Rückenansicht mehrerer Polizisten
APA/Hans Klaus Techt
Polizeigewalt in Wien

Staatsanwaltschaft ermittelt

Die Staatsanwaltschaft Wien hat im Zusammenhang mit einer polizeilichen Amtshandlung vom Jänner 2019 Ermittlungen gegen beteiligte Beamte aufgenommen. Wie Behördensprecherin Nina Bussek am Freitag mitteilte, läuft ein Verfahren wegen Körperverletzung, allenfalls zusätzlich wegen Amtsmissbrauchs. Acht Polizisten sind laut Landespolizeidirektion Wien vorläufig vom Dienst suspendiert.

Das Verfahren gegen die Polizei wäre nicht ins Rollen gekommen, wäre nicht plötzlich eine Videoaufzeichnung aufgetaucht, auf der zu sehen ist, wie ein 28 Jahre alter Mann von Polizisten geschlagen wird. Der Betroffene – ein Tschetschene – leistet gegen die Amtshandlung keinen Widerstand und liefert offensichtlich keinen Grund, der polizeiliche Gewaltausübung legitimieren würde. Das Video sei der Anklagebehörde „erst seit wenigen Tagen“ bekannt, bemerkte Bussek.

Das nunmehr vorgelegte Beweismittel hatte eine diametrale Änderung der staatsanwaltschaftlichen Einschätzung in dieser Sache zur Folge. Der Tschetschene hatte nach dem Vorfall angegeben, er sei von der Polizei geschlagen worden, doch wurde ihm zunächst nicht geglaubt. Es stand Aussage gegen Aussage, seinen Angaben, die von keinem Zeugen gestützt wurden, standen die Beteuerungen zahlreicher Polizisten gegenüber, es hätte keinen polizeilichen Übergriff gegeben.

Acht Polizisten suspendiert

Acht Polizisten sind in Wien nach Misshandlungsvorwürfen vom Dienst suspendiert worden. In einem Video ist zu sehen, wie ein junger Tschetschene vor einem Spiellokal von Beamten geschlagen wird, ohne Gegenwehr zu leisten.

Tschetschene der Verleumdung bezichtigt

Gegen den 28-Jährigen wurde darauf ein Strafverfahren wegen Verleumdung in die Wege geleitet. Weil der Tschetschene offenbar weitere Schwierigkeiten befürchtete, tauchte er daraufhin sogar unter. Er konnte zu dem Vorwurf, er habe Polizeibeamte fälschlicherweise eines strafbaren Verhaltens bezichtigt, nicht vernommen werden.

Dagegen hatte das Verhalten der Polizisten für diese zunächst keine Konsequenzen. „Es gab keinen begründeten Anfangsverdacht, um gegen sie vorzugehen“, meinte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft gegenüber der APA. Auf das Auftauchen des Videos reagierte die Anklagebehörde dann sehr rasch. In Richtung der Polizei „wurden unverzüglich Ermittlungen aufgenommen“, betonte Bussek.

Derzeit Ermittlungen gegen „unbekannte Täter“

Formal laufen diese derzeit gegen unbekannte Täter. Es muss jetzt abgeklärt werden, wie viele der am Tatort befindlichen Beamten als unmittelbare Täter infrage kommen, ebenso, wie viele die Gewalttätigkeit toleriert und nichts dagegen unternommen haben und ob Beamte anwesend waren, die nichts mitbekommen haben.

Der 28-jährige Tschetschene wird von der Staatsanwaltschaft dagegen nicht mehr verfolgt. Das gegen ihn gerichtete Verleumdungsverfahren wird eingestellt. „Aufgrund des Videos ist nicht mehr davon auszugehen, dass er wissentlich falsch gegen die Polizisten ausgesagt hat“, stellte Bussek fest.

Nehammer: „Absolut inakzeptabel“

Die derzeitigen Informationen ließen nur einen Schluss zu, meinte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) am Freitag im Rahmen eines Pressetermins: „Dieses Verhalten ist absolut inakzeptabel.“ Die Dienstbehörde habe rasch reagiert und die Beamten suspendiert. Er appelliere nur, dass sich das „Fehlverhalten einiger weniger“ nicht negativ auf alle Polizisten auswirken dürfe. Der Innenmister sicherte denn auch jenen Polizisten, die sich an das Gesetz halten und für Sicherheit sorgen, „vollen Rückhalt“ zu.

Kaum Konsequenzen nach Misshandlungsvorwürfen

Misshandlungsvorwürfe haben für Polizisten nur äußerst selten Konsequenzen. Das bestätigt eine aktuelle Anfragebeantwortung von Nehammer an die FPÖ. Demnach wurden seit 2018 zwar 350 Fälle bei der Justiz angezeigt, vorläufig vom Dienst suspendiert wurden in diesem Zeitraum aber nur drei Beamte. In einem Fall wurde die Suspendierung von der Disziplinarkommission aufgehoben (der Beamte kam mit einem Verweis davon), in einem weiteren Fall verhängte die Kommission 2.000 Euro Geldstrafe. Und im dritten Fall läuft das Verfahren noch.

Zu internen Konsequenzen führen Misshandlungsvorwürfe gegen Polizisten derzeit nur selten. Laut Nehammer wurden binnen zweieinhalb Jahren die genannten 350 Fälle an die Staatsanwaltschaft gemeldet, das waren 129 im Jahr 2018, 155 im Jahr 2019 und heuer 66. In weiteren 102 Fällen hat die Polizei der Justiz mitgeteilt, dass die Vorwürfe für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nicht ausreichen.

Unabhängige Prüfstelle ab 2021

Zur Untersuchung von Misshandlungsvorwürfen gegen Polizisten hat die türkis-grüne Regierung eine eigene Behörde angekündigt, die auch als Beschwerdestelle fungieren und mit polizeilichen Befugnissen ausgestattet werden soll. Ein Konzept dafür soll bis zum Herbst stehen. Die Stelle solle voraussichtlich in der ersten Hälfte des kommenden Jahres ihre Arbeit aufnehmen, teilte das Innenministerium Freitagnachmittag der APA mit.

Geschaffen werden soll die Stelle im Zuge der Reform des Bundesamts zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK). Sie wird bei Misshandlungsvorwürfen gegen Polizistinnen und Polizisten tätig und die Erhebungen führen, wobei die Leitung der Ermittlungen – der Strafprozessordnung entsprechend – den zuständigen Staatsanwaltschaften obliegt.

Mehrere Vorfälle innerhalb weniger Monate

Die Wiener Polizei war in den vergangenen Monaten immer wieder wegen gewalttätiger Übergriffe von Polizisten auf Demonstranten in die Schlagzeilen gekommen. So hat am 1. Mai ein Polizist einen Teilnehmer einer Fahrraddemo aus dem fahrenden Auto heraus vom Rad getreten, ein am Boden sitzender Demonstrant wurde mit Fußtritten traktiert. Der Vizepräsident der Wiener Polizei, Michael Lepuschitz, warnte seine Beamten daraufhin, dass in solchen Fällen „Verständnis und Schutz durch Vorgesetzte und Behörde“ ein Ende habe. Gleichzeitig lobte er das deeskalierende Auftreten der Polizei bei den Anti-Rassismus-Kundgebungen im Juni.

Dass die bei den Staatsanwaltschaften angezeigten Misshandlungsvorwürfe meist nicht vor Gericht landen, hat eine vor eineinhalb Jahren veröffentlichte Studie des Austrian Center for Law Enforcement Sciences (ALES) gezeigt. Untersucht wurden 1.518 Fälle der Jahre 2012 bis 2015 – davon wurden nur sieben gerichtsanhängig, Verurteilung gab es keine. Die damalige Studienleiterin Susanne Reindl-Krauskopf wird laut Nehammer nun als eine von vier Universitätsexperten bei der Konzeption der neuen Beschwerdestelle eingebunden.