Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte
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EU-Gipfel

Große Zufriedenheit nach Marathonsitzung

Nach der Einigung auf das historische Finanzpaket der EU zur Bekämpfung der Coronavirus-Wirtschaftskrise und des Haushaltsrahmens für die nächsten Jahre ist die Zufriedenheit bei so gut wie allen Beteiligten groß. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ist „inhaltlich sehr zufrieden“, wie er nach Ende des Gipfels am Dienstag sagte. Auch die weiteren Mitglieder der Nettozahlerallianz, Niederlande, Schweden und Dänemark, sehen ihre Interessen nach der EU-Marathonsitzung gewahrt.

Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sprach am Dienstag in der Früh in Brüssel von einem „umfangreichen und guten Paket, durch das die niederländischen Interessen gewahrt bleiben“. Nach Ruttes Worten ist es wichtig, dass Länder „auf Reformen festgenagelt werden können“. „Das sorgt für starke Mitgliedsstaaten und einen starken internen Markt.“

Der schwedische Ministerpräsident Stefan Löfven bezeichnete es angesichts der „vielen Herausforderungen“ für Europa als „wichtig, dass das Budget steht“. Er sprach von harten Verhandlungen, doch hätten die schwedischen Interessen trotz der schweren Ausgangslage „großen Einfluss“ gehabt, so Löfven. Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen wertete die Einigung als sowohl für ihr Land als auch für Europa „äußerst zufriedenstellend“. Das Wichtigste sei natürlich, dass man sich nun daranmachen könne, die europäische Wirtschaft nach der CoV-Krise wiederherzustellen, sagte sie am Dienstagvormittag Reportern in Brüssel.

Niederländische Ministerpräsident Mark Rutte, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Irlands Ministerpräsident Micheal Martin
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Irlands Ministerpräsident Micheal Martin, der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und verdeckt Kommissionspräsident Charles Michel

Deutlich höherer Rabatt für Österreich

Die Niederlande, Schweden, Dänemark und Österreich waren gemeinsam dafür eingetreten, dass die CoV-Hilfen nicht als Zuschüsse, sondern nur als Kredite vergeben werden. Letztlich mussten sie aber zustimmen, dass 390 Milliarden Euro an Zuschüssen an die von der Coronavirus-Krise betroffenen Länder fließen. Der schuldenfinanzierte Aufbaufonds ist 750 Milliarden Euro schwer. 360 Milliarden Euro sind als Kredite vorgesehen.

Für den Aufbaufonds nimmt die EU ab nächstem Jahr gemeinsam Schulden auf, diese sollen bis 2058 getilgt sein. Österreich übernimmt für den Zeitraum Haftungen in der Höhe von geschätzten 10,53 Milliarden Euro. Größte Empfänger werden laut Diplomaten Italien, Spanien und Frankreich sein, Österreich kann mit 3,7 Milliarden Euro rechnen. Seinen Budgetrabatt konnte Österreich unterdessen deutlich erhöhen. Er sieht für Österreich von 2021 bis 2027 eine jährliche Pauschalsumme in Höhe von 565 Millionen Euro (in Preisen von 2020 und brutto) vor. Der österreichische Rabatt vervierfacht sich somit von 137 Millionen Euro in der laufenden Periode. Der EU-Finanzrahmen für 2021 bis 2027 hat eine Gesamthöhe von 1.074,3 Milliarden Euro in Verpflichtungsermächtigungen.

Bundeskanzler Sebastian Kurz
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Kanzler Sebastian Kurz ist mit dem erreichten Ergebnis sehr zufrieden

Kurz: Gutes Ergebnis

Kanzler Kurz begrüßte das Ergebnis. „Ich bin mittlerweile etwas müde, aber inhaltlich sehr zufrieden“, sagte der Kanzler Dienstagfrüh. „Wir haben ein gutes Ergebnis erreicht für die Europäische Union, und wir haben ein gutes Ergebnis erreicht für die Republik Österreich.“ Es sei gelungen, sich auf den Finanzrahmen zu einigen und „eine adäquate Reaktion auf die Coronavirus-Krise zustandezubringen“. Durch den starken Zusammenhalt der Länder Österreich, Niederlande, Schweden und Dänemark sei es auch gelungen, viele inhaltlich wichtige Punkte durchzusetzen, verwies der Kanzler etwa auf die Reduzierung der Zuschüsse.

Es sei gelungen, dass die Gelder im „Recovery Fund“ vor allem in Ökologisierung, Digitalisierung und Reformen fließen sollen. „Und es wird sichergestellt, dass die Mittelverwendung auch wirklich genau kontrolliert wird durch einen sehr, sehr strengen Kontrollmechanismus.“ Bei Verdacht der nicht zweckkonformen Verwendung könne die Auszahlung gestoppt werden. Es habe zudem einen Kompromiss bei der Rechtsstaatlichkeit gegeben, „alles in allem ein Paket, mit dem wir in Österreich sehr zufrieden sein können“.

Kogler: Rom wurde nicht an einem Tag erbaut

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) hat den EU-Finanzdeal als „in der Tendenz ein positives Ergebnis“ gewürdigt. In einer Stellungnahme gegenüber der APA beklagte er die „falschen Kürzungen“ beim geplanten Klimafonds. Mehr Geld für diesen wäre ihm „lieber gewesen als das eine oder andere Prozent am Rabattbazar“, so Kogler. Kogler spielte damit auf die Tatsache an, dass die Nettozahlerallianz, darunter Österreich, eine starke Erhöhung ihrer Beitragsrabatte erreichte.

EU einigt sich auf Paket

Beim EU-Finanzgipfel in Brüssel haben sich die Staats- und Regierungschefs auf das Coronavirus-Hilfspaket geeinigt.

„Wir wären als Grüne in manchen Bereichen wohl mutiger und auch europäischer gewesen. Aber auch Rom wurde nicht an einem Tag erbaut“, so Kogler. Er wies darauf hin, dass ein Ergebnis wie dieses „vor wenigen Wochen so jedenfalls nicht zu erwarten“ gewesen sei. „Da war ausschließlich von Krediten die Rede, und Klimaschutz hat noch kaum eine Rolle gespielt. Hier hat sich Vernunft auch bei jenen durchgesetzt, die das vorher blockieren wollten“, so Kogler.

Kogler nannte die Einigung auf 390 Milliarden Euro Zuschüsse und 360 Milliarden Kredite im Coronavirus-Fonds „tragfähig“. Kritisch äußerte sich der Grünen-Chef zum Kompromiss beim Rechtsstaatlichkeitsmechanismus. Hier hoffe er, dass im Europaparlament eine „Nachschärfung“ passiere.

Peter Fritz aus Brüssel

ORF-Brüssel-Korrespondent Peter Fritz analysiert, ob es Gewinner und Verlierer in der Einigung am EU-Budget-Gipfel gibt.

Macron: Unterschiedliche Auffassungen von Europa

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron räumte ein, dass sich beim EU-Gipfel in Brüssel eine gewisse Spaltung der EU gezeigt habe. „Diese lange Verhandlung war geprägt von Schwierigkeiten, manchmal von Gegensätzen, von unterschiedlichen Auffassungen von Europa“, sagte Macron Dienstagfrüh in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel. Er sei aber erfreut darüber, dass er mit Merkel stets auf der „Seite der Ambition und Kooperation“ gestanden sei.

Deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron
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Der französische Präsident Emmanuel Macron und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel

Macron spielte mit seinen Äußerungen offensichtlich auf den erbitterten Widerstand an, den etwa Kurz und Rutte gegen die Pläne für das riesige CoV-Hilfspaket geleistet hatten. „Der Aufbauplan (…) ist eine historische Veränderung für unser Europa und unsere Euro-Zone“, so der französische Präsident weiter. Er hob hervor, dass sich die EU zum ersten Mal in ihrer Geschichte im großen Umfang gemeinsam verschulden will. Die gemeinsame Verschuldung sei für ihn der geschichtsträchtigste Teil der Einigung.

Italien und Spanien erfreut

Italien sei zufrieden mit dem „ehrgeizigen Plan“, sagte Ministerpräsident Giuseppe Conte am Dienstag. Italien mit seiner ohnehin angeschlagenen Wirtschaft leidet unter den Folgen der Coronavirus-Krise besonders. In dem Mittelmeer-Land starben mit oder an der Viruskrankheit bisher mehr als 35.000 Menschen. Italien bekommt 209 Milliarden Euro – davon 81 Milliarden Euro Zuschüsse, die nicht zurückgezahlt werden müssen.

Spaniens Ministerpräsident Pedro Sanchez, Luxemburgs Ministerpräsident  Xavier Bettel und Portugals Ministerpräsident Antonio Costa
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Spaniens Ministerpräsident Pedro Sanchez, Luxemburgs Ministerpräsident Xavier Bettel und Portugals Ministerpräsident Antonio Costa

Auch Spanien zeigte sich erfreut über die Einigung: „Das ist eine großartige Übereinkunft für Europa und eine großartige Vereinbarung für Spanien“, sagte Ministerpräsident Pedro Sanchez. Er sei „zu 95 Prozent zufrieden“, so Sanchez weiter. Für sein Land sind laut dem Regierungschef 140 Milliarden Euro aus dem Hilfs-Topf bestimmt – etwas mehr als die Hälfte davon sind Zuschüsse. Sanchez sprach von einem „wahrhaften Marshallplan“. Es sei „historisch“, dass sich die EU-Kommission erstmals in ihrer Geschichte verschulde, um nationale Programme zu finanzieren. Das zeige, dass Europa eine „gemeinsame Antwort auf eine Krise gefunden hat, die alle mehr oder weniger trifft“, berichtete das spanische Fernsehen.

Baltische Länder sehr erfreut

Der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis sieht „ein sehr wichtiges Signal für Europa, ein wichtiges Signal für die Finanzmärkte“, sagte der Multimilliardär am Dienstag in Brüssel. Die Verhandlungen seien sehr anspruchsvoll gewesen. „Es war wirklich ein großer Marathon“, sagte der Gründer der populistischen Partei ANO.

Estland, Lettland und Litauen erhalten allesamt deutlich mehr Geld aus Brüssel als in den vergangenen sieben Jahren. Entsprechend zufrieden zeigten sich die Regierungschefs der drei baltischen EU-Staaten. Estland bekommt um 2,7 Milliarden Euro mehr Geld von der EU als 2014–2020. Für Lettland schauen 2,3 Mrd. Euro mehr heraus und für Litauen rund 1,7 Mrd. Euro.

Orban sieht Sieg für Ungarn und Polen

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban stellte die Gipfelvereinbarungen als Sieg für die Regierungen in Budapest und Warschau dar. „Ungarn und Polen ist es nicht nur gelungen, sich ernsthafte Geldsummen zu sichern, sondern auch ihren nationalen Stolz zu verteidigen“, sagte der rechtsnationale Politiker am Dienstag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem polnischen Amtskollegen Mateusz Morawiecki in Brüssel.

Einer der zentralen Streitpunkte der äußerst schwierigen Verhandlungen hatte sich um das Problem der Rechtsstaatlichkeit gedreht. Viele Mitgliedsstaaten hatten gefordert, dass die Auszahlung von EU-Geldern an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien gekoppelt sein muss. Einige osteuropäische Länder, darunter Ungarn und Polen, hatten eine solche Koppelung vehement abgelehnt.

Gegen beide Länder läuft EU-Verfahren

Kritiker werfen Ungarn und Polen die Verletzung von Grundfreiheiten sowie den korrupten Umgang mit EU-Hilfsgeldern vor. Gegen beide Länder läuft deshalb ein Grundrechteverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge. Die Frage der Koppelung von EU-Zahlungen an die Rechtsstaatlichkeit konnte auf dem Gipfel letztlich mit einer Kompromissformel gelöst werden.

Im neuen Text heißt es, der Europäische Rat unterstreiche die Bedeutung des Schutzes der finanziellen Interessen der EU und des Respekts der Rechtsstaatlichkeit. Vor diesem Hintergrund werde nun ein System der Konditionalität zum Schutz des Budgets und des CoV-Plans eingeführt – an die Vergabe von Geld sollen also Bedingungen geknüpft werden können. In diesem Kontext soll die Kommission dann bei Verstößen Maßnahmen vorschlagen können, die dann vom Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit angenommen werden.