Szene des Films „Undine“
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Petzolds „Undine“

Vom Liebesleben einer Großstadt-Nymphe

Sie ist Stadthistorikerin, er ist Industrietaucher, es ist Liebe auf das erste Missgeschick: Christian Petzolds „Undine“ ist ein rätselhafter Liebesfilm mit Paula Beer und Franz Rogowski, ein facettenreiches Berlin-Porträt und ein Märchen mit mörderischen Abgründen.

Er knallt ihr hin, dass er sich trennen will. Sie knallt ihm hin, dass das nicht geht, „das weißt du“. Es ist das brüske Ende einer Liebe, an diesem Blechtischchen eines banalen Cafes, darauf Aschenbecher, Pfeffer, Salz, Speisekarte und eine zerbrochene Zukunft. Mit dieser Frau ist nicht zu spaßen, wie sie dasitzt in Lederjacke, mit blitzeschleudernden Augen und einer Verletztheit, die monumental ist. Wie sie dann kühl die Fakten auf den Tisch legt: „Du hast gesagt, dass du mich liebst. Du kannst nicht gehen. Wenn du mich verlässt, muss ich dich töten.“

„Undine“ ist der jüngste und, überraschend, der schwärmerischste Film von Christian Petzold, dem deutschen Filmintellektuellen, der sich immer wieder mit der Arbeitswelt auseinandersetzt, mit selten im Kino erzählten Seiten Deutschlands, vordergründig un-cinematografischen Lebenswelten. Er hält sich dabei an seinen Lehrmeister, den großen Dokumentaristen Harun Farocki, in „Yella“ (2008) beispielsweise im Private-Equity-Wirtschaftsmilieu, und entwickelt aus nüchternen Situationen großes Drama und immer wieder eine unerwartete Hinwendung zum Übernatürlichen.

Liebe zwischen Aquariumscherben

„Undine“ handelt von der promovierten jungen Stadthistorikerin Undine Wibeau, der am Filmbeginn nun also das Herz gebrochen wurde, und für deren Darstellung Paula Beer bei der Berlinale den Silbernen Bären bekommen hat. Für Trauer ist im Augenblick keine Zeit, Undine hat nebenan einen Vortrag zu halten: Vor Modellen von Berlin erläutert sie einer Gruppe Interessierter die verschiedenen Phasen der Stadtentwicklung – wie die kaiserlichen, die nationalsozialistischen, die kommunistischen, die kapitalistischen Machthaber die Architektur der Stadt verändert haben, und was das zur Folge hatte.

Danach kehrt Undine zurück ins Cafe, hofft, ihren Ex-Freund zum Bleiben überzeugen zu können. Stattdessen stößt sie mit einem jungen Mann zusammen, und die beiden reißen im Fall ein riesiges Aquarium mit sich. Dieser Mann ist Christoph (Franz Rogowski). Er ist Industrietaucher, und jetzt ist es wirklich Liebe. Dann wird es übersinnlich und mythisch. Es ist keine Liebe wie jede andere, weil Undine keine Frau wie jede andere ist. Sie ist ein womöglich jahrtausendealtes Wasserwesen – trotz Werkvertrag, Einzimmerwohnung am Alexanderplatz und Großstadtleben. Das ahnt zu diesem Zeitpunkt aber niemand.

Szene des Films „Undine“
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Franz Rogowski und Paula Beer in „Undine“

Die Nymphe will sich emanzipieren

Die Figur der Undine, einer Nixe, stammt ursprünglich aus der Sage des Geschlechtes der Stauffenberger. Das Verknüpfen verschiedener Qualitäten von Wirklichkeit macht den Reiz von Petzolds Kino aus, in „Undine“ ganz besonders: Der Film ist auch ein vergnügtes Spiel mit Märchen und Monstergeschichten, da kommt etwa ein riesiger Fisch namens Günter vor. „Die Referenz ist das B-Kino der Fünfziger Jahre“, sagt Petzold dazu, „Filme wie ‚Tarantula‘ von Jack Arnold oder ‚Creature from the Black Lagoon‘.“

Petzold hat sich entlang von Peter von Matts literaturhistorischem Werk „Liebesverrat“ mit mehreren Inkarnationen des Undine-Stoffes auseinandergesetzt, sagt er im Gespräch mit ORF.at: von Friedrich de la Motte Fouques Kunstmärchen aus dem frühen 19. Jahrhundert über Hans-Christian Andersens „Kleine Meerjungfrau“ bis hin zu Ingeborg Bachmanns „Undine geht“. „Bei Bachmann ist es das erste Mal, dass man von dieser Nymphe Undine aus ihrer Perspektive lesen kann, und nicht über das Begehren und die Fantasien von Männern. Da hab ich die Perspektive für meinen Film gefunden.“

Eine Nixe im Dilemma

„Undine" handelt von einer Nixe im Dilemma, denn der Sage nach kann Undine nur eine Seele erlangen, wenn sie sich mit einem Menschen vermählt – und wenn der ihr untreu wird, muss sie ihn töten und ins Wasser zurück. Doch was, wenn die Undine eine glückliche Liebe erlebt?“ Genau das, sagt Undine-Darstellerin Beer im Interview, steht im Zentrum des Films: „In den literarischen Vorlagen ist Undine fast immer eine sinnliche, erotische Frau, aber unsere Undine ist eine moderne Frau, die sich von ihrer Tradition emanzipieren will. Sie will nicht mehr töten, sondern lieben.“

Regisseur Christian Petzold
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Christian Petzold

Der 1960 geborene Petzold dreht seit 1995 Kino- und Fernsehspielfilme. „Die innere Sicherheit“ wurde 2000 mit dem Deutschen Filmpreis in Gold ausgezeichnet, für „Barbara“, das Porträt einer Ärztin in der DDR, erhielt er 2012 den Silbernen Bären für die Beste Regie. Lange war Nina Hoss die Schauspielerin im Zentrum seiner Filme, „Undine“ ist nun die zweite Zusammenarbeit mit Beer und Rogowski. Fürs Fernsehen hat Petzold einige „Polizeiruf 110“-Folgen gedreht.

Fluide Körper

Die Liebesgeschichte zwischen dem Taucher Christoph und der Historikerin und Wassernymphe Undine ist zwingend: Er kennt die wasserreiche Stadt Berlin und ihre Flüsse, Brücken, Werften und Seen von unten, sie durchstreift und durchschwimmt dieselbe Stadt seit vielen Menschengenerationen. Eine hinreißende Idee, ein so altes Wesen zur Historikerin zu machen, die die neoliberale Stadtentwicklung der letzten Jahrzehnte beklagt.

Und es ist eine Geschichte zwischen zwei Personen, die nicht in Schubladen passen: Er ist weich, zärtlich und feminin, sie ist schön und maskuliner als er, ein Zwischenwesen, ein Geschöpf zwischen Wasser und Land, Wirklichkeit und Sage, so Petzold: „Es ist, als würden die Körper der beiden nicht genau ihren erwarteten Formen entsprechen, ihren erwarteten Identitäten, sie sind fluid.“

Am Strand begegnen sich die Elemente

„Fast alle meine Filme haben mit Wasser zu tun, zumindest mit Strand, Hafen, Meer, Fluss“, sagt Petzold. Sein letzter Film „Transit“, auch der schon mit Beer und Rogowski, spielte etwa im Hafen von Marseille, nach dem Roman von Anna Seghers über Menschen, die das kriegszerfetzte Europa hinter sich zu lassen versuchen. Auch da ging es um Menschen in einer Übergangssituation, zwischen Bürger- und Flüchtlingsein, zwischen Verfolgtwerden und Angekommensein.

„Agnes Varda hat einmal gesagt, sie ist am liebsten am Strand, weil dort Wasser, Luft und Erde zusammenkommen. Das ist auch, was mich daran fasziniert, in der Nähe des Wassers zu sein, weil sich dort die Elemente begegnen. Und dort finden immer Geschichten statt.“ Mit „Undine“, der voll rätselhafter, magischer Details und sachlicher Beobachtungen steckt, ist Petzold ein Liebesfilm gelungen, der Stadtporträt, Geschichte einer Emanzipation und in alledem eine Chimäre zwischen Märchen und Wirklichkeit ist – ebenso wie seine Protagonistin, die Wassernymphe.