Kundgebung von kurdischen Aktivisten
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Kurdendemos

Spannungen zwischen Ankara und Wien

Die wiederholten Ausschreitungen und Angriffe türkisch-ultranationalistischer Gruppen bei Kurdendemos in Wien-Favoriten haben am Montag auf diplomatischer Ebene für Spannungen zwischen Österreich und der Türkei gesorgt. Die beiden Länder beschuldigen sich gegenseitig, unangemessen auf gewalttätige Zusammenstöße reagiert zu haben, und luden am Montag wechselseitig die Botschafter vor. Dabei blieben die Fronten aber verhärtet.

ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg habe bei dem Gespräch mit dem türkischen Botschafter Ozan Ceyhun „die klare Erwartungshaltung geäußert, dass er einen Beitrag zur Deeskalation leistet, anstatt Öl ins Feuer zu gießen“, hieß es aus dem Ministerium nach dem Treffen. Ceyhun sei aufgefordert worden, „Demonstranten in Zukunft nicht mehr als Unterstützer von Terrororganisationen zu bezeichnen“. Das Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit sei in Österreich ein hohes Gut. Zudem betonte Schallenberg: „Es ist in unser aller Interesse, dass kein Import ausländischer Konflikte nach Wien stattfindet.“

Zuvor war von türkischer Seite verurteilt worden, dass die Kurdendemos in Wien-Favoriten stattfanden und von den Behörden zugelassen wurden. Dass in Wien „von der Terrororganisation PKK (Arbeiterpartei Kurdistans, Anm.) und ihren Unterstützern seit einigen Tagen Demonstrationen veranstaltet werden, ist ein weiterer Beleg, wie wenig ehrlich der Kampf mit dem Terror geführt wird“, hieß es. Der österreichischen Polizei wurde zudem ein „harter“ Umgang mit den türkischen Demonstranten vorgeworfen. Österreichs Innenminister Karl Nehammer wies die Vorwürfe zurück: Die PKK sei in Österreich verboten, und die Intervention der Polizei habe schlimmere Gewalt verhindert.

Gewaltsame Demos in Wien: Diplomaten am Zug

Sieben verletzte Polizisten, elf Festnahmen, 57 Anzeigen, 220 Identitätsfeststellungen – das ist die Bilanz der gewaltsamen Demonstrationen in Wien in der Vorwoche. Am Montag waren die Diplomaten am Zug. In Wien wurde der türkische Botschafter zur Aussprache ins Außenministerium gebeten. Und in der Türkei reagierte man darauf mit derselben Maßnahme.

Ankara zeigt sich „besorgt“

Ebenfalls noch am Montag wurde ein Vertreter der österreichischen Botschaft in Ankara einberufen. Ihm gegenüber hieß es, dass es in Ankara „Bedenken wegen der Tatsache gibt, dass PKK-nahe Gruppen vier Tage hintereinander Kundgebungen organisieren durften“. Zudem warf die Türkei Österreich vor, Sicherheitskräfte seien bei Demonstrationen in den vergangenen Tagen gewaltsam gegen türkische Jugendliche vorgegangen. Das Ministerium beschwerte sich auch über entstandene „Schäden an Unternehmen der türkischen Gemeinschaft“.

Die Grauen Wölfe und die türkische Regierung

Bei den Demos war es nach Angriffen von türkischen Nationalisten und Rechtsradikalen in der Folge zu tätlichen Auseinandersetzungen (auch mit der Polizei) gekommen. Auch sollen ultranationalistische Graue Wölfe involviert gewesen sein, vielfach wurde der seit dem Vorjahr in Österreich verbotene Wolfsgruß der Gruppe gezeigt.

Die Bundesregierung kündigte nun an, türkische und kurdische Vereine zu prüfen – außerdem soll ein runder Tisch stattfinden. Die Grauen Wölfe sind Anhänger der rechtsextremen türkischen Partei MHP, die als Koalitionspartner der AKP des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in der Regierung sitzt. Dass Ankara nur die Agitationen der Kurdinnen und Kurden als verurteilenswert adressierte, ist mit der Rolle der MHP und deren Einfluss auf die Geschicke der gesamten türkischen Regierung zu erklären.

Grünen-Vizeklubchefin Ewa Ernst-Dziedzic übte heftige Kritik an der türkischen Stellungnahme: „Wenn die Türkei Demonstrationen für Menschen- und Freiheitsrechte als Propaganda verunglimpft, beweist sie damit nur, dass die Prinzipien einer freien Demokratie für sie keine Selbstverständlichkeit sind“, hieß es in einer Aussendung der Politikerin vom Montag.

Debatte erreichte auch Wiener Gemeinderat

Zwar wird im Wiener Gemeinderat erst zu einem späteren Zeitpunkt – nämlich auf Antrag der ÖVP in einer Sondersitzung – über die Demonstrationen in Favoriten diskutiert, Thema waren die Geschehnisse aber auch schon in der Rechnungsabschlussdebatte am Montag. Die Wiener FPÖ hat einen Misstrauensantrag gegen Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) eingebracht. Die SPÖ wiederum nahm den Bund in die Pflicht – mehr dazu in wien.ORF.at.

SPÖ sieht politischen Konflikt

Die SPÖ wertete den zuletzt hochgekochten Konflikt weniger als einen ethnischen zwischen Türken und Kurden, vielmehr als einen politischen zwischen Faschisten und Demokraten. Darauf wies Vizeklubchef Jörg Leichtfried am Montag hin. Hintergründe und Hintermänner des Anstachelns zu faschistischer Gewalt müssten ausgeforscht werden, das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) sei hier am Zug.

Es brauche auch wieder einen Rechtsextremismusbericht, um das Problem an der Wurzel zu erfassen, meinte er. An den angekündigten Maßnahmen der Bundesregierung hatte er wenig auszusetzen. „Was sie tun, ist akzeptabel“, meinte er, auch wenn die Regierung zu sehr auf einen ethnischen Grundkonflikt fokussiere.

FPÖ fordert Vorgehen gegen linke Szene

Die FPÖ forderte unterdessen ein verstärktes Vorgehen gegen die linke Szene. So gehöre etwa das Ernst-Kirchweger-Haus (EKH), ein Zentrum der Autonomen, geschlossen, sagte die stellvertretende Klubobfrau Dagmar Belakowitsch am Montag. Hinterfragt gehörten auch Subventionen für türkische Vereine.

Aus Sicht der Freiheitlichen ging die Gewalt bei mehreren Demonstrationen in den vergangenen Tagen von beiden Seiten aus. Belakowitsch forderte daher die Stadt Wien auf, alle Vereine nach dem Vereinsrecht zu prüfen, etwa auf verbotene Symbole hin. Auch die Förderungen gehörten gestrichen, denn sowohl das EKH als auch türkische Vereine würden „großzügig gesponsert“, so die FPÖ-Abgeordnete.

Ein „völliges Unding“ ist für Belakowitsch, dass die grüne Vizebürgermeisterin Birgit Hebein an einer der Demonstrationen teilgenommen hat. Überforderung im Umgang mit den Demos ortete Belakowitsch bei der Polizei. Der Exekutive fehle es an Unterstützung durch Nehammer. Wenn dieser nun ein verschärftes Vorgehen ankündigt, frage man sich, was er in den vergangenen Tagen getan habe. Bei den „Corona-Sündern“ sei der Minister hingegen schnell da gewesen, so Belakowitsch, „da hat er seine Polizisten hineingehetzt“.