Menschen mit libyscher Flagge
APA/AFP/Fadel Senna
Wirecard

Marsaleks dubiose Libyen-Pläne

Die Fahndung nach Ex-Wirecard Vorstand Jan Marsalek gestaltet sich nicht nur als äußerst schwierig, sie involviert auch immer mehr die nationale wie internationale Politik. Neben Russland soll sich der Österreicher auch in Libyen engagiert haben. Der „Financial Times“ („FT“) zufolge wollte er dort 15.000 Milizsoldaten anheuern – offenbar, um die Migration in Richtung Europa zu kontrollieren. Als Marsalek seine Vision zu Beginn 2018 in München kundgetan haben soll, hatte er ein halbes Jahr später einen Termin im Innenministerium.

Seit 2015 schon soll Libyen eine Art Schwerpunkt persönlicher Interessen Marsaleks gewesen sein, berichtete die „FT“. Seine Aktivitäten dort würden geheimnisvolle Projekte umfassen, die ihn quer durch den Nahen Osten geführt hätten, oft auch in Konfliktgebiete wie Libyen. Seit dem Sturz von Machthaber Muammar al-Gaddafi ist das nordafrikanische Land zum Schauplatz eines verstecken Interessenkriegs geworden zwischen der Einheitsregierung in Tripolis und General Chalifa Haftar, der den Osten des Landes regiert.

In den vergangenen sechs Monaten sprach die „FT“ mit zahlreichen Personen, die direkt mit Marsalek an Projekten in Libyen gearbeitet haben sollen. Dabei habe der 40-jährige Vorstand des deutschen Zahlungsdienstleisters immer wieder in Gesprächen mit Abenteuern aus dem Nahen Osten geprahlt und mit welchen einflussreichen Personen er es zu tun habe.

Treffen in Stadtvilla in München

Eines dieser Gespräche soll sich im Februar 2018 in Marsaleks Stadtvilla in München zugetragen haben, die direkt gegenüber des Geländes des russischen Konsulats in der bayrischen Stadt steht. Der offizielle Zweck des Treffens war laut „FT“ die „Erörterung des humanitären Wiederaufbaus in Libyen“.

Monate zuvor soll Marsalek durch Kontakte, die er bei der Österreichisch-Russischen Freundschaftsgesellschaft (ORFG) geknüpft hatte, eine kleine Gruppe österreichischer Sicherheits- und internationaler Entwicklungsexperten für ein solches Projekt rekrutiert haben. Die ORFG ist eine von der russischen Regierung unterstützte Organisation zur Förderung der Vernetzung hochrangiger politischer Entscheidungsträgerinnen und -träger in Russland und Österreich.

Verbindung zu FPÖ?

Ein Vertrauter Marsaleks, von der „Presse“ als Mittelsmann S. bezeichnet, soll einerseits Finanzreferent der ORFG sein, andererseits auch eine Firma mit Ex-ÖVP-Innenminister Ernst Strasser (Russia GmbH) gehabt haben. Marsalek soll überdies über diese Ecke ein geheimer Informant der FPÖ gewesen sein, so die Zeitung. Auf diese Weise habe er über Mittelsmann S. vertrauliche Informationen aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und dem Innenministerium an die FPÖ weitergegeben.

Das habe Misstrauen gegen den damaligen Koalitionspartner ÖVP hervorgerufen und eine Rolle im BVT-Skandal gespielt. Ans Licht gekommen ist das durch das Handy von Ex-FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus, das ihm nach Bekanntwerden des „Ibiza-Videos“ bei einer Hausdurchsuchung abgenommen wurde. Darauf sollen sich unter anderem Nachrichten mit Insiderinfos zwischen Gudenus und dem Mittelsmann befinden. Die Verkettung von Marsalek zur FPÖ gilt als Zufallsfund der Ermittler in der Causa „Ibiza“. Die FPÖ dementiert vehement.

„FT“: Plan einer Miliz an südlibyscher Grenze

Wie Informanten der „FT“ berichteten, soll Marsalek einigen Bekannten auch Geld geboten haben, um ihn bei seinem Vorhaben in Libyen zu unterstützen. Dieses habe außerdem weniger mit humanitärer Hilfe zu tun gehabt, als viel mehr mit einem gewaltsamen Stopp der Flüchtlings- und Migrationsbewegungen über das Mittelmeer. Libyen ist ein Zwischenziel vieler Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten, deren Ziel Europa ist.

Marsaleks dubioser Plan war der „FT“ zufolge, die sich auf drei seiner Mitarbeiter sowie ein Protokoll beruft, 15.000 Milizsoldaten zu rekrutieren, die mit Waffengewalt Menschen an der südlibyschen Grenze davor abhalten sollten, weiter Richtung Norden zu ziehen. „Dies könnte seiner Meinung nach bei der nationalen Regierung in Tripolis als Druckmittel gegen die Machthaber im Osten eingesetzt werden. Die Schließung der Grenze kann der EU als ‚Lösung der Migrationskrise‘ verkauft werden“, so ein Informant zu der Zeitung.

Besuch im FPÖ-Innenministerium

Ex-Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) bestätigte am Freitag einen Besuch Marsaleks während seiner Amtszeit. Marsalek habe im Sommer 2018 in Anwesenheit von Beamten des Hauses einen Vorschlag im Bereich des Asylwesens präsentiert, sagte Kickl. Konkret sei es um die Bekämpfung illegaler Einwanderung gegangen. Kickl war laut eigener Angabe aber nicht dabei.

„Meines Wissens gab es keine konkreten Initiativen oder Veranlassungen basierend auf diesem Termin“, so der nunmehrige Klubchef der Freiheitlichen in seiner Stellungnahme am Freitag. Die weitere Bearbeitung habe damals die Abteilung für Internationale Angelegenheiten im Innenministerium übernommen.

Russlands Einfluss in Libyen

Russland hatte unterdessen sein Engagement in Libyen in den letzten Jahren erheblich ausgeweitet, wenn auch strikt inoffiziell. „Russland ist in keiner Weise an militärischen Aktivitäten in Libyen beteiligt und hat nichts mit diesen Gruppen zu tun“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow gegenüber der „FT“. Doch ein UNO-Bericht vom Mai kam zu dem Schluss, dass zwischen 800 und 1.200 Mitarbeiter der Wagner-Gruppe, einem russischen privaten Sicherheits- und Militärunternehmen, seit Oktober 2018 in Libyen aktiv waren.

Wenn der Kreml eine Einflussnahme auch bestreitet, könnte Libyen dennoch für Russland eine Vielzahl geostrategischer Möglichkeiten bedeuten: Einerseits könnten die dortigen umkämpften Gebiete als Absatzmarkt für Waffen dienen, andererseits könnte Russland so seinen Einfluss gegenüber der EU und der NATO stärken, wenn es um eines der heikelsten Themen der vergangenen Jahre zwischen den EU-27 geht: Flucht und Migration.

Internationaler Haftbefehl gegen Marsalek

Von internationalem Interesse ist nun, inwiefern Marsalek mit dem russischen Geheimdienst GRU verbandelt sein könnte – jener Behörde, die für den verdeckten Krieg in der Ukraine, die Manipulation der Präsidentschaftswahl 2016 in den USA und nicht zuletzt den Mordversuch an dem Ex-Spion Sergej Skripal im britischen Salisbury verantwortlich gemacht wird. Auch damit soll Marsalek im Sommer 2018 geprotzt haben: Er habe Geheimdienstdokumente gesehen, die unter anderem die exakte Formel für das Nervengas Nowitschok enthalten hätten, welches beim Anschlag auf den ehemaligen russischen Doppelagenten Skripal und dessen Tochter zum Einsatz gekommen war.

Marsalek ist nach der Implosion des Zahlungsdienstleistungsunternehmens Wirecard verschwunden. Es wurde ein internationaler Haftbefehl gegen ihn erlassen. Die deutsche Staatsanwaltschaft sieht den Ex-Vorstand als einen der Hauptverdächtigen in einem riesigen Betrug, der jahrelang die Bilanz und die Gewinne des Unternehmens aufgebläht und dazu beigetragen hat, es in den renommierten DAX-30-Index zu katapultieren. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.