Jay Koch als Ronald Reagan, 1984 in San Francisco
AP/David Longstreath
Neuerscheinung

Ein Burgenländer als „Mr. President“

Clemens Berger (41), einer der wichtigsten österreichischen Autoren seiner Generation, ist bekannt für gesellschaftskritische Romane. In „Der Präsident“ scheint zunächst alles anders. Ein burgenländischstämmiger Polizist wird zum Double Ronald Reagans und tingelt als Präsident von Veranstaltung zu Veranstaltung. Doch plötzlich wird der Roman zur historischen Klimaaktivismus-Story.

Dass von der Figur des Doppelgängers etwas Unheimliches oder Gefährliches ausgeht, ist – von Edgar Allen Poe, über Franz Kafka bis hin zu Herta Mülller – in der Literaturgeschichte oft ergründet worden. Dem konkreten Fall des Präsidenten-Doubles nahm sich bereits Hollywood an: In der Komödie „Dave“ (1993) schwang sich ein präsidialer Doppelgänger eigenmächtig zur Weltverbesserung auf.

Einen ganz ähnlichen Plot fährt jetzt Berger in seinem neuen Roman auf, allerdings fern von jeglichem seicht-naiven Politikverständnis und, zumindest in Teil eins, fern von den typischen Versatzstücken einer Verwechslungskomödie. Verwandt ist aber der grundlegende Erzählmodus. Mit viel Drive und großer Leichtfüßigkeit lässt der 1979 im Burgenland geborene Wahlwiener in die Geschichte eines Mannes eintauchen, dessen Job es war, bei zahlreichen offiziellen Anlässen in die Rolle des 40. US-Präsidenten Reagan zu schlüpfen.

Inspiriert ist „Der Präsident“ übrigens von einer wahren Geschichte. Bei seinen Recherchen zu Amerika-Auswanderern sei er zufällig auf einen aus dem Burgenland stammenden Reagan-Doppelgänger gestoßen, so der Autor im Interview mit burgenland.ORF.at.

Ein Präsidenten-Double beim Hotdog-Wettessen

USA anno 1981, Jay Immer alias Julius Irme ist 55 und Polizist, als eines Tages ein Brief ins Haus flattert. Seine Frau hatte heimlich eine Bewerbung an eine Agentur abgeschickt, unter 179 Einsendungen wurde er zum Reagan-Double gewählt. „Wie aus dem Gesicht gerissen“ schaue er aus, das hatte er schon zuvor oft gehört. Jetzt wird die Ähnlichkeit zum Jackpot, der da lautet: plötzlich ein neues Leben, zwischen Hotdog-Esswettbewerb-Eröffnung und Lokalpolitiker-Fototermin.

„Jay arbeitete viel. Er nannte es spielen. Endlich konnte er das Kind sein, das er nur so kurz gewesen war. Er hatte nie davon geträumt, Rennfahrer zu werden oder zum Mond zu fliegen. Eisenbahner vielleicht, aber dann war er in den Krieg geschickt worden, und eins hatte sich aus dem anderen ergeben.“

Autor Clemens Berger
Paul Theisen
Der Autor Clemens Berger ist bekannt für gesellschaftskritische Romane. In „Der Präsident“ verbindet er die Geschichte eines Ronald-Reagan-Doubles mit der Klimakrise.

„Make America great again“

Mit viel Feingefühl und äußerst liebevoll porträtiert Berger diesen einfachen Mann, der eine riesige Freude an seiner neuen Aufgabe hat: Jay wird zusehends versierter im Erzählen von Anti-Sowjet-Witzen (was tatsächlich ein Faible Reagans war) und streut bei seinen knappen Reden die Slogans des Originals ein: „Make America great again“.

Buchcover „Der Präsident“ von Clemens Berger
Residenz Verlag

Clemens Berger: Der Präsident. Residenz Verlag, 336 Seiten, 24 Euro.

An Punkten wie diesen ahnt man schon, dass nach Bergers Erfolgsroman „Das Streichelinstitut“ (2010) und dem Anti-Kapitalismus-Reigen „Im Jahr des Pandas“ (2016) auch hier explizit Politisches verhandelt wird. „Ein Amerikaroman für unsere Zeit“, so liest man auch auf dem Buchumschlag – aber viel mehr noch als um die Vorläufer eines trumpschen Politikstils geht es hier um die Klimakrise.

Insbesondere geht es darum, dass die Folgen des Klimawandels schon in den späten siebziger Jahren bekannt waren und die Politik ihre Chancen leichtsinnig verspielte, wie Nathaniel Rich kürzlich in einer monumentalen historischen Klimareportage „Losing Earth“ in Erinnerung rief. Für Berger war das eine „Offenbarung“, wie er im „Standard“ schrieb.

Wundersame Wandlung zum Aktivisten

Und so viel sei verraten: Nicht nur in Hollywood, sondern auch bei Berger stiehlt sich die Kopie aus dem Schatten des Originals. Mit der Neugier, wie lange sich Jay in der Reagan-Rolle hält, werden die Leserinnen und Leser über viele Seiten bei der Stange gehalten. Schon früh zeigt sich, dass Jay ein gefragter Spielball für Interventionen ist, und in dieser Hinsicht besticht die Geschichte durch ihre raffinierte Dramaturgie. Beim Lesen fiebert man mit dem „spielenden“ Jay förmlich mit, ob und wie die nächste „Reagan-Nummer“ aus den Fugen gerät.

Und, auch das ist ein großer Pluspunkt der ersten 150 Seiten, Berger gelingt es so beeindruckend subtil wie lakonisch, die Feinheiten der Psychologie der Nachahmung zu fassen: zwischen Identifikation und Zweifel, Aufgehen in der Rolle und dem steten Ein-wenig-Fremdbleiben pendelt dieser „andere Reagan“.

Als Jay sich schließlich emanzipiert, (wie, das sei hier nicht verraten), verliert „Der Präsident“ aber deutlich an Feinzeichnung und Sog. Die so hintergründig-humorvolle Story dünnt immer mehr aus zur schräg-schrulligen Klimaaktivismus-Posse vor historischem Hintergrund, bei der „der andere Reagan“ Seite an Seite mit „Gorby“, dem Gorbatschow-Double, die Menschheit zu retten versucht. Ein grundlegender Wandel nicht zuletzt auf Kosten der Figurenzeichnung. Denn wie es zur wundersamen Wandlung vom schlichten Kleinbürger hin zum engagierten Aktivisten kommt, wird den Leserinnen und Lesern nicht erschlossen.

„I bin a Ouwawoada“

Bergers „Der Präsident“ ist vor allem dort ein echtes Lesevergnügen, wo er nicht zu viel will. Dort, wo er, anstatt etwa die Messages von „Losing Earth“ anzubringen, Jay auftrumpfen lässt – bei genanntem Hot-Dog-Esswettbewerb, dem heimlichen Nobelrestaurantbesuch oder beim Besuch in der alten Heimat Burgenland. Vor versammelter Gemeinde hält er dort eine Ansprache, die im Satz „I bin a Ouwawoada“ gipfelt: Spätestens dann geht nicht nur den Oberwartern, sondern auch den Leserinnen und Lesern das Herz auf.