Mutter mit ihrer Tochter am Fenster
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Coronavirus

Eltern überlastet

Nach Ansicht der Soziologin Ulrike Zartler (Uni Wien) wurde die oft schwierige Situation von Familien und Kindern in der Coronavirus-Krise bisher zu wenig im öffentlichen Diskurs beleuchtet. Eltern seien oft in eine Rollenüberlastung zwischen Familien- und Arbeitsleben geraten, Kinder hätten eine Bedrohung mitbekommen, deren Einordnung für sie mehr als schwierig ist, sagte die Forscherin am Dienstag.

Die Familiensoziologin stellte im Rahmen des Symposions mit dem Titel „Leben mit Corona“ am Institut für Höhere Studien (IHS) Ergebnisse einer Reihe von Studien vor, die sich mit den Entwicklungen in Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie auseinandersetzen. Zartler und ihr Team führten selbst eine Studie mit dem Titel „Corona und Familienleben“ durch. Dafür wurden rund um den „Lock-down“ 98 Eltern mit 181 Kindern ausführlich befragt bzw. führten ein Tagebuch.

Insgesamt könne man festhalten, dass die Pandemie „ein Katalysator für sozialwissenschaftliche Forschung war“. Alleine in Österreich wurden weit über 100 einschlägige Forschungsprojekte durchgeführt, sagte die Wissenschaftlerin. Sehe man sich die Situation der rund 900.000 Familien mit Kindern hierzulande an, falle auf, dass Eltern mit einer beispiellosen Rollenüberlastung konfrontiert waren. Das Wegbrechen von Schule und Kindergarten bzw. Betreuung durch Großeltern bei vielfach gleich bleibender bis steigender Arbeits- und psychischer Belastung oder Angst um den Job sei greifbar. Nochmals stärker betroffen von alldem waren Alleinerzieherinnen, so Zartler.

„Medien als Kinderbetreuungseinrichtung“

Um das Funktionieren von Homeoffice-Lösungen zu suggerieren, seien Kinder teilweise vor Videokonferenzen „aktiv versteckt“ worden. So mussten etwa „Medien als Kinderbetreuungseinrichtung“ einspringen, Eltern als Motivatoren für Schüler auftreten und neue Tagesstrukturen erarbeitet werden. Rückzugszeiten für Eltern gab es vielfach einfach nicht mehr, so die Soziologin. Familien, die „Corona als Urlaub“ erlebten, „gab es zwar auch“. Dieses Phänomen sei aber nur zutage getreten, wenn die familiären Rahmenbedingungen sehr positiv waren. Mit Fortdauer des „Lock-down“ habe sich diese Form des Erlebens auch durch die Bank als von kurzer Dauer herausgestellt.

Die Perspektive von Kindern sei „lange in der Diskussion nicht sichtbar“ gewesen. Insgesamt brachte und bringt der Coronavirus-Modus eine nicht kindergerechte Situation mit sich. Es fehlte etwa über lange Strecken der Austausch mit „Peers“. Ein teils merklicher Anstieg an Aggression, Bettnässen und von Ängsten zeige, dass „Kinder die Gefahr mitbekommen haben“, so Zartler. Welche Auswirkungen die Prämisse „Wenn ich jemanden liebe, muss ich Abstand halten“ längerfristig hat, werde sich erst weisen.

Eltern leiden unter „undurchsichtigen Regelungen“

In Zusammenhang mit den Schließungen im Bildungsbereich hätten sich viele Familien alleingelassen gefühlt. So musste auf ein Ausstiegsszenario lange gewartet werden, Informationen hätten einander vielfach widersprochen. Kurzum: „Die Eltern leiden vor allem unter völlig undurchsichtigen Regelungen.“ Der nunmehrige Schichtbetrieb an Schulen bringe auch Probleme mit sich, wie etwa der Schulstart im Herbst aussieht, „wird spannend“.

Ein Aspekt der Wirkung des Homeschooling sei auch das Signal, dass Schule in ihrer gewohnten Form in der Wahrnehmung vieler Schüler und Schülerinnen mitunter als unwichtig angesehen wird. Zartler: „Wir werden einiges zu tun haben, dieses Bild wieder zurechtzurücken.“

Ziviler Ungehorsam möglich

Trotz der vielen Zumutungen, die die Coronavirus-Pandemie für die Familien gebracht hat, sei es erstaunlich, wie souverän viele trotzdem agiert und wie sie „unter ganz schwierigen Bedingungen“ in gesamtgesellschaftlicher Sicht funktioniert hätten. Diese Leistung werde aber bisher oftmals in der Gesellschaft und Politik kaum wahrgenommen. Da anzunehmen ist, dass die Ausnahmesituation in Abstufungen noch aufrecht bleibe, brauche es „mehr Augenmerk auf Information und Unterstützung für diese Gruppe“, so die Wissenschaftlerin.

Beim Blick auf einen etwaigen weiteren „Lock-down“ im Schulbereich tauche in den Daten zunehmend Unmut auf. Im Fall der Fälle könnte es zu einem Ausweichen auf zivilen Ungehorsam unter Eltern nach dem Motto „Ich mach da nicht mehr mit“ kommen.