Mehrere Menschen mit und ohne Maske stehen an einer Kreuzung in Tel Aviv eng aneinander
Reuters/Amir Cohen
Partys, Schulen, Gebetsgruppen

Israel im Coronavirus-Notstand

Da am Mittwoch erneut die Neuinfektionen mit dem Coronavirus in Israel auf einen Rekordwert gestiegen sind, hat das Land seine Maßnahmen nach den Lockerungen wieder weiter verschärft. Bei der Bekämpfung will Israel strategisch vorgehen und versucht, Cluster zu identifizieren. Dabei traten zuletzt insbesondere Highschool-Partys, Schulen und Gebetsgruppen in den Vordergrund.

Der „Times of Israel“ zufolge infizierten sich Dutzende Schülerinnen und Schüler in der Stadt Raanana mit dem Virus, nachdem sie an privaten Feiern zum Ende des Schuljahres teilgenommen hatten. Offizielle Abschlusspartys waren wegen der Pandemie verboten. Eine Jugendliche berichtete israelischen Medien, die Schülerinnen und Schüler hätten private DJs organisiert, engen Körperkontakt gehabt und aus den gleichen Bierflaschen getrunken. Sie und Hunderte weitere wurden deshalb in Quarantäne geschickt. Vielen droht auch eine Geldstrafe.

Erst knapp vor den Ferien hatten die Schulen überhaupt erst wieder aufgesperrt. Doch schon wenige Tage danach folgte ein Anstieg der positiv Getesteten insbesondere in Schulen. Zwar ließ sich in kaum einem Land bisher ein Cluster in Schulen identifizieren, in Israel aber deutet vieles darauf hin, wenn auch der Grund unklar ist. So wurden in einer einzigen Schule mindestens 130 Fälle verzeichnet. Eine neue Richtlinie ordnete daher an, dass jede Schule, in der ein Virusfall auftritt, geschlossen werden muss.

Zwei Männer mit Masken schwimmen im Meer in Tel Aviv
AP/Oded Balilty
Schluss mit Eigenverantwortung – in Israel gibt es wieder behördliche Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus

Zuletzt wurde außerdem insbesondere in strengreligiösen Wohnvierteln ein drastischer Anstieg an Neuinfektionen verzeichnet. Deshalb gibt es nun auch wieder starke Einschränkungen in Gebetshäusern. Strengere Regeln gelten außerdem in Bussen, Restaurants und Festhallen. Bars, Nachtclubs, öffentliche Schwimmbäder und Fitnessstudios mussten bis auf Weiteres wieder schließen. Für mehrere Gemeinden und Städte gelten Ausgangsbeschränkungen.

„Zu schnelle Lockerungen“

Der Vorsprung, den Israel noch zu Beginn der Coronavirus-Krise verzeichnet hatte, scheint nun verspielt. Für Dienstag wurden in Israel 1.320 Fälle gemeldet – so viele wie nie zuvor an einem Tag seit Ausbruch der Pandemie. Insgesamt wurden im Land bisher mehr als 32.700 Infizierte registriert. Die Zahl der täglichen Neuinfektionen hatte bereits in den vergangenen Tagen bei mehr als 1.000 gelegen.

Aus Protest gegen den Kurs der Regierung erklärte eine führende Gesundheitspolitikerin Israels am Dienstag ihren Rücktritt. Siegal Sadetzki, Direktorin für öffentliche Gesundheit im Gesundheitsministerium, schrieb auf Facebook, seit einigen Wochen habe Israel im Kampf gegen das Coronavirus die Richtung verloren. „Im Kampf gegen die erste Welle hatte Israel Erfolg, hat sich dann aber von anderen führenden Ländern entfernt, indem es schnelle Lockerungen durchsetzte“, so Sadetzki.

Daraufhin sei die Zahl der Infektionen rasch angestiegen. „Vor diesem Hintergrund bin ich zu dem Schluss gelangt, dass ich unter den neuen Umständen – weil meine professionelle Ansicht nicht akzeptiert wird – nicht mehr aktiv dabei helfen kann, gegen die Ausbreitung des Coronavirus zu kämpfen.“ Sadetzki vertrat das Ministerium zu Beginn der Pandemie häufig in der Öffentlichkeit, auch bei Pressekonferenzen mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Sie gilt als Verfechterin eines harten „Lock-down“-Kurses, wurde aber auch für das Vorhersagen von Horrorszenarien kritisiert.

Ganz in Quarantäne

Auch von anderen Seiten hagelt es Kritik für das Handeln der Regierung. Die Infektionsexpertin Galia Barkai vom angesehenen Sheba Medical Center bei Tel Aviv bemängelte etwa zuletzt die zu schnellen Lockerungen und die Krisenkommunikation der Regierung. Sie mahnte raschere epidemiologische Tests an. Netanjahu steht außerdem unter Kritik, weil er sich weniger auf die zweite Welle als auf seine Annexionspläne im Westjordanland fokussiere.

Israelischer Premier Benjamin Netanyahu mit Maske
AP/Gali Tibbon
Netanjahu hat zur Bekämpfung der Pandemie mehr Befugnisse, da die Regierung keine Genehmigung der Knesset einholen muss

Unterdessen begab sich Israels Verteidigungsminister Benny Ganz am Mittwoch vorsorglich in Quarantäne, da er möglicherweise Kontakt mit einem Coronavirus-Infizierten hatte. Weitere Untersuchungen würden folgen, so sein Büro. Dem Minister gehe es gut, und er werde aus der Isolation heraus seine Amtsgeschäfte fortführen, hieß es.

Gesetz erlaubt Notmaßnahmen ohne Knesset

Damit die Regierung schneller ihre Maßnahmen gegen das Virus umsetzen kann, gibt es nun auch eine entsprechende Genehmigung des Parlaments. Die Regierung kann jetzt Notmaßnahmen im Kampf gegen das Coronavirus ohne vorherige Genehmigung des Parlaments umsetzen. Bisher mussten Entscheidungen der Regierung von einem parlamentarischen Ausschuss gebilligt werden, bevor sie gültig wurden. Entscheidungen der Regierung werden ab sofort nur dann zurückgezogen, wenn das Parlament sie nicht nachträglich binnen einer Woche billigt. Das neue Gesetz soll vorerst nur bis zum 6. August gelten.

Die Opposition ist deshalb außer sich. Oppositionspolitiker Mickey Levy von der Zukunftspartei sprach von einem „schwarzen Tag“ und verglich Israel mit Nordkorea. Amir Fuchs vom Israelischen Demokratie-Institut (IDI) sagte: „Dieses im Schnellverfahren gebilligte Gesetz (…) ist ein weiteres Beispiel für Chaos und die Unfähigkeit der Regierung, die Coronavirus-Krise zu bewältigen.“ Es verleihe der Regierung viel zu viel Spielraum und befreie sie von der notwendigen parlamentarischen Kontrolle.

Hamas will medizinisches Team in Westjordanland schicken

Die Situation ist auch im benachbarten Westjordanland kritisch. Der Gazastreifen hingegen hat nur einige wenige Fälle registriert. Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA), die das Gebiet kontrolliert, verlängerte am Mittwoch angesichts steigender Infektionen den „Lock-down“ um fünf weitere Tage. Mit Ausnahme von Supermärkten, Bäckereien und Apotheken müssen Geschäfte geschlossen bleiben. Banken und Fabriken dürfen gemäß den Notfallverordnungen ihren Betrieb fortsetzen. Die Ausgangssperre war am Freitag in Kraft getreten.

Demonstranten mit und ohne Masken in der Stadt Arara im Westjordanland
APA/AFP/Ahmad Gharabli
Im Westjordanland demonstrierten die Menschen gegen Netanjahus Annexionspläne

Die radikalislamische Hamas, die den Gazastreifen kontrolliert, gab unterdessen bekannt, ein medizinisches Team ins Westjordanland entsenden zu wollen, um die PA bei der Bekämpfung des Virus zu unterstützen. „Ein qualifiziertes und multidisziplinäres medizinisches Team wird als Teil der Hilfe in das Westjordanland entsandt werden, um der Bedrohung durch das Coronavirus zu begegnen, und als Bestätigung dafür, dass wir trotz der verschiedenen Herausforderungen, vor denen wir stehen, in Einigkeit zusammenstehen müssen, um ihnen zu begegnen“, sagte der stellvertretende Gesundheitsminister der Hamas, Yusuf Abu al-Rush.

Es gibt noch keine Reaktion vonseiten der Palästinenser oder israelischen Behörden dazu, die wahrscheinlich an der Koordinierung eines solchen Schrittes beteiligt werden müssten. Im Westjordanland wurden binnen 24 Stunden 306 Neuinfektionen registriert. Damit gab es dort seit März bisher 4.575 bekannte Coronavirus-Fälle.