Feuerwehrleute bekämpfen einen Brand im sibirischen Wald
EBU
„Die Arktis brennt“

Sibirische Hitze mit fatalen Folgen

Seit Monaten herrschen in Sibirien anormal hohe Temperaturen und versetzen die Region in einen Ausnahmezustand. Der Permafrost schmilzt, Infrastruktur birst, Wälder gehen in Flammen auf. „Die Arktis brennt“ titelte unlängst die Nachrichtenagentur Associated Press. Die Forschung kennt die Ursache dafür und schlägt Alarm.

Seit Anfang des Jahres ist es im Norden Sibiriens ungewöhnlich warm. Die Durchschnittstemperatur der ersten sechs Monate lag nach Angaben der Wissenschaftler des Copernicus-Klimawandeldienstes (Copernicus Climate Change Service, C3S) mehr als fünf Grad Celsius über dem Mittelwert der Jahre 1951 bis 1980. In der Kleinstadt Werchojansk wurden am 20. Juni 38 Grad Celsius gemessen. Damit wurde der bisherige Hitzerekord innerhalb des arktischen Polarkreises, der 1915 in Alaska aufgestellt worden war, um ein paar Zehntelgrad gebrochen.

Im weltweiten Vergleich wies Sibirien die größten Anormalitäten auf, hieß es. „Was Besorgnis erregt, ist, dass die Arktis sich schneller erwärmt als der Rest der Welt“, sagte C3S-Direktor Carlo Buentempo beim Europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersagen (ECMWF). Der russische Wetterexperte Roman Vilfand sagte, Hochdruckgebiete seien in den vergangenen Jahren sehr viel üblicher geworden. In der Arktis, wo es im Sommer nicht dunkel wird, bedeutet das in den Sommermonaten anhaltende Hitze.

Eigentlich nur einmal in 80.000 Jahren

Derart lange Hitzeperioden wie heuer wären ohne die Auswirkungen der Treibhausgasemissionen aus Industrie, Verkehr und Landwirtschaft unmöglich. Sie ist dadurch 600-mal wahrscheinlicher geworden, zitiert der „Guardian“ aus einer internationalen Studie der Initiative „World Weather Attribution“.

Satellitenbild zeigt die Landtemperaturen in Sibirien
AP/ECMWF Copernicus Climate Change Service
Das Satellitenbild zeigt die hohen Temperaturen in Sibirien

Das Forscherteam berechnete, dass der menschliche Einfluss die Region um mindestens zwei Grad Celsius erwärmt. Ohne Klimaveränderung, schreiben die Autoren, gäbe es eine derartige Hitzeperiode im Schnitt nur einmal in 80.000 Jahren. Selbst unter den heutigen klimatischen Bedingungen betrage die mittlere Wiederkehrzeit 130 Jahre.

„Niederschmetternde“ Ergebnisse

Um den Einfluss des Klimawandels auf die Hitze in Sibirien zu ermitteln, zogen die Forscher um Andrew Ciavarella vom britischen Wetterdienst Met Office zahlreiche Computersimulationen zurate. Die Ergebnisse seien „niederschmetternd“, so Ciavarella. „Sie sind ein Beweis für die extremen Temperaturen, die wir in einem sich erwärmenden globalen Klima weltweit häufiger zu erwarten haben.“

Die Studie wurde von anderen Wissenschaftlern noch nicht begutachtet. Mitautorin Sarah Kew vom Royal Netherlands Meteorological Institute sprach dennoch von einem der „überzeugendsten Ergebnisse aller bisherigen Zuordnungsstudien“. Werden die Treibhausgasemissionen nicht verringert, sei zu erwarten, dass solche „sibirischen Hitzeperioden“ regelmäßig auftreten. Der menschliche Einfluss auf das Klima sei selten klarer gewesen, sagte die Mitautorin Friederike Otto von der University of Oxford.

Gefahren für Infrastruktur

Die anhaltende Hitze hat schwerwiegende Folgen. Sie lässt den Permafrost in Sibirien weiter und tiefer auftauen, was zu Infrastrukturschäden führen kann – an Pipelines, Straßen, Gebäuden. So wurde zum Beispiel Ende Mai ein Treibstofftank in der Nähe der Industriestadt Norilsk beschädigt, weil das Erdreich nachgegeben hatte, was eine der schlimmsten Ölverschmutzungen in der Geschichte Russlands verursachte.

Einsatzkräfte errichten eine Ölsperre in einem Fluss nahe der russischen Stadt Norilsk
AP/Russian Marine Rescue Service
Einsatzkräfte kämpfen gegen die Ölpest bei Norilsk

Die Hitze in Sibirien wirkt sich auch auf die Fauna aus. Fische leiden unter den hohen Wassertemperaturen, Mückenschwärme steigen auf, und Seidenmotten vermehren sich extrem und bedrohen die Wälder. Die Motten schädigen Nadelbäume und machen sie auf diese Weise anfälliger für Waldbrände, die heuer durch die anhaltende Hitze und Bodentrockenheit ohnehin begünstigt werden.

Millionen Hektar Raub der Flammen

Die Brände der Saison begannen ungewöhnlich früh im April und wurden weiter nördlich als je zuvor entdeckt. Seit Jahresbeginn ist nach Angaben der Umweltschutzorganisation Greenpeace bereits eine Fläche von mehr als neun Millionen Hektar sibirischer Wald verbrannt. Das entspricht etwa der Fläche Portugals.

Die US-Weltraumbehörde (NASA) sagte, dass mancherorts Glut durch den Winter in Mooren schwelt und dann im Frühling wieder zum Leben erwacht. Die Gefahren solcher „Zombie-Brände“ werden durch wärmere Temperaturen erhöht. Laut dem Satellitenüberwachungsdienst von C3S haben die sibirischen Brände allein im Juni 59 Megatonnen Kohlendioxid freigesetzt, die höchste Menge, die jemals verzeichnet wurde.

Löschflugzeug in Sibirien
AP/Russian Emergency Ministry Press Service
Wälder von der Fläche Portugals sind verbrannt

Wie der russische Waldbeobachtungsdienst mitteilte, kämpfen Feuerwehrleute derzeit noch gegen über 130 Waldbrände auf einer Gesamtfläche von 43.000 Hektar. Um die Brände unter Kontrolle zu bekommen, setzen die Einsatzkräfte auch Sprengstoff ein. Durch eine „Wolkenimpfung“ soll zudem die Regenwahrscheinlichkeit erhöht werden. Besonders in entlegenen Regionen, in denen keine Menschen wohnen, wird aus Kostengründen auf Löscheinsätze verzichtet. In sieben Regionen Russlands gilt der Ausnahmezustand.

„Uns bleibt nur noch wenig Zeit“

Zugleich setzt das Tauen des Permafrosts immer mehr Methan in die Atmosphäre frei, und Methan ist ein vielfach stärkeres Treibhausgas als Kohlendioxid. Das sei eine langfristige globale Bedrohung, so die Forscher, denn steigende Methan-Emissionen in Sibirien würden die Erderwärmung und somit auch die weltweiten Klimaveränderung beschleunigen.

Nach den Worten von Forscherin Kew ist die Botschaft der Studie eindeutig: „Uns bleibt nur noch wenig Zeit, um das Klima auf das Niveau des Pariser Abkommens einzupendeln.“ Das Klimaabkommen von 2015 sieht vor, den Anstieg der Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad und möglichst sogar 1,5 Grad gegenüber den vorindustriellen Werten zu begrenzen. Um das zu erreichen, müssten die CO2-Emissionen zwischen 2020 und 2030 um jährlich 7,5 Prozent gedrosselt werden.