Mord in Gerasdorf: Kadyrow sieht westliche Verschwörung

Nach tagelangem Schweigen hat der tschetschenische Regionalpräsident Ramsan Kadyrow in der Nacht auf heute eine verklausulierte Stellungnahme zur Ermordung des gebürtigen Tschetschenen Martin B. alias „Ansor aus Wien“ veröffentlicht. Er beklagte darin eine Instrumentalisierung tschetschenischer Exilblogger durch westliche Geheimdienste, die gegen Russland und ihn arbeiten würden.

„Ich habe gewartet und beobachtet, wie sich die Gerüchte über die Ereignisse in Wien entwickeln. In der Folge habe ich mich noch einmal von einer voreingenommenen Informationsmaschine überzeugen können. Sie hat die These einer Beteiligung von mir verbreitet, ohne dass es offizielle Erklärungen der (österreichischen, Anm.) Ermittlungsorgane geben würde“, schrieb er auf Russisch im Onlinedienst Telegram.

Kadyrow: B. „Opfer von Geheimdiensten“

„Ansor aus Wien“, der im Februar in Frankreich ermordete Blogger „Alter Mansur“ und andere Blogger, die mit „Pseudopatriotismus“ Geld verdienten, seien Opfer von gegen Russland sowie gegen ihn agierenden Geheimdiensten geworden. Letzteren würde missfallen, dass „ich und meine treue Mannschaft“ die Kaukasus-Grenze Russlands schützten.

Er habe bereits oft von den Manipulationsmethoden des Westens erzählt. Diese „Marionetten“ würden ihr Leben genau so beenden. „Sobald sich Menschenrechtsaktivisten ‚Sorgen‘ um ein konkretes Menschenleben machen, geht dieses Leben bald zu Ende“, so Kadyrow.

„Werdet keine Marionetten“

Der Regionalpolitiker verwies auf eine tschetschenische Tradition, laut der man für Gesagtes zur Verantwortung gezogen werde. Doch aufgrund eines „Paradoxons“ sei es dazu gar nicht gekommen: „Bevor diese Hunde in Schande für jedes Wort zur Verantwortung gezogen werden können, werden sie von Mördern gerettet, die von (westlichen, Anm.) Geheimdiensten bezahlt werden“, formulierte er und spielte damit sichtlich auf B. und dessen traditionswidrige Beschimpfungen, etwa von Kadyrows Mutter, an.

Abschließend warnte der Politiker „vernünftige Menschen“ davor, sich in Geheimdienstprojekten als „Verbrauchsmaterial“ verwenden zu lassen. „Werdet keine Marionetten, kümmert Euch um Eure Familien. Sonst erwartet auch Euch dieses Schicksal. Beschuldigen wird man dann erneut Kadyrow und seine Mannschaft.“

Die Spekulationen über die Hintergründe der Ermordung B.s am Samstag in Gerasdorf klingen indes zunehmend nach einem internationalen Politthriller. Während Behörden und auch die Politik sich mit Informationen im Mordanschlag auf B. bisher zurückhielten, mehrten sich zuletzt die Spuren zu Tschetscheniens Machthaber. B. hatte nicht nur in Videos gegen Kadyrow gewettert, sondern auch über ein Attentatskomplott in der Ukraine ausgepackt.

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Videoblogger fordert Reaktion Europas

Der populäre tschetschenische Videoblogger Tumso Abdurachmanow, der im Februar in Schweden einen Anschlag überlebt hatte, forderte indes nach dem Mord an B. eine entschiedene europäische Reaktion gegen Russland. Am 18. Mai habe er B. vor einem konkreten Mordkomplott gewarnt, sagte Abdurachmanow nun in einem Telefonat mit der APA.

Kopfschuss führte zu Tod

Indes bestätigte die Staatsanwaltschaft Korneuburg (Niederösterreich) einen Kopfschuss als Todesursache des 43-jährigen Tschetschenen. Wie Gudrun Bischof von der Staatsanwaltschaft Korneuburg zudem heute mitteilte, wurde der Mann auch mehrmals am Oberkörper getroffen.

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Polizeischutz für Familie des Opfers

Die Familie des Erschossenen befinde sich aktuell unter Polizeischutz, wie Johann Baumschlager, der Sprecher der Exekutive, heute sagte. Gefragt nach einer Zusammenarbeit mit ausländischen Behörden in der gegenständlichen Causa sagte Baumschlager, diese sei „in diesem Fall“ selbstverständlich.

Vonseiten der Staatsanwaltschaft Korneuburg wurde darauf verwiesen, dass seitens der Anklagebehörde unter anderem die Sicherstellung der beteiligten Fahrzeuge sowie mehrerer Mobiltelefone angeordnet worden sei. Ein Sachverständiger auf dem Fachgebiet des Schießwesens sei „mit der Rekonstruktion der Schussabgabe“ beauftragt worden. Die Frage, ob einer oder beide Verdächtigen auf den 43-Jährigen gefeuert habe, könne erst nach Vorliegen dieser Expertise abschließend geklärt werden, hieß es.