Die Skyline von Hongkong
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Hongkong

Lebenslange Haft für Oppositionelle möglich

Chinas umstrittenes Sicherheitsgesetz für die Sonderverwaltungszone Hongkong sieht amtlichen Medien zufolge lebenslange Haft als Höchststrafe für zahlreiche Vergehen vor. Nach der Verabschiedung des Gesetzes am Dienstag gab es international scharfe Kritik am Vorgehen Pekings.

Wie die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua im Laufe des Dienstags meldete, sollen Abspaltung, Subversion und Terrorismus im Maximalfall mit Gefängnis auf Lebenszeit geahndet werden. Dasselbe gelte für „Zusammenarbeit mit ausländischen Kräften“. Auch Unternehmen oder Gruppen, die gegen das Gesetz verstießen, würden bestraft. Ihre Arbeit werde verboten.

Schon vor Bekanntwerden des vorgesehenen Strafmaßes fiel die internationale Kritik auf das Gesetz scharf aus. „Wir bedauern die Entscheidung“, sagte Ratspräsident Charles Michel am Dienstag in Brüssel. Die EU habe China ihre große Sorge über das Gesetz mitgeteilt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kritisierte das Gesetz ebenfalls: „Diese neue Gesetzgebung steht weder mit dem Grundgesetz Hongkongs noch mit Chinas internationalen Verpflichtungen im Einklang.“

Von der Leyen stellt „negative Konsequenzen“ in Aussicht

China müsse mit „sehr negativen Konsequenzen“ rechnen, so von der Leyen. So dürften beispielsweise das Vertrauen von Unternehmen und Chinas Reputation sinken. Ähnlich äußerte sich NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. „Es ist offensichtlich, dass China nicht unsere Werte teilt.“ Das gelte für Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Das neue Sicherheitsgesetz untergrabe die Autonomie und Freiheit der Bürger.

USA reagierten umgehend

Als Reaktion stoppten die USA den Export von Rüstungsgütern nach Hongkong. Zudem wird die Ausfuhr von Technologie, die dem Militär dienlich sein könnte, künftig den gleichen Beschränkungen unterliegen wie Exporte nach China. „Wir können nicht mehr unterscheiden zwischen dem Export kontrollierter Waren nach Hongkong oder auf das chinesische Festland“, sagte US-Außenminister Mike Pompeo bereits am Montag.

Die USA könnten nicht das Risiko eingehen, dass solche Güter Chinas Militär in die Hände fielen, dessen wichtigste Aufgabe es sei, „die Diktatur“ der Kommunistischen Partei aufrechtzuerhalten. Es ist dies ein weiterer Streitpunkt in dem durch den Handelskrieg ohnehin schlechten Verhältnis der beiden Nationen.

Skyline von Hongkong
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Panoramablick auf Hongkong

China kündigte Vergeltungsmaßnahmen an. „Als Reaktion auf das unrechtmäßige Vorgehen der USA wird China die notwendigen Gegenmaßnahmen ergreifen“, sagte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Zhao Lijian, am Dienstag. „Versuche der USA, China durch sogenannte Sanktionen daran zu hindern, die Gesetzgebung zur nationalen Sicherheit in Hongkong voranzubringen, werden sich niemals durchsetzen“, sagte Zhao weiter.

Demokratiepartei löst sich auf

Im Zuge der Verabschiedung des äußerst umstrittenen Sicherheitsgesetzes Pekings für die chinesische Sonderverwaltungszone Hongkong hat die prodemokratische Partei Demosisto, die großen Zulauf von Aktivisten und Aktivistinnen von den Universitäten hatte, ihre Auflösung bekanntgegeben.

„Nach vielen internen Beratungen haben wir beschlossen, uns aufzulösen und unter den gegebenen Umständen alle Tätigkeiten als Gruppe einzustellen“, teilte Demosisto am Dienstag auf Twitter mit. Bisherige Demosisto-Mitglieder würden weiterhin nach Wegen suchen, die „totalitäre Unterdrückung“ zu durchbrechen. Der Partei gehörte auch der bekannte Demokratieaktivist Joshua Wong an.

Wong, Generalsekretär der 2016 gegründeten Partei, hatte kurz zuvor seinen Austritt bekanntgegeben. Auch die neben Wong bekanntesten Persönlichkeiten der Protestbewegung, Nathan Law und Agnes Chow, kündigten ihren Rücktritt an. Mit dem Sicherheitsgesetz vor der Tür sei es „kein Unsinn“ für Anhänger der Demokratiebewegung, sich um Leben und Sicherheit zu sorgen, schrieb Wong am Dienstag auf Facebook.

Wong: „Geheimer Polizeistaat“

Der weltweit bekannte Aktivist Wong schrieb weiter, er glaube nicht, dass sich an der Beharrlichkeit der Hongkonger durch das neue Gesetz oder andere „drakonische Gesetze“ etwas ändern werde. Er wolle in Hongkong bleiben, „bis sie mich zum Schweigen bringen und auslöschen“.

Wong sagte, das Gesetz markiere „das Ende von Hongkong, wie es die Welt bisher kannte“. Auf Twitter warf Wong der Führung in Peking vor, die Stadt in einen „geheimen Polizeistaat“ verwandeln zu wollen. Monatelang war es in Hongkong wiederholt zu Demonstrationen gekommen, bei denen gegen den Einfluss Pekings und gegen Polizeibrutalität protestiert wurde. Die Demonstranten und Demonstrantinnen fordern auch freie Wahlen, wie es ihnen bei der Rückgabe 1997 an China in Aussicht gestellt wurde.

Joshua Wong, Agnes Chow, Au Nok-hin und Eddie Chu
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Die bekannten Gesichter der Demokratiebewegung: Agnes Chow, Joshua Wong, Au Nok-hin und Eddie Chu (v. l. n. r.) bei Protesten

Lam verteidigt Gesetz vor UNO

Scharfe Kritik gibt es auch an dem Vorhaben Pekings, ein Sicherheitsbüro in der Metropole einzurichten, um die Umsetzung des Gesetzes zu „überwachen“. Das neue Gesetz sieht zudem ein eigenes Gericht für Verfahren wegen nationaler Sicherheit vor, dessen Richter von der pekingtreuen Regierungschefin von Hongkong, Carrie Lam, ausgesucht werden.

Videoübertragung der Regierungschefin von Hongkong, Carrie Lam
Reuters/Denis Balibouse
Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam verteidigte das Gesetz per Videobotschaft vor der UNO

Lam verteidigte auch das Gesetz. Es werde das hohe Maß an Autonomie Hongkongs nicht aushöhlen, sagte Lam am Dienstag in einer Videobotschaft vor dem UNO-Menschenrechtsrat in Genf. Wesentliche Rechte wie die Freiheit der Rede, der Presse und die Demonstrationsfreiheit würden weiter gewährleistet.

Allen ausländischen Staaten, die das Vorgehen Chinas kritisierten, warf Lam Doppelmoral vor. „Alle, die mit dem Finger auf China deuten, haben ihre eigene Gesetzgebung zur nationalen Sicherheit“, sagte sie. Es sei kein Grund vorstellbar, warum China kein Recht haben sollte, jeden Winkel seines Staates zu schützen.

Hongkonger Parlament umgangen

Das Sicherheitsgesetz stößt in Hongkong und auch international auf scharfe Kritik. Es ist der bisher weitgehendste Eingriff in die Autonomie der chinesischen Sonderverwaltungszone. Kritiker befürchten ein Ende des Grundsatzes „Ein Land, zwei Systeme“, nach dem die frühere britische Kronkolonie seit der Rückgabe 1997 unter chinesischer Souveränität regiert wird. Mit dem Gesetz, das als Anhang ins Grundgesetz des autonomen Territoriums aufgenommen wird, umgeht die kommunistische Führung das Hongkonger Parlament.

Joshua Wong
Reuters/Jorge Silva
Wong vor Journalisten – der Andrang ist riesig

Internationale Sanktionen gefordert

Mit dem Sicherheitsgesetz geht China auf Konfrontationskurs zur Europäischen Union, den USA, Großbritannien und anderen Staaten. Diese beharren auf der weitreichenden Autonomie, die Hongkong bei der Übergabe an China bis mindestens 2047 gewährt wurde. Damals wurde das Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ verankert, das durch eine immer stärkere Einmischung der Führung in Peking aber ausgehöhlt wird.

Aus Sicht der Gruppe der großen Industrienationen (G-7) steht das neue Sicherheitsgesetz nicht im Einklang mit Hongkongs Grundgesetz und der Verpflichtung Pekings aus der chinesisch-britischen Vereinbarung.

„Subversiv, separatistisch oder terroristisch“

Ungeachtet weltweiter Kritik hatte China das kontroverse Gesetz zum Schutz der nationalen Sicherheit in Hongkong erlassen. Der Ständige Ausschuss des Volkskongresses in Peking habe das Gesetz einstimmig angenommen, berichteten übereinstimmend mehrere Hongkonger Medien. Chinas Staatschef Xi Jinping unterzeichnete am Nachmittag (Ortszeit) das Gesetz. Es richtet sich gegen Aktivitäten, die von Peking als subversiv, separatistisch oder terroristisch angesehen werden. Auch soll es „heimliche Absprachen“ mit Kräften im Ausland bestrafen.

Proteste in Hongkong
AP/Kin Cheung
Die Demokratiebewegung schaffte es, Tausende für ihre Anliegen zu begeistern

Die Verabschiedung des Gesetzes war geprägt von großer Geheimhaltung, was das Misstrauen noch verstärkte. Der einzige Hongkonger Abgeordnete in dem Ausschuss, Tam Yiu-chung, bestätigte später auch Befürchtungen, dass künftig auch eine Auslieferung von Verdächtigen „in seltenen Situationen“ nach Festlandchina möglich wird. Nichts anderes hätte schon das kontroverse Auslieferungsgesetz zum Ziel gehabt, das Hongkongs Regierung nach Massenprotesten im vergangenen Jahr aufgeben musste. Kritiker verweisen auf die mangelnde Unabhängigkeit der Gerichte in China, die eine Verurteilungsrate von 99 Prozent haben.

Hongkong feiert Rückgabe

Im Schatten des umstrittenen neuen Gesetzes begeht die frühere britische Kronkolonie unterdessen am Mittwoch den 23. Jahrestag ihrer Rückgabe an China. Auf einem weiträumig abgesperrten Areal am Hafen wurden die Flaggen der Volksrepublik und Hongkongs gehisst. Regierungschefin Lam äußerte die Hoffnung, dass mit dem neuen Sicherheitsgesetz wieder „Frieden“ einkehren werde.

Die Polizei hatte Proteste verboten. Zur Begründung war auf die Coronavirus-Pandemie und die „anhaltende soziale Unruhe“ in der
Stadt verwiesen worden. Trotz des Verbots riefen Protestgruppen dazu auf, auf die Straße zu gehen. Wie viele der sieben Millionen Hongkonger der Aufforderung folgen werden, ist angesichts der hohen Strafen durch das vage formulierte Gesetz fraglich. In den Vorjahren war es häufig zu Massendemonstrationen gekommen, die sich gegen den wachsenden Einfluss Pekings gerichtet hatten.