Schweine in einem Stall
AP/Michael Probst
Schlachtstau bei Schweinen

Tönnies-Sperre stellt Tierindustrie bloß

Die vierwöchige Zwangsschließung von Deutschlands größtem Schlachtkonzern Tönnies im Zuge der Coronavirus-Pandemie hat die Auswüchse der Tierindustrie sichtbar gemacht: Durch die – am Freitag aufgehobene – Verordnung hat sich ein Rückstau von rund 400.000 schlachtreifen Schweinen gebildet, landesweit herrscht Gedränge in den Ställen. Darunter zu leiden haben Tiere und Schweinebauern gleichermaßen.

Bis zu 20 Prozent der deutschen Schweine werden für gewöhnlich in dem Tönnies-Werk in Nordrhein-Westfalen (NRW) geschlachtet, täglich sind es 20.000 bis 25.000 Tiere. Entsprechend drastisch wirken sich da vier Wochen Stillstand aus: Am Ende der Mastkette ist kaum mehr Platz frei, gleichzeitig kommen immer neue Ferkel in den Betrieb. „Focus“ zitierte unlängst Heinrich Gabriel, einen betroffenen Schweinebauern aus der Region, der vertraglich ausschließlich an Tönnies liefern darf: „Die Ferkel werden bei unserem Züchter ja weiterhin geboren – das können wir nicht verhindern. Das Produktionsband lässt sich nicht einfach in wenigen Wochen abstellen.“

Tierschützer warnen, die Enge in manchen Ställen könne dazu führen, dass die Schweine kollabieren oder sogar verenden. Notschlachtungen schloss NRW-Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) zuletzt aber kategorisch aus, diese würden gegen das Tierschutzgesetz verstoßen. Im Sinne des Tierwohls seien Landwirte und Landwirtinnen verpflichtet, ihre Tiere angemessen unterzubringen und zu versorgen, Verstöße würden strikt geahndet. Die Schweinebauern müssten nun zusätzlichen Raum mobilisieren und auch künftig Platzreserven vorhalten – was viele vor eine kaum zu lösende Aufgabe stellt.

Viehtransporter
AP/Martin Meissner
Bei Tönnis wurde der Betrieb Ende vergangener Woche wieder aufgenommen

„Der Handel verlangt genormte Schweine“

Doch nicht nur der Stau in den Ställen und die entsprechend schwierige Einhaltung von Tierhaltungsrichtlinien sorgen für Schwierigkeiten. Neben dem geringeren Absatz entsteht vielen Mastbetrieben in Deutschland durch die verzögerte Schlachtung noch ein weiterer Schaden: „Der Handel verlangt genormte Schweine, bestenfalls mit einem Schlachtgewicht von 85 bis 100 Kilogramm“, sagte Landwirt Gabriel gegenüber „Focus“. Weil die Tiere aktuell länger leben und dadurch an Gewicht zulegen, gibt es bei der Schlachtung Preisabzüge. Zusammen mit den höheren Futterkosten verursache jedes zu spät geschlachtete Schwein zehn bis 15 Euro Mehrkosten am Tag.

Umso schmerzlicher wiegt da der Preisverfall: Im Ö1-Morgenjournal am Montag gab ein betroffener Landwirt zu Protokoll, dass er derzeit für ein 100 Kilogramm schweres Schwein rund 150 Euro bekommen würde – um ein Viertel weniger als vor der Pandemie. Landesweit kämen so Verluste von 20 Millionen Euro pro Woche zusammen. Mit einer baldigen Entspannung ist nicht zu rechnen, zu sehr ist das System ins Wanken geraten.

Kaum Nachfrage nach Biofleisch

Nirgendwo auf der Welt wird mehr Schweinefleisch gegessen als in Deutschland, der jährliche Verbrauch beläuft sich auf 30 Kilogramm pro Kopf, 60 Millionen Schweine werden dafür geschlachtet. Die Nachfrage nach Biofleisch ist dabei verschwindend klein: Bei Schweinefleisch lag der Anteil in Deutschland 2018 nach Angaben vom „Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft“ bei nicht einmal einem Prozent.

Mitarbeiter von Tönnies
APA/dpa/Tönnies
Der Preis für Schweinefleisch ist in den vergangenen Wochen eingebrochen

Aus ökonomischer Sicht entsprechend unattraktiv ist eine Umstellung auf Bio für Fleischproduzenten und Masthalter. Ändert sich das Kaufverhalten der Konsumenten nicht, wird die penibel kalkulierte und getaktete Massenindustrie weiter befeuert. Rund ein halbes Jahr hat ein Mastschwein vom Tag der Geburt an zu leben, innerhalb von vier Monaten werden aus 25 Kilo schweren Kleintieren schlachtreife 100-Kilo-Säue. Der Agrarwissenschaftler Josef Efken sprach gegenüber Ö1 von einer „Just in time“-Produktion: Jeder Tag, denn die zum Schlachten vorgesehenen Tier länger leben, gehe ins Geld.

Anfälligkeiten im System

Die Grenzen des Systems wurden in den vergangenen Wochen allerdings aufgezeigt: Es existiert kein Plan dafür, was zu tun ist, wenn die Schlachtmaschinerie ins Stottern gerät. Auch NRW-Landwirtschaftsministerin Heinen-Esser fordert ein Umdenken, der WDR zitierte sie am Wochenende mit den Worten: „Man muss sich auch mal angucken, ob wirklich im Akkord geschlachtet und zerlegt werden muss.“ Kleinere, regionalisierte Kreisläufe, faire Preisgestaltung, Transparenz durch ein Tierwohlkennzeichen und verantwortungsvoll handelnde Verbraucher seien entscheidend.