer.

Eine Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten am 12. Juli gilt als gewiss. Weniger gewiss ist die Zukunft der polnischen Politik und der amtierenden Regierung. Denn diese Wahl hat angesichts der jüngsten Entwicklungen und Umfrageergebnisse das Potenzial, die Regierung schwer in die Bredouille zu bringen. „Warum ein möglicher Wahlsieg Trzaskowskis PiS Angst macht“, lautet etwa eine Schlagzeile der renommierten Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ von dieser Woche.

Die Polarisierung der letzten Jahre zeigt Spuren. Seit den Wahlen zum Sejm (Parlament) und Präsidentschaftswahl 2015 sitzt die PiS (Dt.: Recht und Gerechtigkeit) fest im Sattel – wären da nicht der umstrittene Umbau des Justizwesens, die starken Eingriffe in die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sowie die populistischen Rundumschläge auf die LGBT-Bewegung und wiederkehrende antisemitische Entgleisungen.

Gestärkte Opposition

Die als Reaktion hervorgerufenen landesweiten Protestbewegungen sowie mehrere EU-Verfahren wie das Artikel-7-Verfahren wegen Bedenken zur Rechtsstaatlichkeit in Polen sind nicht spurlos an der politischen Kultur des Landes vorübergegangen. Eine Folge der angesprochenen Konflikte ist das Erstarken des Oppositionsbündnisses Bürgerkoalition (Koalicja Obywalteska, KO). Mit dem Achtungserfolg von 27 Prozent bei der letzten Sejm-Wahl konnte die KO zur zweitstärksten Kraft avancieren. Das Bündnis stellt mit Trzaskowski und seinem Wahlprogramm „Die neue Solidarität“ eine Alternative zu dem national-katholischen Wertesystem von Duda.

Der Warschauer Oberbürgermeister Rafal Trzaskowski
Reuters/Agencja Gazeta
Trzaskowski stieg erst nach der Verschiebung in die Wahl ein, Parteikollegin Malgorzata Kidawa-Blonska hatte sich zurückgezogen

Breiter Protest gegen Wahltermin

Das Oppositionsbündnis spielte auch eine tragende Rolle in der Verschiebung des ursprünglichen Wahltermins, der selbst die Regierungsfraktionen spaltete. Der Wahltermin am 10. Mai mutierte zu einem veritablen Skandal, weil aufgrund des „Shut-down“ ein Wahlkampf von Beginn an ausgeschlossen und der gegenwärtige Amtsinhaber damit eindeutig bevorzugt gewesen wäre. „Wir werden nicht teilnehmen“, ließen nicht nur die Oppositionsparteien verkünden.

Auch prominente Vertreter wie der ehemalige EU-Ratspräsident Donald Tusk, die drei Ex-Präsidenten Lech Walesa, Aleksander Kwasniewski und Bronislaw Komorowski sowie sechs ehemalige Ministerpräsidenten signalisierten medienwirksam ihr Missfallen. Polens Bischöfe stimmten ebenso ein: Es dürfe nicht der Verdacht aufkommen, dass gegen die Verfassung und die „Grundsätze freier und fairer Wahl“ verstoßen werde. Möglicherweise ist also die Gesellschaft gar nicht so gespalten, wie stets betont wird.

Zerreißprobe für PiS

Die PiS ließ sich jedenfalls nicht aus dem Konzept bringen und beharrte auf dem 10. Mai. Der Termin sollte mit einer Abstimmung, die ausschließlich per Briefwahl mittels Wahlkarten stattzufinden hatte, gehalten werden. Das Kalkül dahinter war leicht zu durchschauen. Zu diesem Zeitpunkt lag der von der PiS unterstützte Duda in den Umfragen bei beachtlichen 52 bis 59 Prozent.

Polens Präsident Andrzej Duda
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Duda blieb in seiner Amtszeit bis auf wenige Ausnahmen der Politik der PiS treu

Das Festhalten an diesem Termin erwies sich dennoch als unmöglich, zumal ausgerechnet ein Teil der PiS-Fraktion die als Farce bezeichnete Wahlorganisation nicht mittragen wollte. Das Debakel endete mit einem überraschenden Kompromiss: Die Wahlordnung wurde reformiert und um eine Briefwahlmöglichkeit erweitert, die Wahlen selbst wurden um ein paar Wochen verschoben und der Vizeregierungschef Jaroslaw Gowin trat als Konsequenz zurück.

Teure Folgekosten?

Allein das Beharren auf der Briefwahl bescherte Vorbereitungskosten von etwa 17 Millionen Euro. Wer dafür aufkommen wird, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch unklar. Die eilig vergebenen Drucksortenaufträge wurden vertraglich nicht abgesichert, die Wahlbehörde ihrer Kompetenzen beraubt. Das ist nur ein Beispiel von vielen für die zahlreichen Folgekosten dieses Tauziehens.

Eine andere Form von „Kosten“ könnte nun auch der Regierungsfraktion entstehen: Denn Duda liegt zwar laut Umfragen immer noch mit 40 Prozent voran, für eine Wiederwahl im ersten Anlauf ist das aber nicht genug. Trzaskowski kommt inzwischen auf knapp unter 30 Prozent. Eine endgültige Entscheidung ist damit erst in der Stichwahl im Juli zu erwarten, da keiner der beiden Kandidaten am Sonntag eine absolute Mehrheit erzielen dürfte. Die anderen neun Kandidaten gelten als praktisch chancenlos.

Polen vor Präsidentschaftswahlen

In Polen wird am kommenden Sonntag ein neuer Staatspräsident gewählt. Von den elf Kandidaten werden dem amtierenden Präsidenten und dem Warschauer Bürgermeister die besten Chancen zugeschrieben.

Wie wählen Frauen?

Wie auch in anderen Ländern verläuft der gesellschaftliche Riss in Polen nicht nur entlang parteipolitischer Traditionen, sondern entlang von Lebensstilen. Während Duda vor allem Wähler und Wählerinnen im ländlichen Raum und in Kleinstädten zu mobilisieren vermag, punktet Trzaskowski in den Großstädten unter den besser Situierten und Progressiven. Gespannt wartet man, wie das Wahlverhalten von Frauen ausfallen wird, denn ihnen wird gegenwärtig ein entscheidender Einfluss auf diese Wahl zugeschrieben. Diese sind bekanntermaßen wegen der strengen Abtreibungsgesetze Polens, gelinde formuliert, immer wieder im Clinch mit der Regierung.

Gefahr für die amtierende Regierung

Sollte sich Trzaskowski in der Stichwahl durchsetzen, kommen politisch interessante Zeiten auf Polen zu: Der Präsident in Polen hat die Kompetenz, nahezu jede parlamentarische Gesetzesinitiative mit einem Veto zu verhindern. Um dieses Veto zu überstimmen, bräuchte die PiS eine Dreifünftelmehrheit im Parlament. Diese hat sie nicht.

Wenig überraschend lässt der Warschauer Oberbürgermeister keinen Zweifel daran, dass er im Falle eines Wahlsieges nicht nur sein Vetorecht zu gebrauchen beabsichtige, sondern auch eine Vielzahl von Maßnahmen der gegenwärtigen Regierung zurückzunehmen würde – wie zum Beispiel laufende Amnestieverfahren des gegenwärtigen Präsidenten gegenüber ehemaligen Regierungsmitgliedern. Viele sehen im Falle eines Präsidenten Trzaskowski das Land vor einer Neuwahl zum Sejm.

Sozialpolitik als eigentliche Gretchenfrage

Was sehr wohl überrascht, ist, dass die eigentliche politische Auseinandersetzung medial im Inland wie im Ausland recht wenig aufgegriffen wird: Die künftige Definition der Rolle des Staates in der Sozialfrage. Selbst Gegner der populistischen Sozialpolitik der PiS wissen, dass sie die eingeführten Maßnahmen wie Kindergeld und Senkung des Pensionsantrittsalters nicht einfach zurücknehmen werden können.

Die Autoren

Agnieszka Czejkowska ist Professorin am Arbeitsbereich Bildungstheorie und Schulforschung an der Karl-Franzens-Universität Graz. Piotr Czejkowski ist Partner einer Anwaltskanzlei in Krakau.

Die Wahlkampfstrategie der Regierung scheint ihre Wirkung zu entfalten: Die Konstruktion einer durch Weltanschauungen getrennten Gesellschaft findet ihr mediales Echo eher als die Thematisierung von sozialer Ungleichheit, die das Land spaltet.

So mag das wirtschaftliche Wachstum der letzten Jahre es mit Polen gut gemeint zu haben, an den sozialen Missständen hat sich jedoch wenig geändert. Die Regelung von Arbeitsverhältnissen, die Zugang zu Sozialleistungen und Pensionen markieren, ist mehr denn je ein Abwägen zwischen staatlichen Mindestabsicherungen und „Good Will“-Absprachen im privaten Sektor. Mit den Folgen des Coronavirus-„Shut-down“ werden diese Missstände und daraus resultierenden Unterschiede sicherlich nicht geringer werden.