Ein Mann mit Gesichtsmaske blickt aus einem Fenster in Israel
Reuters/Ronen Zvulun
Überbordende Überwachung

Tausende Israelis irrtümlich in Quarantäne

Israel hat mit der Coronavirus-Pandemie immer stärker zu kämpfen. Nachdem die erste Welle gut bewältigt wurde, steigen die Infektionszahlen nun seit Tagen stark an: Am Montag wurden so viele neue Fälle gemeldet wie nie zuvor. Zudem musste das Gesundheitsministerium einräumen, dass Tausende Israelis offenbar grundlos in Quarantäne geschickt worden seien.

Die israelische Regierung hatte zu Beginn der Pandemie auf die Überwachung von Handys Infizierter durch den Inlandsgeheimdienst Shin Bet gesetzt. Ende April wurde das vom Höchsten Gericht vorübergehend verboten, ehe das Parlament am 1. Juli einen neuen Gesetzesbeschluss für die Wiederaufnahme verabschiedete.

Die Technologie wird für gewöhnlich zur Terrorbekämpfung eingesetzt. Derzeit werden mit ihrer Hilfe Bewegungsprofile erstellt, um zu sehen, mit wem Erkrankte zuletzt in Kontakt waren. Diese Menschen werden dann per SMS gewarnt und aufgefordert, sich in Quarantäne zu begeben.

Menschen mit Maske auf einer Straße in Tel Aviv
APA/AFP/Jack Guez
In mehreren Städten Israels wurden für einige Viertel neue Ausgangsbeschränkungen erlassen

12.000 Menschen wieder aus Quarantäne entlassen

Doch das Alarmsystem dürfte zuletzt überbordend reagiert haben: Rund 12.000 Menschen, die angegeben hätten, unbegründet ein SMS von Shin Bet erhalten zu haben, seien wieder aus der Heimquarantäne entlassen worden, hieß es in Medienberichten. Laut „Times of Israel“ hatten in der ersten Woche nach der Wiederaufnahme der Überwachung Zehntausende Israelis ein SMS erhalten, in dem sie darauf hingewiesen wurden, Kontakt mit einem Coronavirus-Infizierten gehabt zu haben.

Der Ministeriumsvertreterin zufolge sind 150 Mitarbeiter einer Hotline damit befasst, Anrufe wegen des SMS zu beantworten. Sie sagte, bis einschließlich Sonntag seien mehr als 26.000 Anrufe eingegangen. 83 Prozent hätten gegen die Quarantänepflicht auf Basis des SMS protestiert, rund 12.000 Menschen seien von der Quarantäne befreit worden. „Wenn uns jemand sagt, dass er während des Zeitraums, der in dem SMS erwähnt wird, zu Hause war, dann glauben wir ihm und entlassen ihn aus der Heimquarantäne“, sagte die Mitarbeiterin des Ministeriums.

Zuletzt waren in Medien Berichte kursiert, wonach sich Israelis zunehmend über Wege informieren, der Handyüberwachung zu entkommen. Das Nachrichtenportal N12 schrieb vergangene Woche, dass es sich dabei primär um speziell gefertigte Taschen oder Hüllen handelte, die ein Aufzeichnen der Daten verhindern könnten.

Neuinfektionen auf Höchststand

Inzwischen hat die Zahl der täglichen Neuinfektionen mit dem Coronavirus in Israel ein Allzeithoch erreicht: Wie das Gesundheitsministerium am Dienstag mitteilte, wurden für Montag 1.681 Fälle gemeldet. Getestet wurden an dem Tag 25.825 Menschen, die Ansteckungsquote betrug demnach 6,5 Prozent. Auch das ist ein Höchstwert. Insgesamt wurden in Israel bisher mehr als 41.200 Infizierte registriert. Aktive Fälle gab es zuletzt etwa 21.400, davon waren mehr als 170 schwer erkrankt. Mitte Mai war die Zahl der täglichen Neuinfektionen in Israel noch im niedrigen zweistelligen Bereich gelegen.

Polizisten verhaften einen Demonstranten in Jerusalem
AP/Oded Balilty
Die Proteste gegen das Krisenmanagement der israelischen Regierung werden heftiger

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wurde zu Beginn der Pandemie für sein Krisenmanagement gelobt. Inzwischen steht er aber stark in der Kritik. Vorgehalten werden ihm unter anderem zu schnelle, umfassende Lockerungen. Die Wirtschaft des Landes stöhnt unter den Folgen der Krise, die Arbeitslosigkeit liegt bei mehr als 20 Prozent. Zur Abmilderung der ökonomischen Konsequenzen hat die Regierung ein milliardenschweres Hilfspaket beschlossen. In mehreren Städten gelten für bestimmte Viertel Ausgangsbeschränkungen.

Kritik auch aus regierungsnahen Kreisen

Vergangene Woche erklärte eine führende Gesundheitspolitikerin Israels aus Protest gegen die Reaktion der Regierung ihren Rücktritt. Siegal Sadetzki, Direktorin für öffentliche Gesundheit im Gesundheitsministerium, schrieb auf Facebook, seit einigen Wochen habe Israel im Kampf gegen CoV die Richtung verloren. „Im Kampf gegen die erste Welle hatte Israel Erfolg, hat sich dann aber von anderen führenden Ländern entfernt, indem es schnelle Lockerungen durchsetzte.“

Energieminister Juval Steinitz forderte am Montag einen sofortigen „Lock-down“. „Wir müssen meiner Ansicht nach jetzt eine Sperre umsetzen, für zehn bis 20 Tage, um danach Erleichterungen zu ermöglichen“, sagte Steinitz der israelischen Nachrichtenseite ynet. Der Minister sprach sich dafür aus, dass die Bürger das Haus nur verlassen können, um zur Arbeit zu gehen oder um Lebensmittel oder Medikamente einzukaufen. „Wir kommen vermutlich sowieso dorthin, also besser früher als später“, sagte er.