Blick über Tiflis
Getty Images/Tanatat pongphibool
Eigener Weg

Georgien als „Insel“ auf der CoV-Karte

Die Strategien im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie sind überall recht ähnlich, trotzdem funktionieren sie offenbar in manchen Ländern besser als in anderen. Als eine Art „Insel“ inmitten von Ländern mit hohen Fallzahlen machte zuletzt die Kaukasus-Republik Georgien Schlagzeilen.

Das „Rezept“ dort: rasches Handeln, Disziplin, aber auch (umstrittene) strenge Strafen. Besonders hervorgetan hat sich außerdem ein Trio von Wissenschaftlern, seither die „Musketiere“ genannt. Die BBC widmete der kleinen Kaukasus-Republik, die von Ländern mit relativ hohen Fallzahlen umgeben ist, eine ausführliche Analyse, Thinktanks in den USA und Großbritannien hatten sich den Kurs dort schon früher genauer angesehen.

Das Land hat etwa 3,7 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner und liegt zwischen der Türkei und der russischen Föderation, es grenzt außerdem an Armenien und Aserbeidschan. In den benachbarten Ex-Sowjetrepubliken, aber auch in der Türkei sind die Fallzahlen relativ zur Bevölkerungszahl teilweise um das Zehnfache höher.

Rasche Reaktion

Laut Daten der Johns-Hopkins-Universität lag die Zahl der positiv auf das SARS-CoV-2-Virus getesteten Personen in Georgien zuletzt bei 958, die Zahl der Toten bei 15. In Armenien etwa mit knapp drei Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern sind es fast 30.000 Infizierte und mehr als 500 Tote. „Wie macht Georgien das?“, fragte die BBC und verwies auch darauf, dass der Kaukasus-Staat als eines von wenigen Drittländern von der EU im Hinblick auf das Virus mittlerweile im Reiseverkehr als „sicher“ gilt.

Georgische Sicherheitskräfte
Reuters/Irakli Gedenidze
Einschränkung des öffentlichen Lebens streng kontrolliert und Verstöße sanktioniert

Der erste Fall einer Erkrankung war laut einer Presseaussendung des georgischen Gesundheitsministeriums Ende Februar diagnostiziert worden, schon Wochen zuvor sei man bereits in der Lage gewesen, Tests durchzuführen, da man sich „durchaus bewusst“ gewesen sei, „dass es nur eine Frage der Zeit war, bis das Virus das Land erreichen würde“, wurde damals Gesundheitsministerin Ekaterine Tikaradze in der auf Deutsch veröffentlichten Aussendung zitiert. Die wichtigsten Maßnahmen seien gewesen, erkrankte Personen zu identifizieren und die Öffentlichkeit zu sensibilisieren.

Die „Musketiere“ und die Pandemie

Die Grenzen wurden relativ rasch geschlossen, Mitte März folgten laut BBC Schulen, Universitäten und Geschäfte, der öffentliche Verkehr wurde eingestellt. Am 21. März sei der Notstand verhängt, Versammlungen untersagt, der Binnenreiseverkehr eingeschränkt und nächtliche Ausgangsverbote erlassen worden. Zum orthodoxen Osterfest gab es noch weitreichendere Einschränkungen.

Demonstrantin mit georgischer Fahne
AP/Shakh Aivazov
Die Regierung lobt die Kooperationsbereitschaft der Bevölkerung

Man sei sich der Gefahr der Pandemie „Monate vor dem ersten bestätigten Fall“ bewusst gewesen, zitierte die BBC Georgiens Regierungschef Giorgi Gacharia aus einem E-Mail-Interview. Anleihen bei anderen Ländern habe man dabei nicht nehmen können. Hier kamen die „Musketiere“ ins Spiel, die gemeinsam mit dem nationalen Zentrum für Seuchenkontrolle (NCDC) die Strategie geliefert hätten: NCDC-Chef Amiran Gamkrelidse, Paata Imnadse, Leiter des Lugar Research Center, und der Virologe Tengis Zerzvadse. Ein weiteres „Gesicht“ der Kampagnen sei außerdem Marina Esugbaia, medizinische Direktorin der Klinik für Infektionskrankheiten in der Hauptstadt Tiflis, gewesen.

Viel Lob und strenge Strafen

Georgien habe während des „Lock-down“ aber auch die Einhaltung der von der Regierung verordneten Maßnahmen streng kontrolliert, Privatpersonen drohten bei Verstößen Geldstrafen von umgerechnet knapp 900 Euro, Unternehmen mehr als das Dreifache. Der Aufruf „Bleiben Sie zu Hause“ sei digital an Bushaltestellen zu lesen gewesen, Telefonieanbieter verbreiteten ihn via Mobilfunknetz. Politisch sei das Land stark gespalten, trotzdem hätte eine Mehrheit der Bevölkerung die Einschränkungen des öffentlichen Lebens im Kampf gegen die Pandemie unterstützt.

Die Kooperationsbereitschaft der Georgierinnen und Georgier und deren „beispielhafte soziale Verantwortung“ im Hinblick auf die Befolgung aller relevanten Regeln und Empfehlungen habe dabei geholfen, die Infektionskurve abzuflachen. Das Osterfest im April sei die große Prüfung gewesen, hieß es bei der BBC. Religiöse Feiern wurden nicht untersagt, die mächtige orthodoxe Kirche habe einzelnen Maßnahmen auch nicht zugestimmt. Viele Gläubige hätten aber einfach den Rat der Regierung befolgt und seien diesmal zu Hause geblieben.

Völlig andere Situation im Nachbarland Armenien

Im benachbarten Armenien seien die Einschränkungen des öffentlichen Lebens schon ab Ende April wieder gelockert worden, die Wirtschaft wurde ab Mai wieder langsam „hochgefahren“, so der damals häufig verwendete Begriff für den Neustart.

Soldat in Schutzkleidung misst Körpertemperatur einer Frau
AP/Shakh Aivazov
Georgien begann schon sehr früh zu testen

Armeniens Gesundheitsminister Arsen Torosjan sagte gegenüber der BBC, dass die Zahl der Infektionen weiter steige, sich das Land aber keinen weiteren Stillstand leisten könne. Man habe sich entschieden, „mit dem Virus zu leben“. Es auszuschalten sei ohnehin nicht möglich. Das Ministerium bezifferte die positiven Fälle letzte Woche mit über 29.800, rund 520 Menschen starben daran.

Vorwurf der autoritären Politik

Die georgische Regierung habe sich aber auch Kritik gefallen lassen müssen, sie greife bei der Durchsetzung ihrer Maßnahmen zu autoritären Methoden. Mittlerweile hätten Geschäfte und Restaurants wieder geöffnet, das Tragen von Masken in Innenräumen ist Pflicht, es gibt strenge Regeln für Versammlungen.

Die US-Denkfabrik The Atlantic Council nannte den Weg Georgiens in einer Analyse im Juni den „bei Weitem erfolgreichsten“. Das britische Pendant Chatham House schrieb, die Pandemie habe die drei Kaukasus-Länder Armenien, Aserbaidschan und Georgien in unterschiedlichen Stadien der Vorbereitung darauf getroffen, ihre Reaktionen darauf würden auch auf die künftige Entwicklung in der Region nachwirken.

„Müssen in ständiger Bereitschaft sein“

Eigentlich, berichtete die BBC, hätte Tiflis die Grenzen für ausländische Besucherinnen und Besucher mit 1. Juli wieder öffnen wollen, so wie die EU Georgien (und 14 weitere Länder) als wieder „sicher“ einstufte. Das Datum wurde schließlich aber verschoben. Man bleibe eben sehr vorsichtig.

Auch wenn Georgien „wie eine Insel und Oase“ unter den umliegenden Ländern aussehe, sei das kein Grund, „uns für eine Minute auszuruhen, wurde NCDC-Chef Gamkrelidse zuletzt nach einem Pressetermin zitiert. Auch wenn die Zahl der Infizierten täglich nur um einen einstelligen Wert steige, sei das kein Anlass, sich zurückzulehnen“, so der Chef des georgischen Zentrums für Seuchenbekämpfung. „Wir müssen in ständiger Bereitschaft sein.“