Hinweistafel über die Schutzmaskenpflicht in der U-Bahnstation
ORF.at/Carina Kainz
Coronavirus-Zahlen

Fachleute mahnen zu Abstand und Maske

Die Zahl der Coronavirus-Fälle ist in Österreich zuletzt wieder deutlich angestiegen. Fachleute sehen derzeit keine zweite Welle, mahnen aber zur Vorsicht, zumal sich das Infektionsgeschehen mit Verzögerung abbildet. Und sie appellieren an die Bevölkerung, drei einfache Maßnahmen zur Eindämmung des Virus auch weiterhin zu befolgen: Abstandhalten, das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes und Handhygiene.

Mit Mittwoch werden die CoV-Sicherheitsmaßnahmen in Österreich weiter zurückgenommen. In der Gastronomie fällt die Maskenpflicht für das Personal, im Bereich Sport werden die Mindestabstandsregeln gestrichen, und Prostitution ist wieder erlaubt. Die Lockerungen kommen zu einem Zeitpunkt, zu dem die CoV-Zahlen wieder gestiegen sind: Vor dem Wochenende galten nach Daten des Gesundheitsministeriums rund 470 Menschen als erkrankt – am Mittwoch waren es dann 677.

Die Ausbrüche seien bisher nur regional, sagte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) am Mittwoch. Die Situation auf Bundesebene sei stabil, das bleibe aber nur dann so, wenn man, wo es zu sichtbaren Clusterbildungen kommt, „sehr konsequent“ reagiere. Fachleute mahnen aber zur Wachsamkeit. Rund um Österreich mehren sich die Anzeichen auf eine zweite Welle, die überschwappen könnten, erklärten Forscher des Complexity Science Hub Vienna – mehr dazu in science.ORF.at.

Pandemie „trägeres System, als wir geglaubt haben“

Hinzu kommt: Welche Öffnungsschritte sich wie auswirken, lässt sich erst mit einigem zeitlichem Abstand beurteilen. Die Pandemie sei „ein trägeres System, als wir geglaubt haben“, sagte der Infektiologe Heinz Burgmann von der MedUni Wien gegenüber ORF.at. Jeder Öffnungsschritt führe zu mehr sozialen Kontakten, die wiederum zu einer Übertragung führen können – das bedeutet nicht automatisch, dass es auch wirklich zu einer Übertragung kommt.

Menschen warten mit Mindestabstand zueinander vor einem Geschäft
Reuters/Leonhard Foeger
Mindestabstand und Maske: Einfache Maßnahmen helfen, die Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen

Das sei „ein komplexes System“ – und mathematische Modelle, mit denen etwa die Reproduktionszahl berechnet wird, seien eben nur „virtuelle Werte“, so Burgmann. Zahlreiche Faktoren wie etwa die Temperatur, Luftzirkulation und die zeitliche Dauer der Übertragung spielen eine wichtige Rolle.

Blick in die Vergangenheit

Es werde „Situationen geben, in denen nichts passiert“, so Burgmann, aber auch solche, in denen jemand mehr Menschen als im Modell berechnet ansteckt. Und: Viele Situationen seien „nicht ganz klar vorhersehbar“. Nicht bei jeder Messe, wie etwa zuletzt in Oberösterreich, würde etwas passieren.

Burgmann verglich die Beobachtung der Pandemie mit dem Blick am Abendhimmel in die Sterne – auch dort sehe man „in die Vergangenheit“. Wer die Auswirkungen der Pandemie beobachte, sehe auch nicht den aktuellen Stand, sondern die Auswirkungen von Ereignissen, die länger zurücklägen.

Menschen im Prater nach dem Lock-Down
Reuters/Lisi Niesner
Im Sommer drängen die Menschen wieder verstärkt ins Freie – hier etwa in den Wiener Prater

Das heiße auch, dass diese Ereignisse nicht „sieben bis zehn Tage“, sondern auch mehrere Wochen zurückliegen könnten. Und es könnte auch sein, dass etwa die erste Demonstration ohne Auswirkungen bleibe, es bei der zweiten Demonstration aber zu vielen Ansteckungen komme.

„Nicht leichtsinnig sein“

Zu den Öffnungen äußerste sich Burgmann prinzipiell positiv, er sei dafür – doch man müsse testen, ob das Auswirkungen habe. Für Burgmann spricht „nichts dagegen“, Freiheiten zu geben. Das heiße aber „nicht, leichtsinnig zu sein“. Die in den vergangenen Wochen vielzitierte „Eigenverantwortung“ müsse jedoch auch wirklich „eingehalten werden“, so Burgmann. Es erhöhe sich jedenfalls die Wahrscheinlichkeit sozialer Kontakte, und das könne letztendlich zu „Superspreading Events“ führen.

Er appellierte, Abstand zu halten und das „Social Distancing“ aufrechtzuhalten – und, sollte das nicht möglich sein, eine Maske zu tragen. Wenn man „zu lange sorglos“ sei und die Verbreitung damit wieder „Fahrt aufnimmt“, dann könnte aus „kleinen Wellchen eine große Welle“ werden, so Burgmann.

Eine zweite Welle sei dann da, wenn sich das Wachstum wieder exponentiell beschleunige, wie im März. Sollte man dann „keine Cluster mehr“ ausmachen können, sondern das Virus in der Bevölkerung „zirkulieren“, „Contact Tracing“ also unmöglich sein, dann bräuchte es neue, strikte Maßnahmen. „Das muss auf alle Fälle verhindert werden. Wir haben es in der Hand, so ein Szenarium zu vermeiden“, so Burgmann.

Quarantänemaßnahmen wirksam

Die Wirksamkeit einiger Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus ist mittlerweile auch wissenschaftlich bestätigt. Das betrifft etwa Quarantänemaßnahmen. „Es hat sich gezeigt, dass die Anzahl an Neuinfektionen und Todesfällen durch Quarantänemaßnahmen reduziert werden kann. Quarantänemaßnahmen wirken besser, je früher sie in einer Pandemie eingesetzt werden“, sagte Barbara Nußbaumer-Streit, stellvertretende Direktorin von Cochrane Österreich an der Donauuniversität Krems.

Die Fachleute von Cochrane Österreich haben 29 Studien zum Thema ausgewertet. „Mit Quarantäne ist gemeint, dass Personen, die Kontakt zu Infizierten hatten, abgesondert werden – und nicht der ‚Lock-down‘“, so Nußbaumer-Streit. In Österreich wird diese Maßnahme im Rahmen des „Contact Tracing“ umgesetzt. Tritt ein Fall auf, werden die Kontakte des Betroffenen aufgespürt, und Personen mit einem hohen Risiko, sich angesteckt zu haben, werden unter Quarantäne gestellt. Die Infektionsketten ließen sich so effektiv unterbrechen, vor allem, solange die Infektionszahlen niedrig seien, so Nußbaumer-Streit.

Maskentragen auch im Sommer

Was das Aufspüren von Infizierten betrifft, sind die Behörden zuständig. Zur Eindämmung des Erregers kann man auch selbst beitragen. Eine Kombination aus Abstandhalten, Mund-Nasen-Schutz und Augenschutz könnte laut einer Übersichtsarbeit im „Lancet“ eine Infektion mit dem Coronavirus bestmöglich verhindern – mehr dazu in science.ORF.at.

Nasen-Mund-Gesichtsmasken auf Schaufensterpuppen werden zum Verkauf angeboten
Reuters/Leonhard Foeger
Der Mund-Nasen-Schutz ist ein wirksames Mittel zur Eindämmung von CoV, zeigen Studien

In der Übersichtsarbeit habe sich gezeigt, dass das Infektionsrisiko sinke, wenn Abstand gehalten werde, so Nußbaumer-Streit. „Ausgiebige Handhygiene sollte man sich ohnehin angewöhnen“, so die Expertin. Das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in schlecht belüfteten Innenräumen und Situationen, in denen der Abstand nicht eingehalten werden kann, mache ebenfalls Sinn.

Ob die Maske aus ein- oder zweilagigen Stoffschichten besteht, ist sekundär. Es gebe Hinweise, dass jede Art des MNS besser sei, als keinen zu tragen, so Nußbaumer-Streit. Gerade im Sommer kann der Stofffetzen im Gesicht alles andere als angenehm sein – ihn zu verwenden ist aber in einigen Settings weiterhin notwendig. „Wichtig ist, dass die Leute wissen, warum sie das machen: Damit man andere schützt“, so Nußbaumer-Streit.