Eine Frau mit Klemmbrett und Kugelschreiber blickt auf eine Wand mit Zetteln
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Viertagewoche

Heißes Eisen auf dem Prüfstand

Fast gleich viel Gehalt für ein Fünftel weniger Arbeit: Die SPÖ schlägt ein staatlich gefördertes Programm zur Arbeitszeitverkürzung vor. Profitieren sollen davon alle, so die Sozialdemokraten. Industrie und Wirtschaft sind strikt gegen die Forderung, diese verunsichere die Unternehmen nur weiter. Es gebe bereits Erfahrungswerte, die man nutzen sollte, zeigen Fachleute im Gespräch mit ORF.at auf.

Wegen der Viruspandemie sind derzeit mehr als 400.000 Menschen in Österreich ohne Job, in etwa noch einmal so viele in Kurzarbeit. Um die Krise auf dem Arbeitsmarkt dauerhaft zu überwinden, schlägt die SPÖ ein Paket an Maßnahmen vor, darunter auch eine geförderte Viertagewoche.

Gewerkschaftsvertreter und Arbeiterkammer stehen hinter dem SPÖ-Vorschlag, doch gibt es auch interne Gegenstimmen, etwa die von Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ). Außerhalb der SPÖ ist der Gegenwind beträchtlich: Industriellenvereinigung (IV), Wirtschaftskammer (WKÖ) und Wirtschaftsbund formierten eine Phalanx der Ablehnung.

Viertagewoche derzeit

Eine Viertagewoche ist bereits möglich. Hier wird allerdings die volle Arbeitszeit einer Fünftagewoche absolviert. Dafür kann die tägliche Arbeitszeit auf bis zu zehn Stunden ausgedehnt werden, ohne dass Überstunden anfallen. Nötig ist eine Betriebs- oder Einzelvereinbarung, Rechtsanspruch besteht nicht. Das SPÖ-Modell sieht hingegen eine Reduktion der Normalarbeitszeit auf 80 Prozent vor.

Verhärtete Fronten

Es handle sich um „Belastungsideen“, die in die „wirtschaftspolitische Sackgasse“, führten, so die Kritik. Man belaste den Faktor Arbeit weiter und schaffe so einen Wettbewerbsnachteil für heimische Betriebe. Statt ihnen aus der Krise zu helfen, würden so neue Hindernisse geschaffen, lautet der Vorwurf.

Das derzeit debattierte Modell sieht vor, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer um 20 Prozent kürzer arbeiten und dafür auf rund fünf Prozent des Nettogehalts verzichten – gefördert werden soll das Programm maximal drei Jahre. Ein Drittel der Kosten soll das Unternehmen aufbringen, ein Drittel das Arbeitsmarktservice (AMS). Die Kosten für den Staat würden um mehr als die Hälfte kompensiert, weil er weniger für Arbeitslosigkeit zahlen müsste und durch mehr Beschäftigung auch mehr einnehmen würde.

Unterm Strich soll so mehr im Topf bleiben, als bei der derzeitigen Kurzarbeitsregelung. Die Firmen sollen sich über mehr Produktivität ihrer Angestellten freuen und über geringere Lohnkosten. Und die Arbeitnehmenden hätten mehr Freizeit sowie – vor allem die Frauen – mehr Optionen, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen und den Sprung raus aus der Teilzeit zu schaffen.

Bedingungen nötig

Prinzipiell spreche wenig gegen eine Arbeitszeitverkürzung, so Helmut Hofer vom Institut für Höhere Studien (IHS) zu ORF.at. „Was mir aber an dem Vorschlag nicht ganz gefällt: Da ist man bei der Finanzierung zu optimistisch.“ Der Vorschlag gehe von einer „lump of labour fallacy“ aus, ein ökonomischer Fachbegriff für die Annahme, dass die Zahl der zu verrichtenden Arbeit immer gleich bleibt. Das sei nicht so.

„Und die Arbeit ist auch nicht homogen: Die Strukturen jener Arbeitnehmer, die Kurzarbeit machen können, und die Struktur der Arbeitsuchenden sind verschieden. Wenn Sie jetzt Ihre Arbeitszeit verkürzen, heißt das nicht, dass die Textilarbeiterin im Waldviertel deshalb einen Job bekommt“, so Hofer. Eine ganz logische Verringerung der Arbeitslosigkeit ergebe sich dadurch nicht.

Zudem funktioniere ein solches Modell nur, wenn tatsächlich die Steigerung der Produktivität gelinge und es so finanziert werden könne. „Betriebe sind jetzt schon unter Druck, es kann dann passieren, dass sie höhere Kosten an Konsumenten weitergeben, die Preise erhöhen und dann auch wieder weniger wettbewerbsfähig sind.“ Bei Arbeitszeitverkürzungen in früheren Jahrzehnten habe man zwar gesehen, dass der Output größer wurde. „Aber früher gab es mehr Produktivitätsreserven“, so Hofer. Die Möglichkeit, mehr herauszuholen, sei begrenzt. Heute könnte sich stattdessen der Arbeitsdruck erhöhen.

Eine Größe passt nicht allen

Christina Mayrhuber vom Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) ist der Ansicht, dass ein Modell nicht mehr auf die gesamte Arbeitswelt umzulegen ist. Die Normalarbeitszeit sei für einen großen Teil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht mehr gleich, so Mayrhuber im Gespräch mit ORF.at. „De facto gibt es einen großen Anteil von Teilzeitbeschäftigung. Der Arbeitsmarkt ist stark saisonal geprägt, es gibt auch viele All-in-Verträge“, also Vereinbarungen, die Mehrstunden nicht extra abgelten.

Kurzarbeit derzeit

Momentan gibt es die „Corona-Kurzarbeit“, sie ist allerdings unfreiwillig. Dabei verringern die Beschäftigten ihre Arbeitszeit um bis zu 90 Prozent und erhalten den Großteil ihres Entgelts mit Hilfe des AMS weiter. Ein Betrieb kann die Kurzarbeit für drei Monate beantragen und noch einmal um drei Monate verlängern.

Es gebe schon heute viele verschiedene branchenspezifische Lösungen, „die bei der Entwicklung schon weiter sind. Hier gab es in den letzten Jahren viel Veränderung“, so Mayrhuber. Ein Beispiel dafür sei die Freizeitoption, die es in verschiedenen Branchen wie der Elektronikindustrie gebe. Dabei gibt es die Möglichkeit, Gehaltsanpassungen in weniger Arbeitszeit umzuwandeln – man erhält also entweder mehr Geld oder mehr Freizeit.

Auch die Sozialwirtschaft, für die beim heurigen KV-Abschluss die Einführung einer 37-Stunden-Woche beschlossen wurde, sei ein Beispiel. Die Landschaft in der Arbeitswelt sei bunter geworden. „Ein Modell für alle kann nicht eins zu eins funktionieren. One size doesn‘t fit all“, so Mayrhuber.

„Win-win-Situationen“ gibt es

Die Stoßrichtung beim SPÖ-Modell sei bei aller Kritik klar und nachvollziehbar. „So wie bei der derzeitigen Kurzarbeitsregelung will man Menschen in Beschäftigung halten. Laut unserer Prognose bleibt die Arbeitslosigkeit auch nächstes Jahr noch extrem hoch. Da ist es nur vernünftig, ein Nachfolgemodell für die Kurzarbeit zu erarbeiten, das kann weiterhin mit Kurzarbeit sein oder mit einer Viertagewoche.“

Sowohl die Debatte als auch der Zeitpunkt dafür seien vernünftig. „Man sollte sich jetzt die positiven Beispiele, die es schon auf Branchen- oder Betriebsebene gibt, genauer ansehen und für nächste Schritte die Erfahrungswerte nutzen.“

Die gleiche Vorstellung hat Hofer vom IHS: Auch er rät dazu, Regelungen auf kleinerer Ebene zu finden, für Betriebe oder Branchen. Hier könne man „intelligente“ Lösungen schmieden, und freiwillig. „Hier gibt es Win-win-Situationen“, so Hofer.