Saab 105 OE
Verteidigungsministerium/Markus Zinner
Tanner in der Defensive

Ringen um den Luftraum

Spätestens mit der Entscheidung gegen einen Ersatz für die in die Jahre gekommenen Saab 105 ist das Thema Einsatzbereitschaft des Bundesheers wieder auf dem Tisch. Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) muss sich harsche Kritik gefallen lassen. Ein Vorwurf lautet, Österreich gebe seine militärische Selbstständigkeit komplett auf. Tanner spricht von parteipolitischen Angriffen. Rückendeckung bekam sie am Mittwoch von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).

Die Saab 105 OE sind seit 1970 für das Heer in der Luft, 2021 werden die Jets, die vor allem als Schulflugzeuge, in geringerem Maß auch bei Abfangmanövern eingesetzt werden, aus Altersgründen ausgemustert. Ersatz dafür soll es keinen geben, hatte Tanner am Montag bekanntgegeben. Stattdessen soll das Heer mit dem Eurofighter weitermachen, und das auch nur, bis ein Vertragsausstieg möglich ist. Ob es den jemals geben wird, steht in den Sternen. De facto heißt das: keine Entscheidung über die Zukunft der österreichischen Luftraumverteidigung.

Der „Standard“ schrieb dazu am Dienstag, Tanners Stab „hantiert mit unkorrekten Angaben“, und verwies auf eine Aussendung aus dem Verteidigungsministerium, in der die Entscheidung gegen eine Saab-Nachfolge damit begründet werde, dass sich auch „die Kommissionen und Berichte“ nicht für eine solche ausgesprochen hätten. Allerdings: In einem Bericht aus der Zeit von FPÖ-Verteidigungsminister Mario Kunasek, welcher der Zeitung laut eigenen Angaben vorliegt, sei sehr wohl von der „Beschaffung eines Trainersystems“ die Rede.

Tanner „verdreht hier die Wahrheit“

Dazu meldete sich am Dienstag auch FPÖ-Bundesparteichef Norbert Hofer zu Wort. Tanner „verdreht hier die Wahrheit“, hieß es in einer Aussendung. Die seinerzeit von Verteidigungsminister Kunasek „eingesetzte Evaluierungskommission hat damals ganz klar empfohlen, eine Nachbeschaffung für die Saab 105 OE vorzunehmen“, so Hofer.

Hofer verwies auch darauf, dass er in der ÖVP-FPÖ-Koalition Regierungskoordinator war. Die Volkspartei habe das Projekt allerdings laufend verzögert. Laut „Standard“ wollte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) keine Entscheidung. Kunasek war von 2017 bis 2019 Verteidigungsminister.

Scharfe Kritik von Doskozil

Scharfe Kritik war schon zuvor von Hans Peter Doskozil (SPÖ), mittlerweile burgenländischer Landeshauptmann und 2016 und 2017 Verteidigungsminister, gekommen. Er nannte Tanner das mittlerweile „größte Problem des Bundesheers“. Die Ministerin kommuniziere nicht mit dem Generalstab und treffe keine Entscheidungen, sagte er in der ZIB2 Montagabend.

„Größtes Problem des Heeres ist die Frau Minister“

Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) hat entschieden, die 50 Jahre alten Saab 105 ersatzlos zu streichen und die Eurofighter weiterzubetreiben. Weitere Entscheidungen über die Luftraumüberwachung sollen erst nach dem Ende des Rechtsstreits mit Airbus kommen. Dazu im Studio: Der ehemalige SPÖ-Verteidigungsminister und jetzige burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil.

Den Eurofighter weiterzubetreiben sei die falsche Lösung, ein Umstieg auf ein anderes Flugzeug günstiger. Die Ministerin habe das teuerste System der Luftraumüberwachung prolongiert, das in Wirklichkeit den Luftraum nicht lückenlos überwachen könne, weil die – übrigens von Doskozils Parteikollegen und gleichfalls Ex-Verteidigungsminister Norbert Darabos (2007 bis 2013) verantwortete – „Österreich-Version“ nur tagflugtauglich sei. Von Kurz abwärts nehme niemand mehr das Heer ernst, so Doskozil.

„In den Abgrund“

„Tanners Weg führt Österreichs Bundesheer in den Abgrund“, so SPÖ-Landesverteidigungssprecher Robert Laimer am Dienstag in einer Aussendung. Bei Fragen von Souveränität höre sich „der Spaß auf, das hat nichts mit Parteipolitik, sondern mit dem Schutz der Verfassung zu tun“, in der die Aufgaben des Heeres eindeutig definiert seien.

Fotostrecke mit 2 Bildern

Grafik zur Luftraumüberwachung
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: BMLV und Georg Mader/Jane’s Defence
Grafik zur Luftraumüberwachung
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: BMLV und Georg Mader/Jane’s Defence

„Eine gefährliche Drohung“ nannte NEOS-Verteidigungssprecher Douglas Hoyos die Ankündigung Tanners vom Dienstag, sie wolle in Sachen Eurofighter an ihrem Weg festhalten. „Tanners Weg führt das österreichische Bundesheer nur noch weiter in den Abgrund.“ Sie solle „endlich mit diesen peinlichen Inszenierungen Schluss machen und mit der gebotenen Ernsthaftigkeit an die Sache herangehen“. Das Heer und seine verfassungsrechtlichen Pflichten seien in Gefahr.

Eine „Operettenarmee“

Die „Presse“ sah das Heer in einer Reaktion auf Tanners Ansage auf dem Weg zu einer „Operettenarmee“ und verwies auf den „Höhepunkt der Skurrilität“ einer zeitlichen Beschränkung der Luftraumüberwachung auf den hellen Tag. Für Nachteinsätze fehlt die Ausrüstung. „Natürlich“ werde die Luftraumüberwachung weiter zurückgefahren, die – auch nach Flugstunden weitaus teureren – Eurofighter könnten den Ausfall der Saab 105 gar nicht kompensieren.

„Das Argument der Ministerin, man wolle jetzt keine Entscheidung treffen, ehe die rechtlichen Verfahren mit Eurofighter abgeschlossen sind, kann nur einen Zweck haben: das unangenehme Thema vom Tisch zu bekommen. Und zwar für eine sehr lange Zeit“, so die „Presse“. Niemand wisse, ob ein Vertragsausstieg möglich ist. Das Betrugsverfahren gegen den Hersteller Eurofighter bzw. Airbus jedenfalls, angestrengt unter Doskozil, wurde eingestellt.

Bei Pilotenausbildung vom Ausland abhängig

Für das Heer bedeute die Entscheidung gegen eine Saab-Nachfolge ein „veritables Problem“, analysierte das Nachrichtenmagazin „profil“ am Dienstag. Nicht nur, dass die Luftraumüberwachung noch weniger als bisher sichergestellt werden kann. In einer Aussendung aus dem Ministerium vom Montag wird sie mit etwa zehn Stunden „Einsatzbereitschaft pro Tag“, abgedeckt zu 94 Prozent durch die Eurofighter und sechs durch die Saab-Flotte, angegeben. Ein weiteres Problem, das bisher untergegangen sei: Ohne Schulungsflugzeuge seien das Heer und das neutrale Österreich bei der Pilotenausbildung für Kampfflugzeuge „komplett von der NATO“ abhängig.

Ein Eurofighter auf dem Rollfeld
ORF.at/Roland Winkler
Eurofighter können Luftraumüberwachung nicht annähernd abdecken

Reformpläne und Kommunikation schlagen Wellen

Tanner war in den letzten Wochen mehrfach zur Zielscheibe der Kritik geworden. Auf einen Reformvorschlag aus dem Ministerium, den Schwerpunkt militärische Landesverteidigung – Aufgabe Nummer eins für das Heer – zugunsten Katastrophenschutz und Cyberabwehr zurückzufahren, folgte ein Aufschrei, Rücktrittsforderungen inklusive.

Verteidigungsministerin Klaudia Tanner
Reuters/Lisi Niesner
Reformideen aus Tanners Ministerium sorgten für heftige Kritik

Es gab ein Gespräch bei Bundespräsident Alexander van der Bellen (in seiner Funktion als Oberkommandierender der Streitkräfte). Die Ministerin betonte in einer Aussendung: „Es ist völlig klar, dass die militärische Landesverteidigung die ureigenste Aufgabe des Bundesheeres ist und bleibt, daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.“

Das „profil“ hatte außerdem im Juni von einem „Krach“ zwischen dem Generalstab und der Ministerin berichtet. Anlass: eine „Kommunikationsstrategie 2020/21 – Bundesheer als Sicherheitsgarantie für Österreich“. Diese sollte die Truppe in der öffentlichen Wahrnehmung „verstärkt als effiziente und umfassend wirkende Sicherheitsorganisation Österreichs“ positionieren, zitierte das Nachrichtenmagazin. „Der Generalstab war bei der Erstellung allerdings nicht eingebunden.“ Eine Stellungnahme sei „vernichtend“ ausgefallen. Angesichts jahrelangen Kaputtsparens sei es „absurd“ zu vermitteln, das Heer könne eine Sicherheitsgarantie bieten.

Haslauer warnt vor Zentralisierungstendenzen

Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) warnte davor, dass „Zentralisierungstendenzen im Bundesheer überhandnehmen“: „Die dezentrale Struktur über die Militärkommanden aber auch über Streitkräftekommanden ist wichtig, weil sie vor Ort in der Fläche ist.“ Die Entscheidung, die Saab-Maschinen nicht zu ersetzen funktioniere, so lange die Eurofighter einsatzfähig seien: „Wenn sie dann einmal aus irgendwelchen technischen Gründen gegroundet werden müssten, dann wird die aktive Luftraumüberwachung eine Zeit lang nicht funktionieren. Dann muss man mit Nachbarstaaten Übereinkommen treffen.“

"Parteipolitische Angriffe

Tanner wies die Kritik an ihren Plänen für die Land- und Luftstreitkräfte am Dienstag als „parteipolitische Angriffe“ zurück und sagte: „Ich halte an meinem Weg fest.“ Ihre Vorhaben seien im Regierungsprogramm verankert, so Tanner im Ö1-Mittagsjournal. Sie werde „das Bundesheer zu einem modernen Heer machen“.

Die konkrete Frage, wie die Luftraumüberwachung nach Ausscheiden der Saab 105 OE kommendes Jahr genau bewerkstelligt werden soll, ließ Tanner offen. „Die Luftraumüberwachung ist bis 2021 gesichert“, bekräftigte sie erneut. Den Vorwurf, dass sie sich Airbus ausliefere, indem sie die Luftraumüberwachung vorerst nur noch mit den Eurofightern organisieren lässt, sieht Tanner nicht. Sie habe mit Airbus nichts zu besprechen. „Man sieht sich vor Gericht. Schritt für Schritt lernt man uns jetzt kennen“, so die Ministerin in Anspielung auf ihre Aussagen am Anfang ihrer Regierungsperiode, wonach sie „Airbus noch kennenlernen“ werde. Es werde vorerst keine Aufrüstung der Eurofighter geben.

Zur Kritik ihres Vorgängers Doskozil meinte Tanner: „Ich kommentiere die Arbeiter meiner Vorgänger nicht, aber ich will hier einhaken. Auch Minister Doskozil hat in seiner zweijährigen Amtszeit sein Konzept für die Luftraumüberwachung nicht umgesetzt, und ich frage mich, warum er das nicht getan hat.“

Kurz: „Sind auf einem guten Weg“

Kurz stellte sich am Mittwoch hinter Tanner. Die von ihr geplanten Reformen beim Bundesheer seien notwendig und im Regierungsprogramm verankert. Er kenne Tanner „als sehr durchsetzungsfähige Frau, und das wird es für diese Reform brauchen“, sagte Kurz im Pressefoyer nach dem Ministerrat.

„Wir sind auf einem guten Weg.“ Die Regierung habe sich für das Militär Ziele gesetzt, die dem 21. Jahrhundert entsprechen. Neben den klassischen Bedrohungen gebe es auch neue Herausforderungen, die es vor 30, 40 Jahren so noch nicht gegeben habe. Eine Stärkung im Bereich der Katastrophenhilfe sowie der Ausbau der ABC-Abwehr seien gut und richtig.

Auch der dritte künftige Schwerpunkt Cybersicherheit sei angesichts der massiven Hackerangriffe in letzter Zeit richtig. „Hier muss investiert werden. Das ist aber kein Entweder-oder zwischen klassischer Landesverteidigung und neuen Aufgaben, sondern ein ständiger Entwicklungsprozess“, so Kurz.

Bundesheer: Stilllegung der Saab 105 in Schritten

Der Militärkommandant von Oberösterreich, Dieter Muhr, hielt indes in einer Presseaussendung am Dienstag fest, dass die für nächstes Jahr geplante Stilllegung der Saab 105 nicht auf einmal, sondern schrittweise erfolgen soll. Er kündigte zudem eine Aufrüstung von Linz-Hörsching als Startort für Eurofighter-Einsätze an. Ein fixer Eurofighter-Standort soll Hörsching aber nicht werden.

Muhr bezeichnete die Stilllegung der Saab 105 als „Ausphasen“. Das bedeute, dass sie nicht von einem Tag auf den anderen nicht mehr fliegen, sondern die Stilllegung der Flotte in Schritten erfolgen werde. Es gehe darum, die Luftraumüberwachung weiter sicherzustellen. Dazu werde es erforderlich sein, dass die Eurofighter Aufgaben von Hörsching aus übernehmen.

Hörsching soll Eurofighter-Stützpunkt werden

Der dortige Fliegerhorst Vogler soll deshalb ein Stützpunkt für die Eurofighter werden, auf dem aber keine Maschinen durchgehend stationiert sind. International werde das Forward Operating Site (FOS) genannt. Laut Muhr laufen Vorbereitungen dafür. Änderungen braucht es demnach insbesondere betreffend das nötige Personal und die Infrastruktur des Flugplatzes, wozu auch Investitionen in Hörsching nötig sein sollen.

Dabei geht es nach Angaben des Verteidigungsministeriums aber nur darum, dem Eurofighter das Starten und Landen in Hörsching zu ermöglichen. Und zwar für den Fall, dass Zeltweg als Flughafen ausfällt – etwa wenn die Landebahn saniert werden muss. Die Eurofighter fix in Oberösterreich zu stationieren, ist nach Angaben eines Sprechers nicht angedacht. Das derzeit an den Saab arbeitende Personal wird aber weiterhin gebraucht – und zwar für die ebenfalls in Hörsching stationierten Hubschrauber.