Bei einem Hintergrundgespräch vor der politischen Sommerpause wollte Sobotka in Wien vor Journalisten Bilanz über ein außergewöhnliches erstes politisches Halbjahr 2020 ziehen. Vieles sei durch die Covid-19-Krise unter besonderen Vorzeichen gelaufen. Aber Österreich habe gerade auch von den Beschlussfassungen her den Weg durch die Krise „sehr gut gemeistert“, so Sobotka, der viel Lob aus anderen Ländern für den „österreichischen Weg“, mit Covid-19 umzugehen, bekommen haben will.
„Parlamentarischer Diskurs darf nicht ausgehebelt werden“
Nach dem Beschluss von Sammelgesetzen solle wieder auf ausreichende und überhaupt längere Begutachtungsfristen bei Gesetzesentwürfen geachtet werden, so Sobotka auf Nachfrage von ORF.at. „Wir brauchen eine Schleife des Nachdenkens“, sagte Sobotka, der auch daran erinnerte, wie oft man durch die Tempovorgaben in der Coronavirus-Krise nachbessern musste: „Der parlamentarische Diskurs darf nicht ausgehebelt werden.“ Dass Begutachtungsfristen auch vor der Coronavirus-Krise immer kürzer ausfielen, wurde zuletzt auch in einem ORF.at-Artikel analysiert.
„U-Ausschuss dient der Aufklärung“
Zu seiner Rolle als Vorsitzender des „Ibiza“-U-Ausschusses versuchte sich Sobotka grundsätzlich zu positionieren: Er sehe den Ausschuss als „Instrument der politischen Aufklärung“ und nicht als Bühne für ein Polittribunal. „Geladen sind Auskunftspersonen, keine Angeklagten“, so Sobotka. Für alle Ladungen und auch Entschlagungen gäbe es klare rechtliche Regelungen, die einzuhalten seien. Wie die Verfahrensordnung weiter entwickelt werden solle? Das, so Sobotka, „sollen sich die Parteien überlegen, wie sie diese weiterentwickeln wollen“.
Seine eigene Rolle sieht Sobotka auf Nachfrage unbelastet. Er zieht Querverweise auf seine Rolle im Parlament, wo er ja auch zwischendurch den Vorsitz abgebe. „Wenn ich geladen werde, werde ich aussagen und dann in meine Rolle zurückkehren“, so Sobotka.
Eine Frage der Optik
Dass er den Endbericht des Verfahrensrichters abnehme und diesen auch entsprechend ändern könne, sieht der Parlamentspräsident nicht als Problem, auch, wenn er, wie zuletzt von Verfahrensrichter Wolfgang Pöschl in einem Ö1-Interview die Optik infrage gestellt wurde, im Endbericht über sich selbst als Auskunftsperson zu befinden habe.
„Ich habe in diesem Radiointerview zu diesem Zeitpunkt ungeklärte juristische Bedenken hinsichtlich der Frage der weiteren Führung des Vorsitzes und der Erstellung des Berichtes durch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka angesprochen“, ließ Pöschl zuletzt in einer Aussendung nach seinem Ö1-Interview wissen: „Wie schon unmittelbar im Interview zum Ausdruck gebracht, möchte ich nochmals festhalten, dass diese Bedenken für mich als offene Frage formuliert waren, zu keinem Zeitpunkt aber eine Bewertung oder Schlussfolgerung für die Tätigkeit des Vorsitzenden Sobotka beinhaltet haben. Die Frage war rein abstrakt gehalten.“
Sobotka: „Bereit, im September als Erster auszusagen“
Er, Sobotka, hoffe auf eine gemeinsam erstellte Ladungsliste für den September und sei gerne bereit, „der Erste zu sein, der dort auftritt“. „Ich bleibe auch Vorsitzender, wenn ich geladen werde“, so Sobotka auf Nachfrage.
Grundsätzlich, so der Nationalratspräsident, erinnere er aber daran, dass der Untersuchungsausschuss „Ibiza“-Ausschuss heiße – „ein Umstand, der ja mitunter in Vergessenheit gerät“. „Unglücklich“ sei er, Sobotka, darüber, dass der U-Ausschuss in der Öffentlichkeit wie ein politisches Tribunal über die Bühne komme.
Insgesamt ortet Sobotka ein Klima, national wie international, wo zu sehr die Aufgeregtheit die politische Kultur bestimme. Man habe den Eindruck, dass „Dirty Campaigning“ schon der Grundmodus der Alltagskultur geworden sei, so Sobotka, der auch nicht mit kritischen Blicken Richtung US-Präsident Donald Trump oder zum brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro sparte. „Wir müssen wieder zu einer neuen Sachlichkeit kommen“, so Sobotka.
„Brauchen mehr demokratische Zusammenarbeit“
Grundsätzlich wolle er auf die Zusammenarbeit der Parlamente setzen und die demokratische Kultur vorantreiben. Sobotkas Lieblingskonzept in diesem Zusammenhang: die Demokratiewerkstatt, die man im Austausch mit zahlreichen Ländern weiterentwickelt habe. Dass gerade beim letzten EU-Gipfel ja das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit einen Dämpfer erlitten habe, damit man auch mit Ländern wie Polen und Ungarn zu einer Einigung komme, sieht Sobotka als Auftrag, gerade die Zusammenarbeit zwischen den Parlamenten zu stärken.
Intensiviert werden soll auch die Kooperation mit den liberalen Kräften in der Türkei. Die Indienstnahme der Religion für die Politik, etwa rund um die Rückwandlung der Hagia Sophia in Istanbul in eine Moschee, sieht Sobotka sehr kritisch.
Sobotka will gegen den politischen Islam vorgehen: „Das geht aber auch nur, wenn sich die Mehrheit der Moslems in Österreich stärker für eine liberale Gesellschaft artikuliert.“ Er sei dagegen, von „den" Moslems“ zu sprechen. Er habe aber den Eindruck, dass die politreligiöse Agenda immer von Minderheiten der Muslime in Österreich bestimmt werde.
Weiter massiv will sich Sobotka dem Kampf gegen den Antisemitismus verschreiben. Erneut verwies er auf das Gelingen der Schaffung des Simon-Wiesenthal-Preises. Für den Herbst soll es weitere Studien und Tagungen zum Kampf gegen den Antisemitismus geben.