Bulgariens Präsident Rumen Radev bei einer Demonstration in Sofia
Reuters/Stoyan Nenov
Oligarchen, Proteste und Strände

Machtkampf in Bulgarien eskaliert

In Bulgarien ist mitten während der Coronavirus-Pandemie ein Machtkampf auf höchster Ebene eskaliert. Vordergründig geht es um das Agieren und die Unabhängigkeit der Justiz – im Hintergrund aber um den Einfluss mächtiger Oligarchen auf die Politik und den Schutz öffentlicher Strände. Zudem geht es auch um West- oder Russlandorientierung. Neue Massenproteste setzen die Regierung von Boiko Borissow unter Druck.

Während am Freitagabend Hunderte jubelnde Anhänger der Regierung des Konservativen Borissow die Aufnahme des Landes in den Wechselmechanismus II der EU – eine Art Wartezimmer für den Euro – begrüßten, forderten gleichzeitig auf einer anderen Kundgebung Hunderte Anhänger des Staatspräsidenten Rumen Radew den Rücktritt Borissows.

Radew selbst, der den oppositionellen Sozialisten nahesteht, beteiligte sich an der Aktion vor dem Präsidialamt, das unmittelbar gegenüber dem Regierungssitz liegt. „Wir sind hier, um faire Wahlen zu fordern“, sagte Radew. Auch Borissow schloss sich der Kundgebung seiner Anhänger an. Ein enormes Polizeiaufgebot hielt die Kundgebungen beider Lager auseinander.

Streit um Strand

Proteste gegen die Regierung Borissow sind nicht neu. Doch durch jüngste Ereignisse könnten sie zu einer neuen großen Protestbewegung anwachsen. Auslöser der jüngsten Proteste, die in Vielem an die Massenproteste von 2013 und 2014 erinnern, war eine Aktion des Chefs von Da, Bulgaria (Ja, Bulgarien), Hristo Ivanov, der sich für eine durchgreifende Justizreform einsetzt. Er landete mit einem Schlauchboot auf einem Schwarzmeerstrand bei Burgas.

An der Stelle befindet sich ein Anwesen des ebenso umstrittenen wie einflussreichen Politikers Ahmed Dogan, und der dazugehörige Strand, obwohl öffentlicher Grund, ist de facto abgesperrt. Ivanov wurde tatsächlich umgehend von Securitys und Polizisten vom Strand zurück ins Boot verfrachtet, wie ein Video und Fotos von der Aktion zeigen.

Dogan, der lange Chef der Partei der ethnischen Türken war, gilt laut der Nachrichtenwebsite Politico auch nach seinem offiziellen Ausscheiden aus der Politik weiter als Macher hinter den Kulissen und Verbündeter von Regierungschef Borissow. Im Streit um den Strand geht es zugleich auch um Proteste von Naturschützern und den Vorwurf, dass die Schwarzmeerküste zugebaut wird.

Razzia bei Präsident nach Kritik

Radew, der seit Jahren einen erbitterten Machtkampf gegen Regierungschef Borissow führt, betonte, es gebe keinen Grund, warum Polizisten Dogans Besitz bewachen. Radew behauptete, es handle sich dabei um Mitglieder des Sicherheitsdienstes NSO. Personenschutz für Dogan durch den NSO sei nicht angebracht, so Radew, der eine entsprechende Prüfung forderte. Borissow entgegnete, der Präsident sei selbst für den NSO zuständig.

Einen Tag später folgte eine Razzia in den Amtsräumen von Präsident Radew – angeordnet von Generalstaatsanwalt Geschew. Die Razzia am Donnerstag fand laut offiziellen Angaben im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen Mitarbeiter des Staatschefs statt. Einer von ihnen befindet sich demnach wegen einer angeblich dubiosen Kontaktvermittlung zwischen einem Geschäftsmann und dem Präsidenten im Visier der Justiz. Der andere Mitarbeiter steht im Verdacht, Verschlusssachen des Geheimdienstes öffentlich gemacht zu haben.

Bulgariens Präsident Rumen Radev bei einer Demonstration in Sofia
APA/AFP/Nikolay Doychinov
Der ehemalige Kampfpilot Radew liefert sich seit Jahren einen Machtkampf mit Borissow

Präsident ermutigt Demonstranten

Mehrere tausend Demonstranten protestierten daraufhin Donnerstagabend in der Hauptstadt Sofia gegen das Vorgehen der Justiz. Sie warfen der konservativen Regierung von Borissow sowie Chefankläger Geschew ein Komplott gegen den sozialistischen Staatschef vor. Radew selbst rief in einer kurzen Rede vor den Demonstranten dazu auf, die „Mafia“ innerhalb der Regierung und Staatsanwaltschaft zu vertreiben.

Radew sagte zu den Demonstranten, er verstehe ihre Wut, nach all den Jahren der Lügen und Korruption. „Das ist ein Kampf für unsere Würde, für unsere Kinder, für unsere Zukunft – für unsere Natur. Ein Kampf für ein faires, modernes und europäisches Bulgarien“, so Radew zu den Demonstrierenden. Radew ist ein scharfer Kritiker der Borissow-Regierung, der er „Verbindungen mit den Oligarchen“ vorwirft. Er plädiert auch für Verfassungsänderungen, um die Vollmachten des Chefanklägers einzuschränken und ihn einer stärkeren Kontrolle zu unterziehen.

Der Protest wird von der zivilgesellschaftlichen Initiative „Gerechtigkeit für alle“ getragen. Laut der Nachrichtenwebsite Balkaninsight nehmen daran neben Vertretern der oppositionellen Sozialisten auch viele Liberale teil. Ihr Protest richte sich vor allem gegen Borissow und Generalstaatsanwalt Ivan Geschew, der von vielen als verlängerter Arm Borissows gesehen werde.

Bulgariens Premierminister Boyko Borisov
Reuters/Ludovic Marin
Korruption und der innenpolitische Kampf zwischen den zwei größten Lagern lähmen das von Borissow regierte Land

Harte Bandagen

Geschew seinerseits wies die Vorwürfe zurück, aus politischen Motiven zu handeln. Die Staatsanwaltschaft agiere auf der Grundlage von Beweisen und „kümmert sich nicht um politische Konsequenzen“, sagte er.

Der Machtkampf in Bulgarien hat viele Ebenen und Facetten und wird seit Jahren mit harten Bandagen geführt. Zuletzt waren etwa Fotos aufgetaucht, die angeblich aus Borissows Schlafzimmer stammen. Darauf sind neben einer Pistole auf dem Nachttisch auch Bündel von 500-Euro-Scheinen und kleine Goldbarren zu sehen. Borissow sprach von bearbeiteten Bildern und wies es von sich, mit Geld im Bett zu schlafen. Damit solle nur sein Plan, Bulgarien in die Euro-Zone zu führen, desavouiert werden, so der Regierungschef.

Borissow und seine konservative Partei gelten als EU-freundlich, während die Sozialisten als eher EU-skeptisch und russlandfreundlich betrachtet werden. Borissows Partei ist auf Ebene der EU Teil der EVP-Familie, die Sozialisten Teil der Fraktion der Sozialdemokratischen Parteien.

„Personifikation der Absprachen“

Politico verweist aber auch auf einen anderen, personellen Konnex: Dogan, der Borissow nahesteht, hat demnach engen Kontakt mit dem Abgeordneten und Medienmacher Delyan Peevski. Dieser wurde von Reporter ohne Grenzen als die „Personifikation“ der Absprachen zwischen Politik, Medien und Oligarchen bezeichnet. Als er 2013 zum Geheimdienstchef aufsteigen sollte, löste dies Massenproteste aus. Nach der jüngsten Eskalation mit der Razzia in Radews Büros gehen laut Balkaninsight einige davon aus, dass dies erneut Massenproteste auslösen könnte.