Fracking-Bohrturm
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Ende des Booms

Fracking-Kollaps als Zeitbombe für Umwelt

Öl- und Gasunternehmen in den USA, die in der Vergangenheit in das vermeintlich lukrative Geschäft des Frackings gedrängt haben, reichen derzeit der Reihe nach Insolvenz ein. Der Rückgang der Ölnachfrage im Zuge der Pandemie ist nur einer der Gründe. Der wirtschaftliche Kollaps droht ein Umweltdesaster auszulösen – Bohrlöcher, aus denen massenhaft Methan entweicht, werden ohne Vorsichtsmaßnahmen zurückgelassen.

Ende Juni erwischte es auch den Fracking-Pionier Chesapeake Energy: Das Unternehmen aus Oklahoma City meldete Gläubigerschutz unter Chapter 11 des US-Insolvenzrechts an – der Schuldenstand beläuft sich auf knapp zwölf Milliarden Dollar (rund 10,6 Mrd. Euro). Ende 2008 besaß das Unternehmen laut eigenen Angaben Bohrrechte an rund 60.000 Quadratkilometern – einer Fläche beinahe so groß wie die Niederlande und Belgien zusammen, schrieb das deutsche „Handelsblatt“.

Schon in den vergangenen Jahren, als die Energiepreise zwar fielen, aber noch deutlich über dem derzeitigen Niveau lagen, verschärften sich bei vielen Unternehmen die Probleme. Doch der große Niedergang der Branche habe vermutlich gerade erst begonnen, schrieb die „New York Times“ („NYT“) am Wochenende. Fast 250 Öl- und Gasunternehmen könnten bis Ende kommenden Jahres Insolvenzschutz beantragen, mehr als in den vergangenen fünf Jahren zusammen, wurde das Analytikunternehmen Rystad Energy zitiert.

Arbeiter hantieren mit Bohrkopf
AP/Ralph Wilson
Chesapeake Energy hat sich dramatisch verkalkuliert und einen milliardenschweren Schuldenberg angehäuft

Rystad-Analysten erwarten, dass die Ölnachfrage bis zum Ende des Jahrzehnts – unabhängig von der Coronavirus-Pandemie – dauerhaft zurückgehen wird: Die Kosten für erneuerbare Energien würden sinken, die Energieeffizienz verbessert werden und der Kampf gegen den Klimawandel zur Schwächung des Frackings führen, das die USA zuletzt zum größten Ölproduzenten der Welt gemacht hat.

Methangas-Emissionen außer Kontrolle

Was das für die Umwelt bedeuten könnte, skizzierte die „NYT“: „An dem Tag, an dem der hoch verschuldete texanische Ölproduzent MDC Energy vor acht Monaten Konkurs anmeldete, entwich aus einem Tank einer seiner Quellen immens viel Methan, ein potentes Treibhausgas, in die Atmosphäre. In der vergangenen Woche traten noch immer gefährliche, unsichtbare Gase aus." Schätzungen zufolge würde das Unternehmen mehr als 40 Millionen Dollar benötigen, um seine Bohrlöcher ordnungsgemäß und sicher zu schließen – Geld, das angesichts der Passiva von mehr als 180 Mio. Dollar uneinbringlich ist.

Schon vor dem gegenwärtigen Niedergang wurde laut einer aktuellen, in „Science Advances“ publizierten Studie doppelt so viel Methan in den Fracking-Anlagen freigesetzt wie zuvor geschätzt. Befürchtet wird, dass die Bemühungen zur Behebung von Methanlecks im Zuge der vielen Stilllegungen nun komplett versiegen. Dabei ist Methan ein sehr starkes Treibhausgas, viel stärker als Kohlenstoffdioxid. Zwar zerfällt es auf natürliche Weise zehnmal so schnell wie CO2, nimmt dabei aber viel mehr Wärme auf. Die Wissenschaft geht davon aus, dass Methan deshalb etwa 25-mal stärker den Treibhauseffekt beschleunigt als Kohlenstoffdioxid.

Ölförderung in Loving County, Texas
Reuters/Angus Mordant
Die Fracking-Industrie steckt in einer schweren Krise – Auswege gibt es kaum

„Die Löcher sind da und sie sind undicht“

Washington schätzt, dass es in den USA bereits jetzt mehr als drei Millionen stillgelegte Öl- und Gasbohrlöcher gibt, die das Äquivalent der jährlichen Emissionen von mehr als 1,5 Millionen Autos freisetzen. Die meisten Unternehmen dürften nicht genügend Geld beiseitegelegt haben, um Bohrungsstandorte, wie gesetzlich eigentlich vorgeschrieben, wieder in ihren ursprünglichen Zustand zu versetzen. Eine für die „NYT“ erstellte Analyse der Jahresabschlüsse der kürzlich bankrottgegangenen Öl- und Gasunternehmen zeigt ein grobes Finanzierungsdefizit auf.

„Die Löcher sind da und sie sind undicht. Und sie sind viel undichter als bei Bohrungen, die noch im Gange sind und überwacht werden, obwohl auch da Lecks auftreten“, sagte Robert Schuwerk von Carbon Tracker, einem in London ansässigen Thinktank, der die Auswirkungen des Klimawandels auf die Finanzmärkte untersucht. "Die Unternehmen haben notwendige Gelder nicht rückgestellt, weil sie diese für neue Investitionen veranschlagt hatten.“ Der Tiefststand beim Erdgaspreis und volle Lager könnten zudem dazu führen, dass das Abfackeln oder Ablassen, also die absichtliche Freisetzung von überschüssigem Gas, zunimmt, warnte die Internationale Energieagentur.

Kein Geld für Sanierungen

Unternehmen sind an sich gesetzlich verpflichtet, Mittel für die Säuberung, den Verschluss und die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands von Ölquellen bereitzustellen. Doch die Rechnungslegungsstandards lassen viel Spielraum: Firmen können die Sicherungsmaßnahmen etwa aufschieben, wenn sie an kleinere Unternehmen verkaufen oder ausgliedern. Und obwohl die meisten US-Bundesstaaten auch Bürgschaften oder Garantien von den Fracking-Betreibern verlangen, reichen die Einlagen oft nicht aus – die Kosten für die Sanierung bleiben dann bei den Steuerzahlern und Steuerzahlerinnen hängen.

Fracking-Anlage in Culberson County, Texas
APA/AFP/Paul Ratje
Fast 250 Öl- und Gasunternehmen könnten Schätzungen zufolge bis Ende nächsten Jahres Insolvenzschutz beantragen

Führungskräfte lukrieren Millionen

Was das Ganze noch anstößiger macht, ist die Tatsache, dass unmittelbar vor der Insolvenz der Unternehmen deren Führungskräfte häufig mit Bonus- oder Entschädigungszahlungen bedacht wurden, wie die „NYT“ schrieb. Chesapeake Energy meldete Konkurs an, nur wenige Wochen nachdem es einer Gruppe von Führungskräften 25 Millionen Dollar an Boni gezahlt hatte. Whiting Petroleum, ein großes Fracking-Unternehmen in North Dakota, das im April Insolvenzschutz beantragte, hatte sechs Tage davor fast 15 Millionen Dollar an Barprämien für seine Topmanager bewilligt.

Diamond Offshore Drilling sicherte sich im Rahmen des im März vom Kongress verabschiedeten Covid-19-Konjunkturprogramms eine Steuerrückerstattung in Höhe von 9,7 Millionen Dollar, bevor es im nächsten Monat beim Konkursgericht einen Antrag auf Reorganisation einreichte. Dann erhielt das Unternehmen die Genehmigung eines Konkursrichters, seinen Führungskräften den gleichen Betrag als Barvergütung zu zahlen.

Arbeiter schauen durch die Finger

Im vergangenen Jänner rüstete eine Gruppe von Ingenieuren einen Bohrlochkopf an einem Standort von Chesapeake Energy in Texas auf, als austretendes Erdgas entflammte. Drei Arbeiter kamen dabei ums Leben, ein vierter erlitt „katastrophale und dauerhafte“ Verletzungen, wie aus einer später eingereichten Klage hervorgeht. Nun sind alle Klagen gegen das Unternehmen durch das Konkursverfahren auf Eis gelegt. „Große Unternehmen schützen und bereichern ihre Führungskräfte, während sie an allen anderen Ecken sparen und ihre Unternehmen in den Ruin führen“, sagte Anwalt Ryan Zehl, der zwei der betroffenen Arbeiter vertritt. „Menschen, die das Geld am meisten brauchen, werden zurückgelassen.“