Europarat in Brüssel
ORF.at/Peter Prantner
Bewegung auf EU-Gipfel

Erste Einigung bei Milliardenzuschüssen

Die EU-Staaten sind sich nach Angaben von Diplomaten einig über die Höhe der Zuschüsse bei den geplanten Coronavirus-Hilfen. Statt der von Deutschland und Frankreich geforderten 500 Milliarden Euro sollen nur 390 Milliarden Euro bereitgestellt werden, bestätigten EU-Vertreter am Montag beim EU-Gipfel in Brüssel. Damit liegt ein wichtiger Baustein für die Lösung des Finanzstreits vor. Ein Zuckerl für Österreich gibt es obendrein.

Für eine Verringerung der Hilfen, die nicht zurückgezahlt werden müssen, hatten sich Österreich, Dänemark, Schweden, die Niederlande und Finnland eingesetzt. Sie wollten ursprünglich am liebsten nur Kredite und gar keine Zuschüsse vergeben, um Länder wie Italien zu einer beherzteren Reformpolitik zu bewegen. Besonders kritisch wurden die Pläne auch deswegen gesehen, weil die EU für das Konjunktur- und Investitionsprogramm erstmals in großer Dimension gemeinsame Schulden aufnehmen will.

Ein jährlicher Budgetrabatt für Österreich wurde am Abend ebenso genannt. Dieser beträgt 565 Millionen Euro. Das bedeutet eine deutliche Erhöhung. Der neue Vorschlag des EU-Ratspräsidenten Charles Michel vervierfacht sich nämlich somit von 137 Millionen Euro in der laufenden Periode. Auch für andere Nettozahler erhöhte der EU-Ratschef die jährlichen Pauschalrabatte: So bekommen die Niederlande 1.921 Millionen Euro (bisher 1.576 Mio.), Schweden 1.069 Millionen Euro (bisher 823 Mio.) und Dänemark 322 Millionen Euro (bisher 222 Mio.).

EU-Ratspräsident Charles Michel
Reuters/Francisco Seco
Michel machte Österreich ein großes Zugeständnis

Für Deutschland bliebe der jährliche Rabatt unverändert gegenüber dem vorangegangenen Entwurf bei 3,671 Milliarden Euro. Ursprünglich wollte die EU-Kommission mit dem Brexit alle Rabatte abschaffen, auch das Europaparlament, das jeglicher Budgeteinigung zustimmen muss, fordert eine restlose Streichung.

Noch keine Einigung zum langfristigen EU-Haushalt

Beim EU-Sondergipfel verhandeln Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und die anderen 26 Staats- und Regierungschefs bereits seit Freitagvormittag in Brüssel über ein milliardenschweres Konjunkturprogramm, das die wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Pandemie abfedern soll. Zudem muss eine Einigung über den langfristigen EU-Haushalt erzielt werden. Insgesamt geht es um rund 1,8 Billionen Euro. Eigentlich sollte der Gipfel nur zwei Tage dauern.

Deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel
Reuters/Francois Lenoir
Merkel zeigte sich schon vorab etwas optimistisch

Noch offen ist bisher eine Einigung über den langfristigen EU-Haushalt. Sie ist die Voraussetzung für den Start des Hilfspakets. Weiterer Streit ist programmiert. So ist zum Beispiel die Frage offen, wie beziehungsweise ob die Vergabe von EU-Mitteln künftig vom Engagement beim Klimaschutz und von der Einhaltung rechtsstaatlicher EU-Standards abhängig gemacht werden soll. Länder wie Polen lehnen das ab.

„Bin überzeugt, dass Einigung möglich ist“

EU-Ratspräsident Michel hält eine Verständigung weiterhin für machbar. „Ich bin überzeugt, dass eine Einigung möglich ist“, sagte der Gastgeber des Brüsseler Treffens am Abend. Er sprach gleichwohl von sehr schwierigen Gesprächen. Er wolle seinen neuen Kompromissvorschlag nun den Staats- und Regierungschefs übermitteln. Dieser sei das Ergebnis unglaublich intensiver Gespräche mit allen Beteiligten und „die Frucht kollektiver Arbeit“. Die letzten Schritte seien immer die schwierigsten. Am Rechtsstaat will er aber festhalten, das findet sich auch in seinem neuen Kompromisspapier.

Im Fall von „Mängeln“ soll die EU-Kommission „angemessene und verhältnismäßige Maßnahmen“ vorschlagen können, die dann vom Rat beschlossen werden müssen. Als Zugeständnis an die eine Instrumentalisierung dieses Verfahrens befürchtenden mittelosteuropäischen Staaten fügte Michel aber hinzu, dass dieses Verfahren „die Prinzipien der Objektivität, der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung der Mitgliedsstaaten respektieren“ solle und auf einem „nicht parteiischen und faktenbasierten Zugang“ beruhen solle.

„Politico“: Gesundheitsmilliarden wurden gekürzt

Im EU-Fonds zum Wiederaufbau nach der Coronakrise sind allerdings laut einem Bericht von „Politico“ ausgerechnet für Gesundheitsausgaben kein Platz mehr. Das Magazin berief sich am Montagabend auf aktualisierte Berechnungen, nachdem sich die EU-Staats- und Regierungschefs auf Druck der Nettozahlerländer auf eine Verringerung der Zuschüsse im Fonds geeinigt haben.

Peter Fritz aus Brüssel

EU-Korrespondent Peter Fritz zum verlängerten EU-Sondergipfel.

Da der Zuschussanteil von 500 auf 390 Milliarden Euro sinkt, wurde unter anderem das 7,7 Milliarden Euro schwere Gesundheitsprogramm aus dem Fonds geworfen. Auch das Forschungsprogramm „Horizon“ sollte um weitere fünf Milliarden Euro gekürzt werden, was insgesamt 8,5 Milliarden Euro weniger ist als im ursprünglichen Fonds. Der „Just Transition Fund“, der Regionen beim Übergang zum ökologischen Wirtschaften helfen soll, verliert demnach 20 Milliarden Euro.

Merkel: „Unglaublich harte Verhandlungen“

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach zuvor von „unglaublich harten Verhandlungen“. Es sei aber gelungen, „hier doch einen beträchtlichen Teil an Zuschüssen zu vereinbaren“, sagte sie, noch ohne Zahlen zu nennen. Der Widerstand von Österreich, Schweden, Dänemark, Finnland und den Niederlanden gegen die Vergabe der Coronavirus-Hilfen als nicht rückzahlbare Zuschüsse galt bisher als Knackpunkt in den Verhandlungen.

Die Regierungschefs Österreichs und der Niederlande, Kurz und Rutte, hatten sich zuvor zufrieden mit dem bisherigen Verlauf der Verhandlungen gezeigt. Kurz hob hervor, dass der Anteil der Zuschüsse in dem geplanten Fonds deutlich gesenkt wurde. Auch dass die Rabatte, die Österreich auf seine Beiträge zum Gemeinschaftsbudget erhält, „sehr stark“ gestiegen seien, begrüßte der Kanzler.

EU-Experte: „Kritik gehört dazu“

Der EU-Experte Janis Emmanouilidis zählt Kurz zu den relevanten Akteurinnen und Akteuren des EU-Gipfels. „Die Tatsache, dass es Kritik an ihm gibt, das gehört dazu“, sagte Emmanouilidis mit Blick auf kolportierte scharfe Aussagen des französischen Präsidenten Macron in Richtung des Kanzlers. Macron sagte laut „Politico“ über Kurz, als Letzterer telefonierend den Sitzungssaal verließ: „Seht ihr? Es ist ihm egal. Er hört den anderen nicht zu, hat eine schlechte Haltung. Er kümmert sich um seine Presse und basta.“

Österreichischer Bundeskanzler Sebastian Kurz
APA/AFP/Stephanie Lecocq
Kurz zeigte sich bisher zufrieden

Emmanouilidis sieht das Verhältnis von Kurz und Macron trotzdem nicht nachhaltig beschädigt. „Brüche im persönlichen Verhältnis sehe ich nicht. Das sind Profis, die wissen, wie das Geschäft läuft“, sagte der Forscher an der Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre (EPC). Aussagen wie jene Macrons dienten dazu, „auf nationaler Ebene zu punkten“. Die Gefahr für den Kanzler und auch den niederländischen Premier Rutte bestehe aber darin, dass sie nur als „Vetoplayer“ und „Neinsager“ wahrgenommen werden anstatt durch eigene Alternativvorschläge. „Da trennt sich dann die Spreu vom Weizen.“

Gipfel geht weiter

Der Niederländer Rutte tat die Kritik an ihm ab. „Mir ist das nicht so wichtig“, sagte er. Er lasse sich davon nicht „ablenken“ und werde weiter die Interessen seiner Bürgerinnen und Bürger vertreten. Kurz hob den insgesamt „sehr professionellen“ Umgang aller miteinander hervor. „Dass da bei manchen, wenn sie vielleicht wenig schlafen, irgendwann die Nerven blank liegen, das ist nachvollziehbar“, sagte er in Anspielung an Macrons verbalen Angriff.

Der Gipfel ist bisher der längste seit einem legendären EU-Spitzentreffen in Nizza im Dezember 2000. Trotz der ersten Einigung gehen die Verhandlungen weiter. Es wird damit gerechnet, dass diese erneut bis in die Nacht dauern könnten.