Demonstration vor Schlachthof
APA/dpa/Guido Kirchner
CoV-Hotspot

Besetzungsaktion bei Fleischkonzern Tönnies

In Deutschland ist der Hauptstandort des Fleischkonzerns Tönnies am Samstag Schauplatz einer Protestaktion gewesen. Das Gebäude wurde kurzfristig besetzt. Mitglieder eines Tierschutzbündnisses forderten die Schließung. In die Schlagzeilen gekommen war der Betrieb durch Hunderte Infektionen mit dem Coronavirus beim Personal – und der Skandal schlägt immer neue Wellen.

Tönnies ist der größte Schlachthof für Schweine in Deutschland. Zu der Protestaktion kam es am Standort Rheda-Wiedenbrück im Bundesland Nordrhein-Westfalen. Etwa 30 Personen des Bündnisses Gemeinsam gegen die Tierindustrie besetzten in der Früh das Gebäude.

Teils waren sie auf das Dach geklettert, laut deutschen Medienberichten wurden auch Zufahrtsstraßen blockiert. Dort hatten sich Menschen aneinandergekettet. Die Polizei in Bielefeld bestätigte einen Einsatz auf dem Gelände, alles laufe friedlich, hieß es Samstagvormittag. Gegen Mittag versammelten sich laut Schätzungen an die 100 Personen zu Protesten vor dem Gebäude.

Proteste nicht nur gegen Massentierhaltung

Die Besetzerinnen und Besetzer forderten eine dauerhafte Schließung des Schlachtbetriebs, sie hätten ein Transparent mit der Aufschrift „Shut down Tierindustrie“ vom Dach des Gebäudes entrollt, hieß es. Der Betrieb war in die Schlagzeilen geraten, nachdem sich in Rheda-Wiedenbrück Hunderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Tönnies Holding mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert hatten.

Hunderte CoV-Fälle in Schlachtbetrieb

Nach Angaben der Stadt waren bei einer Reihenuntersuchung unter den insgesamt 6.139 Betriebsangehörigen von Tönnies (Stand: 21. Juni) mit 1.413 etwa 23 Prozent der Belegschaft positiv auf das Coronavirus getestet worden. Die Stadt spricht vom größten einzelnen Ausbruchsgeschehen in ganz Deutschland. In dem Tönnies-Standort hatte sich das Coronavirus so weit verbreitet, dass regional Beschränkungen für die Bevölkerung der Kreise Gütersloh und Warendorf verhängt wurden. Die Causa führte auch zu einer Debatte über Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie.

Ex-SPD-Minister als gut bezahlter Berater

Unter Beschuss geriet zuletzt auch der ehemalige SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel, weil er laut einem Bericht des ARD-Magazins „Panorama“ von März bis Ende Mai als Berater für Tönnies tätig war. Er soll dafür 10.000 Euro Pauschalhonorar pro Monat und eine großzügige Abgeltung von Reisespesen erhalten haben. Deutsche Medien erinnerten daran, dass Gabriel, damals noch deutscher Bundeswirtschaftsminister, im Kontext von Massentierhaltung und Fleischindustrie von einer „Schande für Deutschland“ gesprochen hatte. Damals ging es um Arbeitsbedingungen in der Branche. Gabriel ist seit November 2019 nicht mehr Mitglied des deutschen Bundestags. Er war von 2013 bis 2017 Bundesminister für Wirtschaft und Energie und bis März 2018 Bundesaußenminister.

Vorwürfe für Gabriel „Quatsch“

Er muss sich aktuell auch gegen den Vorwurf wehren, er hätte in seiner Zeit als Wirtschaftsminister Tönnies vor einer Millionenstrafe des deutschen Bundeskartellamts bewahrt. Den bezeichnete Gabriel zuletzt gegenüber „Bild live“ als „Quatsch“. Er habe mit dem Thema nichts zu tun gehabt. „Warum soll ich mich zu solchen Vorwürfen äußern, die an den Haaren herbeigezogen sind?“ Die „Bild“-Zeitung hatte die Frage gestellt: „Was lief da wirklich mit Tönnies, Herr Gabriel?“

In einem Brief, aus dem die „Bild“-Zeitung zitierte, hatte Robert Tönnies, Neffe von Firmenchef Clemens Tönnies, entsprechende Vorwürfe erhoben. In dem Schreiben sollte Robert Tönnies die Frage gestellt haben, ob das Honorar für Gabriel als „nachträgliche Belohnung für Vorteile des Unternehmens in der Zeit der Regierungstätigkeit“ verstanden werden könne.

„Das geht gar nicht“

Er befürchte „erheblichen“ Schaden, wenn öffentlich diskutiert werde, ob Gabriel „bei der Niederschlagung der Kartellstrafe“ geholfen habe, die das Bundeskartellamt 2013 gegen den Fleischunternehmer eingeleitet hatte. Das Bundeskartellamt untersteht dem Wirtschaftsministerium. Gabriel sagte dazu in „Bild live“, er kenne den Brief von Robert Tönnies nicht, wisse aber, dass „der Neffe von Clemens Tönnies mit Clemens verfeindet ist“. Diese „Familienstreitigkeiten“ wolle er aber nicht kommentieren.

Der frühere deutsche Wirtschaftsminister verteidigte sein Handeln gegenüber der nun durch Coronavirus-Ausbrüche in mehreren Schlachthöfen scharf in die Kritik geratenen Fleischindustrie. „Ein einfaches Nachlesen der Zeitungen in der Zeit, in der ich Wirtschaftsminister war, wird ihnen zeigen, dass ich mit der Fleischbranche und auch mit Clemens Tönnies nicht besonders freundlich umgegangen bin.“ In der SPD, aber auch in deutschen Medien fielen die Kommentare zu seiner Beratertätigkeit in den letzten Tagen teils gleichfalls nicht besonders freundlich aus. „Das geht gar nicht“, zitierte die „Süddeutsche Zeitung“, der „Spiegel“ kommentierte, manchmal gehe es nicht nur um Recht, sondern schlicht um Anstand.