Insgesamt liegt die Zahl der Infizierten laut Johns-Hopkins-Universität derzeit bei 697.413 (Stand Montag), nur in den USA und in Brasilien ist sie höher. Zwar ist das in Relation zur Bevölkerung zu sehen – in Indien leben mehr als 1,3 Milliarden Menschen – doch aus China mit einer ähnlich hohen Einwohnerzahl wurden achtmal weniger Erkrankungen offiziell gemeldet.
Seit Beginn der Krise sind knapp 20.000 Menschen in Indien an den Folgen einer Coronavirus-Infektion gestorben, was wiederum ein vergleichsweise niedriger Stand ist: Sieben Länder haben mehr Tote zu beklagen. Doch wird befürchtet, dass die Krankenhäuser einen anhaltend steilen Anstieg der Fälle nicht verkraften werden.
Krankenhäuser vor Infarkt
Berichte mehren sich, wonach etwa in der Hauptstadt Delhi Kranke von einem Krankenhaus zum anderen geschickt werden, weil es angeblich keine freien Betten gebe oder sie keinen negativen Coronavirus-Test vorzeigen könnten. Manche Einwohner Delhis ziehen es mittlerweile sogar vor, trotz Symptomen zu Hause zu bleiben, schrieb die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“). Die Regierung lässt nun temporäre Spitäler in Hotels, Schulen und Stadien einrichten, aus Hunderten Eisenbahnwaggons werden provisorische Behandlungsräume gemacht.
Bekannt wurde in der Vorwoche auch, dass Indien mit Hochdruck an einem Impfstoff arbeitet, der bereits im Juli an Menschen getestet werden und im August auf den Markt kommen soll. Wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“) am Wochenende berichtete, kündigte das Balram Bhargava, der Direktor des Indian Council of Medical Research (ICMR), in einem öffentlich gewordenen Brief an.
Stufen vor der Zulassung
Phase I (gesunde Probanden) – meist weniger als 100 Teilnehmer pro Studie
Phase II (kleinere Patientenstudien) – meist 50 bis 500 Patientinnen und Patienten pro Studie
Phase III (große Patientenstudien) – mehrere hundert bis mehrere tausend Patientinnen und Patienten pro Studie
Demnach erhielt das Unternehmen Bharat Biotech grünes Licht für die Durchführung einer klinischen Phase-I- und Phase-II-Studie mit dem Medikament Covaxin, entwickelt wurde der Impfstoff in Zusammenarbeit mit dem ICMR. „Angesichts der noch nie vorgekommenen Art der Covid-19-Pandemie werden auch alle andere Impfstoffkandidaten rund um die Erde entsprechend schnell getestet“, heißt es in einer Erklärung von ICMR. Die „höchste Ebene“ Indiens beobachte die Tests, hieß es. Angesetzt sind sie auf 30 Tage.
Krishna Ella, Geschäftsführer von Bharat Biotech, erklärte gegenüber der Agentur Reuters, das Unternehmen plane, im Jahr bis zu 300 Millionen Dosen der Impfung zu produzieren, wenn die klinischen Tests erfolgreich verliefen. Es hänge nun an den regulierenden Behörden: „Viele Länder nehmen die Abkürzung. Wenn Phase I und II erfolgreich sind, können die Behörden genehmigen, die Impfung auf den Markt zu lassen.“
Normalerweise dauert es Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, bis klinische Tests abgeschlossen werden: Beim Dengue-Fieber etwa liefen sie von 1945 bis 2019, schrieb die „FAZ“. Im Zuge der Coronavirus-Pandemie allerdings legte die Testgeschwindigkeit zu. Bisher ist noch kein Covid-19-Impfstoff für den kommerziellen Einsatz zugelassen, aber über ein Dutzend von weltweit mehr als 100 Kandidaten werden am Menschen getestet. Nur ein Medikament davon, von Astra Zeneca und der Oxford-Universität, hatte allerdings bis zum 20. Juni Phase III der Tests erreicht.
„Das ist schlicht unmöglich“
Entsprechend kommentierte Kiran Mazumdar Shaw, Gründerin und Chefin des indischen Biotech-Unternehmens Biocon, die Pläne der Regierung: „Es ist schlicht unmöglich, die Phasen I bis III einer Covid-19-Impfung in sechs Wochen zu komplettieren.“
Ein Scheitern wäre für Delhi nach dem rapiden Anstieg der Infiziertenzahl – der wohl der Öffnungspolitik des Landes zuzuschreiben ist – ein neuer schwerer Rückschlag. Während des strikten „Lock-down“ ab März waren Millionen Inder und Inderinnen arbeitslos geworden und wussten nicht mehr, wie sie ihren Lebensunterhalt bestreiten sollten. Im Laufe des Mai entschloss sich die Regierung zu einer Lockerung der Bestimmungen, um noch mehr wirtschaftlichen Schaden abzuwenden.
Der Schritt wurde von Beginn an kritisiert, großteils aber auch als alternativlos angesehen. Am Montag hätten auch zahlreiche Touristenattraktionen wie das Taj Mahal in Agra wieder öffnen sollen, angesichts der prekären Lage, machte die Regierung aber einen Rückzieher. Bis wann die verlängerte Sperre gelten soll, ist unklar.