Der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts Christoph Badelt
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Coronavirus

WIFO-Chef warnt vor hoher Arbeitslosigkeit

Der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO), Christoph Badelt, hat am Sonntag in der ORF-„Pressestunde“ vor hoher Arbeitslosigkeit in Österreich in den nächsten Jahren gewarnt. Die Arbeitsmarktpolitik müsse daher einer der wichtigsten Bereiche in der Post-Coronavirus-Politik sein. Wirtschaftswachstum alleine sei nicht alles.

Die durch das Coronavirus ausgelöste Wirtschaftskrise sei – gemessen am Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und der rasant gestiegenen Arbeitslosigkeit – die tiefste Krise seit 100 Jahren. Sie dürfte aber viel kürzer als vergangene Krisen sein. Nach dem Rückgang um zehn Prozent im zweiten Quartal erwarte man im dritten Quartal schon wieder positive Wachstumsraten. Doch auch das Wachstum im nächsten Jahr werde die Wirtschaft nicht auf das Vorkrisenniveau zurückbringen, so Badelts Prognose.

Der WIFO-Chef erwartet, dass trotz Wachstums die Arbeitslosenzahlen hoch bleiben. Im Herbst werde man daher eine coronavirusspezifische Verlängerung der Kurzarbeit brauchen. Weiters müsse man auch die „gewöhnliche Arbeitsmarktpolitik“ betreiben, um die hohe Arbeitslosigkeit abzubauen. Dazu gehöre eine breite Palette an Maßnahmen, von einer guten Ausstattung des Arbeitsmarktservice (AMS) über eine Qualifizierungsoffensive und mehr Lehrstellen bis zu einer besseren Bildungspolitik.

Badelt rechnet mit Pleitewelle im Herbst

Die von der SPÖ geforderte Viertagewoche sollte man „sachlich diskutieren“, sagte er. Er halte aber nichts davon, der Wirtschaft zusätzliche Kosten aufzubürden durch eine zentrale Vorgabe der Arbeitszeit. Klüger sei es, auf Kollektivvertrags- und Branchenebene zu agieren. Der Vorschlag spreche ein langfristiges Thema an, nämlich die Folgen der Digitalisierung, und ein kurzfristiges, das Auslaufen der Kurzarbeit.

Badelt rechnet mit Insolvenzen im Herbst

WIFO-Chef Christoph Badelt rechnet mit einer Pleitewelle im Herbst. Das sagte er am Sonntag in der ORF-„Pressestunde“.

Im Herbst drohe eine Pleitewelle, weil die Klein- und Mittelunternehmen in Österreich im Schnitt eine zu geringe Eigenkapitalausstattung hätten und weil dann diverse Stundungen aus der Coronavirus-Zeit, etwa für Finanz- und Sozialabgaben, auslaufen. Daher müsse man die Betriebe durch Eigenkapital unterstützen und auch privates Kapital über einen Fonds, der sich an Betrieben beteiligt, mobilisieren. „Das wird sehr, sehr rasch notwendig sein“, sagte Badelt.

„Es geht auch ohne Wachstum“

Angesprochen darauf, ob sich das Wirtschaftssystem angesichts der Krise nun ändern müsste, bestritt Badelt, dass das derzeitige System nur funktioniere, wenn es auch Wachstum gebe. „Es geht leichter mit Wachstum, aber es geht auch ohne Wachstum“, so der WIFO-Chef. Seiner Ansicht nach gehe es nicht darum, wie stark, sondern wie man wächst, und wer am Wachstum partizipiert. Es gebe schon Politiker und Politikerinnen, die das auch so sehen, aber diese seien „meist nicht an der Macht, oder sie sind eher im Rang vom Bundespräsidenten als Mahner“, sagte Badelt.

Änderungen im Wirtschaftssystem durch Coronavirus

WIFO-Chef Christoph Badelt hat in der ORF-„Pressestunde“ gesagt, dass es nicht immer auf das Wirtschaftswachstum ankomme. Mit Wachstum sei alles leichter, aber ohne gehe es auch.

Man müsse dafür sorgen, dass man jene Gruppen in das Wachstum miteinbezieht, die in Sachen materieller Wohlstand „noch ganz weit unten liegen“. Es gehe darum, Wachstum nicht zu vergöttern für Produkte, ohne die man auch leicht leben kann. Menschen sollten aber die freie Wahl haben, was sie konsumieren – „solange sie sich nicht schädlich verhalten. Wenn sie sich schädlich verhalten, dann müssen sie dafür bezahlen. Dann müssen sie über den Preis bestraft werden.“

„Was immer es kostet“: Vertrauen schaffen

Die milliardenhohen Staatshilfen für die österreichische Wirtschaft hält der Wirtschaftsforscher für grundsätzlich richtig. Die Botschaft „was immer es kostet“ sei notwendig gewesen, um Vertrauen zu schaffen. Bei der Umsetzung habe es sicher bürokratische Probleme gegeben, das sollte man auch einräumen. Nach der Coronavirus-Zeit gebe es einen großen Bedarf an Investitionen in Pflege und Gesundheit, Forschung, Verkehr und Klimaschutz.

Beim umstrittenen Wiederaufbauprogramm der EU erwartet Badelt einen Kompromiss. „Es wäre nicht klug, Italien im Regen stehen zu lassen, es wäre auch nicht wirtschaftlich sinnvoll“, so der Ökonom und zieht einen Vergleich mit der Bankenrettung durch den Staat bei der Heta. So ein großes Land wie Italien könne man nicht einfach wirtschaftlich fallen lassen. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der mit Schweden, den Niederlanden und Dänemark bisher auf der Bremse stand, habe einen möglichen Kompromiss schon angedeutet. Wenn das Geld in die richtigen Bereiche wie Forschung und auch Pflege fließe, sei es ein guter Plan.

USA mit „unmoralischem Experiment“

In den USA laufe derzeit ein „riesiges unmoralisches Experiment“, weil man in der Coronavirus-Pandemie Krankheit und Tod von Hunderttausenden in Kauf nehme, aber die Wirtschaft nicht beeinträchtigen wolle, sagte Badelt. Das sei eine „paradoxe Situation“: Er halte es für moralisch verwerflich, für die Wirtschaft könnte es aber besser sein als ein „Shut-down“. Wenn Amerika in eine Totalwirtschaftskrise falle, könne das der Nukleus für eine Weltwirtschaftskrise sein.

Angesprochen auf die Struktur des WIFO verteidigte er den sozialpartnerschaftlich besetzten Vorstand. Die wissenschaftliche Arbeit der Wirtschaftsforscher erfolge völlig unabhängig davon, betonte er. „Das Entscheidende ist, dass wir unsere Projekte durchziehen können, ohne dass uns jemand vorgibt, was herauskommen soll.“