Babyfon „Zenith Radio Nurse“, 1938
ARS/The Isamu Noguchi Foundation and Garden Museum; Foto: MAK/Georg Mayer
Bakelit im MAK

„Material der 1.000 Möglichkeiten“

Der erste vollsynthetische Kunststoff Bakelit ist für die Designgeschichte der Moderne bestimmend gewesen. Das Museum für angewandte Kunst (MAK) zeigt in seiner Ausstellung „Bakelit. Die Sammlung Georg Kargl“, wie das Material eine Formensprache entwickelte, die uns bis heute im Alltag begegnet, und welche gesellschaftlichen Wandlungen es beschleunigte.

Es war eine große Aufgabe, die sich der Chemiker Leo Hendrik Baekeland 1899 vornahm, als er plante, den ersten vollsynthetischen Kunststoff herzustellen. Vor allem die aufstrebende Elektroindustrie war an einer günstigen Alternative zu Naturmaterialien wie Schellack und Zelluloid interessiert. Baekeland hatte schon zuvor eine wichtige chemische Entdeckung gemacht: In den 1890er Jahren ließ er ein Papier für die schnelle Entwicklung von Fotos namens „Velox“ patentieren und verkaufte die Rechte an die Firma Kodak.

Mit dem Material Bakelit, bestehend aus Phenol und Formaldehyd, das er 1907 patentieren ließ, schrieb er Geschichte. Bakelit war der erste hitze- und säurebeständige Kunststoff, der sich in alle erdenklichen Formen gießen ließ und damit eine Revolution in der industriellen Fertigung und der Designmöglichkeiten auslöste.

Ausstellungshinweis

Bakelit. Die Sammlung Georg Kargl, Museum für angewandte Kunst Wien, bis 26.10.2020, täglich außer montags 10.00 bis 18.00 Uhr, dienstags bis 21.00 Uhr.

Vom Schlachtfeld zum Industriedesign

Das MAK zeigt in seiner aktuellen Ausstellung „Bakelit. Die Sammlung Georg Kargl“ eine Reise durch die Designgeschichte des Bakelits. Über dreihundert Objekte aus der Sammlung des 2018 verstorbenen Galeristen Kargl geben einen Überblick über die Veränderungen in der Produktgestaltung, die durch den Kunststoff möglich wurden, und erzählen indirekt von den gesellschaftlichen Veränderungen, die mit der Massenproduktion einhergingen.

Fotostrecke mit 8 Bildern

Tischlampen, 1945
Jumo Brevete; Foto: MAK/Georg Mayer
Ein bis heute begehrter Designklassiker aus Bakelit: die Tischlampe „Bolide“ der französischen Firma Jumo Brevete nach einem Entwurf von Yves Jujeau und Andre Mounique (1945)
Babyfon „Zenith Radio Nurse“, 1938; Lautsprecher, 1928
ARS/The Isamu Noguchi Foundation and Garden Museum; Philips; Foto beide: MAK/Georg Mayer
Ein futuristischer Entwurf von 1938: Das Babyfon „Zenit Radio Nurse“ samt Lautsprecher „Guardian Ear“ des japanisch-amerikanischen Bildhauers und Designers Isamu Noguchi.
Fernseher „Bush TV 12“, 1949
Bush; Foto: MAK/Georg Mayer
Der Opa des iMacs: Der Fernseher „Bush TV 12“, 1949. Die Lamellen, die an einen Kühlergrill erinnern, sind typisch für Bakelitdesigns.
Miniaturauto, nach 1940
Tatra; Foto: MAK/Georg Mayer
Dieses Spielzeugauto aus Bakelit ist ein Beispiel für das „Streamline-Design“, das Aerodynamik und Ästhetik verband
Kaffeemühle, nach 1930; Miniaturflugzeug, nach 1940
DMR; Bakelit; Foto beide: MAK/Georg Mayer
Die Vielfalt des Kunststoffes findet sich im MAK ausgestellt. Von der Kaffeemühle bis zum Kinderspielzeug ließ sich plötzlich alles als Massenprodukt günstig herstellen.
Kassiergerät, 1954
Victor Adding Machine and Co.; Foto: MAK/Georg Mayer
Bakelit hielt schnell Einzug in den Arbeitsalltag – etwa in Form von Büroutensilien oder hier in Form einer Registrierkassa
Radio, Modell 2511
Philips; Foto: MAK/Georg Mayer
Ein frühes Bakelitradio samt Bakelitlautsprecher der Marke Phillips, 1929. Später förderte der flexible Kunststoff Audiodesigns, die mit einem Gehäuse auskamen und die Boxen integrierten – die Urform der Stereo-Kompaktanlage.
Tisch-Ventilator, 1930er Jahre; Thermoskannen, Modell Nr. 24
AEG; Thermos Ltd.; Foto beide: MAK/Georg Mayer
Links ein Tischventilator aus den 1930er Jahren, der noch an den ursprünglichen Einsatz von Bakelit im Ersten Weltkrieg erinnert. Rechts die Thermoskanne, Modell Nr. 24, in Bakelit (braun) und den Folgematerialien Plaskon und Thermoplastik, die schon eingefärbt werden konnten.

Der bräunliche, ocker- oder beigefarbene Kunststoff begann seine Karriere auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges, neben Patronenhülsen fertigte man Flugzeugpropeller und Automobilteile aus Bakelit. Ab den 1930er Jahren stieg Bakelit in der Gunst der Industriedesigner. Durch seine flexible Formgebung war es nun möglich, elektronische Geräte in kompakten Gehäusen zu verbauen, ein Beispiel dafür sind die Boxkameras der Firma Kodak, etwa die „Kodak Brownie“ und die „Kodak Hawkette“, die millionenfach verkauft wurden und dazu beitrugen, Fotografie zum Massenmedium zu machen.

„Streamline-Design“

Besonders gut vertrug sich das neue Material mit den Entwürfen des „Streamline-Designs“, mit runden Formen, die ursprünglich den Luftwiderstand von Fahrzeugen verringern sollten. Raymond Loewy, der den Stil popularisierte, setzte das neue Material beispielsweise in der Kamera „Purma Special“ von 1937 ein, einer Boxkamera für professionelle Fotografinnen und Fotografen, die den Sucher erstmals in das Gehäuse integrierte.

Der belgisch-amerikanischer Chemiker Leo Hendrik Baekeland auf einem „TIME“-Cover
Public Domain
Baekeland schaffte es als Erfinder des Bakelits im September 1924 auf das Cover des „Time Magazine“

Es war die Anmutung von Geschwindigkeit und technologischem Fortschritt, die man mit Bakelit verband. Überhaupt lassen manche der Exponate im MAK an Filippo Tommaso Marinettis berühmtes „Manifest des Futurismus“ von 1909 denken, in dem er die „Schönheit der Geschwindigkeit“ preist. Marinetti selbst zog politisch verwerfliche Schlüsse aus seiner ästhetischen Begeisterung und wurde zum Kriegsverherrlicher, die Faszination für Geschwindigkeit und Fortschritt aber wurde zur treibenden Kraft der Moderne.

Bakelit, das „Material der 1.000 Möglichkeiten“, wie es das „Time Magazine“ 1924 nannte, wurde so zum Werkstoff einer Designentwicklung, die bis heute anhält. Oftmals sehen Entwürfe, wie der „Bush TV 12“ von 1949, wie in die Jahre gekommene Familienmitglieder moderner Apple-Geräte aus. Andere Objekte, wie die zusammenklappbaren Jumo Brevete Tischlampen „Bolide“ nach einem Entwurf von Yves Jujeau und Andre Mounique, wurden zu Designklassikern, die bis heute hohe Preise bei Liebhabern erzielen.

Von der Kaffeemühle bis zum Schreibtischutensil

Die Ausstellung zeigt deutlich, wie Kunststoff zum Alltagsmaterial wurde. Neben den durchdachten und ästhetischen Entwürfen gibt es auch unzählige Gegenstände, die aus Kostengründen und wegen seiner Praktikabilität aus Bakelit gefertigt wurden. So ersetzte ein industriell gefertigtes Bakelitgehäuse schnell aufwendig verarbeitetes Metall einer Registrierkassa oder die Tischlerarbeit an einer hölzernen Kaffeemühle.

Die gesellschaftliche Komponente des Kunststoffs war eine Umverteilung von Arbeit und Konsum, vom Handwerk hin zur Industrie, vom teuren Einzelstück hin zur Massenware. Das „Machine Age“, die Phase der aufstrebenden Konsumgesellschaft, wurde wesentlich durch das neue, günstige und flexible Material beschleunigt.

Bakelit bestach durch seine Robustheit und eignete sich besonders für eine Arbeitsform, die mit der Konsumgesellschaft eine Bedeutung erhielt, die bis heute anhält: die Büroarbeit. Zahlreiche Designs, vom Wählscheibentelefon über klassische Schreibmaschinen bis hin zu Füllfedern, wurden erst durch die Erfindung dieses Kunststoffes ermöglicht.

Krebserregend und nicht recycelbar

Obwohl Bakelit zur Designgeschichte des 20. Jahrhunderts vieles beigetragen hat, verschwand es schnell wieder aus der industriellen Produktion. Das hatte einen tragischen Grund. Gegenstände aus Bakelit dampften das Formaldehyd aus, das dem Kunststoff seine Festigkeit verlieh. Bald fand man heraus, dass Formaldehyd krebserregend ist.

Ausstellungsansicht Bakelit
MAK/Aslan Kudrnofsky
Der Künstler Mladen Bizumic gestaltete für das MAK Displays aus HPL-Boards, die Bakelit optisch ähneln

Zwar ist es inzwischen möglich, Phenol mit anderen Zusätzen zu stabilisieren, dennoch ist Bakelit überholt. Denn es ist, verglichen mit Kunststoffen auf Mineralölbasis, die als Nachfolgeprodukte erfunden wurden, recht schwer, nicht durch Pigmente färbbar und nicht recycelbar. Die Schau „Bakelit. Die Sammlung Georg Kargl“ erweist dem Material dennoch eine gewitzte Reverenz. Die vom Künstler Mladen Bizumic eigens entworfenen Displays sind aus HPL-Boards gefertigt, einem Material, das der Oberfläche von Bakelit zum Verwechseln ähnlich sieht.