Innenstadt von Zagreb
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Kroatien-Wahl

Coronavirus als Damoklesschwert

In Kroatien findet am Sonntag eine vorgezogene Parlamentswahl statt, die regulär erst im Herbst hätte durchgeführt werden sollen. Wegen der Coronavirus-Pandemie war nicht nur die Wahl um einige Monate vorverlegt worden, die Krise dominierte auch den Wahlkampf. Und sie hängt auch über der Wahl wie ein Damoklesschwert: Experten warnen, dass der Urnengang aufgrund pandemiebedingter Restriktionen ungültig sein könnte.

Insgesamt bewerben sich 2.669 Kandidaten und Kandidatinnen auf 192 Listen von Parteien und Wahlbündnissen für die 151 Plätze im kroatischen Parlament. Rund 3,86 Millionen Kroatinnen und Kroaten sind zur Wahl aufgerufen. Laut Umfragen zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der regierenden konservativen Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ) von Ministerpräsident Andrej Plenkovic und dem von den Sozialdemokraten (SDP) angeführten oppositionellen Bündnis Restart Koalition mit SDP-Chef Davor Bernardic an der Spitze ab. Eine ähnliche Situation mit den beiden Großparteien gab es bereits bei den vergangenen zwei Wahlen 2015 und 2016.

Während Restart Koalition in den meisten Umfragen einen leichten Vorsprung hat und die Wahl gewinnen dürfte, schreiben Politikexperten der HDZ bessere Chancen zu, am Ende eine Regierung zu bilden. Insbesondere deshalb, weil voraussichtlich auch den dritten und vierten Platz Rechtsparteien besetzen werden, mit denen die HDZ leichter kooperieren könnte als das linksliberale Bündnis.

Der regierende Chef der konservativen HDZ, Andrej Plenkovic
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Ministerpräsident und HDZ-Chef Andrej Plenkovic

SDP im Dilemma

Der SDP, die in dem linksliberalen Bündnis bereits vier Parteien um sich versammelte, dürften dagegen passende Koalitionspartner für eine Mehrheit fehlen. Eine Große Koalition wird von beiden Seiten im Voraus ausgeschlossen, auch eine Kooperation mit anderen Rechtsparteien ist für das linksliberale Lager eher fraglich. Mit anderen Parteien, insbesondere dem links-grünen Bündnis, das gute Aussichten auf den Einzug ins Parlament hat, würde sich eine Mehrheit nicht ausgehen.

Chef der Sozialdemokratischen Partei Kroatiens Davor Bernardic
AP
SDP-Chef und Restart-Koalition-Spitzenkandidat Davor Bernardic

Eine Überraschung der diesjährigen Parlamentswahl dürfte das links-grüne Bündnis, angeführt von der Plattform Mozemo (Wir schaffen es), werden. Das Wahlbündnis von sechs linken und grünen Kleinparteien, das eine Alternative im linken Lager darstellt, hat laut Umfragen gute Aussichten auf den Einzug ins Parlament.

Mittelfinger für Rechtsnationalisten

Im Windschatten der traditionellen Konkurrenz der beiden Großparteien ist allerdings die rechtsnationalistische Partei des Folk-Popsängers Miroslav Skoro auf dem Weg, drittstärkste Kraft in Kroatien zu werden. Domovinski pokret (Heimatbewegung), die sich als eine Anti-Establishment-Partei präsentiert, positioniert sich teils weit rechtsaußen und setzt in erster Linie auf Nationalismus. Für die Wahl hatte sich Skoro mit HDZ-Abtrünnigen, die einst dem äußersten rechten Parteiflügel angehörten, verbunden.

Karte von Kroatien, Ringdiagramm mit Sitzverteilung im Parlament
Grafik: APA/ORf.at; Quelle: HR Rejting/Promocija Plus; Fotos: AFP

Skoro sorgte im Wahlkampf auch für Empörung. „Eine Frau, die bei einer Vergewaltigung schwanger geworden ist, muss mit ihrer Familie vereinbaren, was sie machen wird", sagte er bei einer Wahldebatte. Dem Protest gegen ihn schlossen sich Politikerinnen vieler Couleurs an, zuletzt auch Ex-Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic. Sie zeigte Skoro den Mittelfinger.

HDZ-Wahlspot mit Coronavirus

In dem kurzen Wahlkampf stand das Coronavirus im Mittelpunkt. Die regierende HDZ, die mit ihrer Koalitionsmehrheit die vorzeitige Wahl durchsetzte, wollte laut Ministerpräsident Plenkovic damit sicherstellen, dass Kroatien im Herbst eine neue Regierung hat, um sich einer eventuellen zweiten Epidemiewelle stellen zu können.

Laut politischen Beobachtern wollte die HDZ aber vor allem die günstige Entwicklung der CoV-Pandemie für den eigenen Wahlkampf nützen. „Sicheres Kroatien“ lautet der HDZ-Wahlslogan, im Mittelpunkt der TV-Werbung rühmt sich die Partei mit dem erfolgreichen Kampf gegen das Virus.

Infizierte Tennisprofis, widersprüchliche Entscheidungen

Doch im Endspurt des Wahlkampfes drehte sich das Thema in eine für die HDZ eher ungünstige Richtung. Das unglückliche Tennisturnier in Zadar mit infizierten Tennisprofis, die Zunahme der Infektionszahlen und widersprüchliche Entscheidungen des Krisenstabs bezüglich Grenzmaßnahmen zu Bosnien, wo bosnische Kroaten eine wichtige Wählerbasis für die HDZ darstellen, lösten eine Lawine von Kritik an der Regierungspartei aus. Das Virus prägt ebenso den Urnengang: Den Wählern und Wählerinnen wird empfohlen, mit Schutzmaske und eigenem Stift zur Stimmabgabe zu kommen.

CoV-Infizierte dürfen nicht wählen

Gewarnt wird von Experten auch, dass die Regularität der Wahl wegen coronavirusbedingter Restriktionen infrage stehen könnte. Die Anweisungen der staatlichen Wahlbehörde, wonach Infizierte von der Stimmabgabe ausgeschlossen werden, sind laut Rechtsexperten verfassungswidrig und schränken das Wahlrecht übermäßig ein.

Nach den Anweisungen der Wahlkommission dürfen jene Wahlberechtigten, die positiv auf das Coronavirus getestet wurden, nicht wählen. Auf der anderen Seite wird aber denjenigen die Abstimmung ermöglicht, denen die Selbstisolierung ohne einen CoV-Test vorgeschrieben wurde. Diese Wähler und Wählerinnen werden vom Wahlkomitee zu Hause besucht und können am Eingang zu ihrer Wohnung oder ihrem Haus ihre Stimme abgeben. Wähler, die am Wahltag Symptome einer Infektion haben sollten, müssen den Wahllokalen fernbleiben.

Experte: Wahlrecht kann nicht abgesprochen werden

Die Wahlbehörde begründet die Einschränkungen mit dem Schutz der öffentlichen Gesundheit. Die Nichtregierungsorganisation GONG, die Wahlbeobachtung betreibt, sowie mehrere Rechtsexperten kritisierten, dass den Wählern durch die Anweisungen verfassungswidrig ihr Wahlrecht weggenommen wird. „Das Wahlrecht kann niemandem abgesprochen werden, nur weil er krank ist“, so der Rechtsprofessor Branko Smerdel von der Zagreber Juridischen Fakultät laut Medienberichten. Solche Einschränkungen könnten seiner Meinung nach dazu führen, dass die Wahl für ungültig erklärt wird.

Nationalismus gegen serbische Minderheit

Im Wahlkampf spielte auch Nationalismus eine Rolle. Der Nationalismus sei „gesund und munter“, sagte die kroatische Juristin und Soziologin Antonija Petricusis am Dienstag in einer Onlinedebatte, die vom forum journalismus und medien (fjum) und der Vertretung der EU-Kommission in Wien veranstaltet wurde.

Nationalismus werde von politischen Akteuren genutzt, weil es ihren Interessen diene, insbesondere von rechten Gruppierungen, Veteranenorganisationen und der katholischen Kirche, so die Professorin der Zagreber Universität. Im Visier der Nationalisten stünden aber weniger Migranten, vielmehr die orthodoxe serbische Minderheit, die rund fünf Prozent der Bevölkerung ausmacht. Graffiti auf Hauswänden wie „Tötet Serben“ und „Hängt Serben“ zeigen die aufgeheizte Stimmung. Petricusis kritisierte die kroatischen Behörden in diesem Zusammenhang: Angriffe auf Serben würden von der Polizei nicht angemessen verfolgt und auch von führenden Politikern nicht offen verurteilt.

Balkan-Kriege noch nicht vergessen

Der Politologe Dejan Jovic zitierte eine Umfrage unter serbischen Volksschulkindern. 60 Prozent hätten Angst und Schuldgefühle, obwohl sie viele Jahre nach den Balkan-Kriegen der 1990er Jahre geboren wurden. In den Schulbüchern würden Serben vorwiegend als Aggressoren und Okkupanten dargestellt. Der Krieg werde verherrlicht, sagte der Zagreber Universitätsprofessor und frühere Berater des sozialdemokratischen Präsidenten Ivo Josipovic.