Szene aus dem Film „Gretel und Hänsel“
Polyfilm
„Gretel und Hänsel“

So finster und auch so grimmig kalt

Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald. Es war so finster – und auch so grimmig kalt. So war es in Grimms Märchen und so ist es auch in der Tim-Burton-artigen, knallig-düsteren Neuverfilmung von Regisseur Oz Perkins. Diesmal stehen ganz die Frauen im Vordergrund – deshalb auch der umgedrehte Titel: „Gretel und Hänsel“. Der Film läuft diese Woche an.

Grimms gesammelte Märchen gibt es mittlerweile in fein editierten Ausgaben zum Spottpreis zu kaufen – eine gute Gelegenheit, einmal die Originale zu lesen, statt sich nur an die in Familien tradierten, zahnloseren Varianten zu halten. Wie pädagogisch wertvoll die Märchen sind (verkürzt zusammengefasst: gar nicht), darüber ist in den letzten Jahrzehnten genügend diskutiert worden. Das unfassbar brutale Horrorpotenzial kann nach Lektüre der Originale jedenfalls niemand leugnen – da böte sich viel mehr zur Gruselverfilmung an als nur die wohlbekannten „Best-of“.

Verfilmt wird jedoch immer wieder „Hänsel und Gretel“, gerne auch in sehr trashigen Horrorvarianten. Zuletzt hat es Regisseur Jeremy Renner vor sieben Jahren mit viel Action-Trara sogar auf das beachtliche Einspielergebnis von 220 Millionen Dollar gebracht. Diese Woche läuft in jenen Blockbuster-Kinos, die offen haben, jedoch eine Art Edelversion an, „Gretel und Hänsel“ von Regisseur Perkins.

Ein Frauenmärchen

Zunächst fällt der Titel auf, bei dem die Gretel dem Hänsel vorgezogen wurde. Das kommt nicht von ungefähr, stehen in Renners Märchen doch die Frauenfiguren ganz klar im Vordergrund, vielleicht nicht unbedingt differenzierter, sicher aber kraftvoller als je zuvor. Das fängt bei jenem rätselhaften Mädchen an, das sein Überleben in der mystischen Anfangsszene teuer verkauft und, gezeichnet mit einem Mal, in den Wald zieht.

Das geht weiter mit der Mutter des Geschwisterpaares, die Gretel losschickt, um sich endlich einen Job zu suchen, am besten bei diesem einen alten, unangenehmen Scheusal von Mann, der schon von Weitem nach Missbrauch riecht. Das will Gretel nicht. Das Haus sei aber viel zu klein, beharrt die Mutter, sitzt dabei jedoch in einer Wohnküche, die locker für drei weitere Kinder gereicht hätte. Und dann natürlich Gretel selbst, die schließlich mit Hänsel im Schlepptau loszieht und sich, wie man weiß, im Wald verläuft, wo die Dinge ihren Lauf nehmen.

Szene aus dem Film „Gretel und Hänsel“
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Sophia Lillis als Gretel

Das Festmahl der Hexe

Gretel wird von Lilis gespielt, die man – sie ist horrorerprobt – aus „Es“, „Es Kapitel 2“ und vor allem der Netflix-Serie „I Am Not Okay with This“, in der sie überzeugend die Hauptfigur Sydney Novak gab, kennen könnte. In Perkins Version der Geschichte ist Gretel kein willfähriges Dummerchen, sondern eine trotz aller Schicksalsschläge selbstbewusste junge Frau, die Entscheidungen trifft und mit einer gesunden Portion Skepsis gesegnet ist – im Gegensatz zum Bruder.

Der, er ist ja auch jünger, lässt sich vom opulenten Festmahl der Hexe beeindrucken, während Gretel längst Zweifel hegt und der mysteriösen alten Dame die Frauensolidarität nicht recht abnehmen will. Bevor sie überhaupt bei der Hexe angekommen sind, erleben sie auch schon einiges, etwa einen Rausch nach dem Konsum halluzinogener Pilze – als ob es die bei der knalligen Farbgebung des Films noch gebraucht hätte.

Szene aus dem Film „Gretel und Hänsel“
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Knusper, knusper, Knäuschen! Es erwartet die beiden nichts Gutes in diesem Häuschen

Bedrohliches Grundwummern

Denn abgesehen von klar konturierten Frauenfiguren hat der Film vor allem eine Ästhetik zu bieten, die wirkt, als gäbe es auf Instagram einen Tim-Burton-Filter für ein besonders bedrohliches optisches und akustisches Grundwummern: eine hohe Farbsättigung, steile Kamerawinkel beim Abfilmen von Gesichtern und dazu Sounds, die düster hallen wie in einer Kathedrale. Die Geschichte selbst ist so grauslich, wie es sich für Kannibalenhorror gehört. Der Thrill im Sinne eines Spannungsaufbaus steht jedoch nicht im Vordergrund. Der Film ist vor allem optisch ein opulentes Mahl. Um mit der Hexe zu sprechen: Mahlzeit.