Szene aus „Die schönsten Jahre eines Lebens“
Polyfilm
„Die schönsten Jahre eines Lebens“

Erinnerung an eine Affäre

In „Die schönsten Jahre eines Lebens“ findet ein einstiges Liebespaar wieder zueinander: Die französischen Stars Anouk Aimee und Jean-Louis Trintignant, beide über 80, rekonstruieren gemeinsam die wesentlichen Momente eines Kennenlernens – in einem melancholischen Film über das Altwerden, die Liebe und das Erinnern.

Was bleibt, wenn ein Gedächtnis zerfällt? Vielleicht, so die romantische Idee des Films „Die schönsten Jahre eines Lebens“, brechen die Belanglosigkeiten weg, die unerfreulichen Momente und ärgerlichen Begegnungen, und am Ende funkeln nur noch die schönsten Erinnerungen. So zumindest geht es Jean-Louis (gespielt von Trintignant), der als Demenzpatient im Rollstuhl in einem komfortablen Seniorenheim in schöner Landschaft seinen Lebensabend fristet und seiner Jugend nachhängt, als er eine Liebesgeschichte mit einer gewissen Anne erlebte.

Diese Anne (Aimee) ist inzwischen weit über 80, führt eine kleine Boutique, hat ein erfülltes Leben, in dem ihre Tochter Francoise (Souad Amidou) und ihre Enkelin sehr präsent sind. Und dann steht eines Tages ein Mann mittleren Alters in ihrem Laden, stellt sich als Antoine (Antoine Sire) vor und berichtet von der Hinfälligkeit seines Vaters Jean-Louis. Ob Anne den alten Herren nicht besuchen könnte? Es würde seinem Gedächtnis so sehr helfen.

Romanze mit Rennfahrer

„Die schönsten Jahre eines Lebens“ ist der jüngste Film des selbst schon 82-jährigen Claude Lelouch, jenes Regisseurs, der nie recht zur Nouvelle Vague gehörte, auch wenn er in den sechziger Jahren ein wenig auf der Welle mitsurfte. Mit dem Film „Ein Mann und eine Frau“ gelang ihm 1966 der Durchbruch, einer zarten, andeutungsreich erzählten und mit großem Kunstwillen gefilmten Liebesgeschichte zwischen einem feschen jungen Rennfahrer und einem noch fescheren jungen Script-Girl, beide verwitwet und Eltern von Kindern, die gemeinsam zur Schule gingen.

Diese beiden schönen Liebenden wurden schon damals von Aimee und Trintignant gespielt, auch für die beiden stand der Film am Anfang langlebiger Karrieren. In Cannes gab es die Goldene Palme, in Hollywood zwei Oscars. Die Filmkritik war durchwachsen – Kitsch wurde Lelouch attestiert, nicht ganz zu Unrecht. Dem Millionenpublikum war es egal, all die schönen Bahnsteigszenen und Autofahrdialoge sind schlicht unwiderstehlich, und der Ohrwurm, der alle Gesprächspausen kittet – „da da da daba daba da“ – ist seither nicht mehr loszuwerden.

Rekonstruktion einer Liebe

Die große Liebesgeschichte zwischen Jean-Louis, dem Frauenhelden, und Anne, die ihrem verstorbenen Ehemann nachtrauert, endete 1966 offen. Eine Fortsetzung 1986, „Ein Mann und eine Frau, 20 Jahre später“, fand die beiden in neuen Beziehungen wieder, er mit einer wesentlich Jüngeren, sie inzwischen Filmproduzentin und mit einem Fernsehmoderator liiert. Anne will die Liebesgeschichte von damals als Musical verfilmen und bittet Jean-Louis um Erlaubnis, und natürlich flammt die alte Leidenschaft wieder auf.

Dieser zweite Film ist ein selbstironischer, überladener Metafilm, in dem die Romanze nur einer von mehreren teils absurden Handlungssträngen ist. Es ist ein Flirt zwischen Realität und Fiktion, der sein Publikum teilhaben daran lässt, wie ein Film inszeniert, und damit sich selbst demaskiert, was reizvoll, aber merkwürdig unausgewogen bleibt.

Szene aus „Die schönsten Jahre eines Lebens“
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54 Jahre nach „Ein Mann und eine Frau“: Jean-Louis (Trintignant) wird immer noch knieweich, wenn Anne (Aimee) lächelt

Viel besser gelungen, weil konzentrierter auf die beiden ist nun der dritte Film, in dem Lelouch wieder Anne und Jean-Louis aufeinandertreffen lässt, sie bemerkenswert agil und schön, „aber nur, weil ich mich schminke“, er erschütternd hinfällig. Erneut spielt Lelouch mit verschiedenen Ebenen von Wirklichkeit, die hier aber nicht durch den Film-im-Film eingeführt sind, sondern durch die Erinnerungen der beiden alten Herrschaften, die sie Stück für Stück miteinander rekonstruieren.

Quer durch Paris mit 200 Sachen

Die Rückblenden sind dabei Ausschnitte aus dem Film von 1966, und Lelouch mischt viel Realität in seine Fiktion: Die inzwischen erwachsenen Kinder von Anne und Jean-Louis werden erneut von Sire und Amidou gespielt, den Kinderdarstellern von damals. Diese Nähe zur Wirklichkeit ist natürlich ein Trick, mit dem Lelouch seinem Publikum unmittelbar ans Herz greift.

Das mag trivial sein, und vielleicht ist Lelouch tatsächlich ein „Kitschier“, wie ihm in den sechziger Jahren von zeitgenössischen Kritikern attestiert wurde. Die schönste Sequenz im Film hat übrigens gar nichts mit diesem Liebespaar zu tun, sondern zeigt eine Erinnerung des einstigen Rennfahrers Jean-Louis.

Die Szene ist dem eigentlichen Höhepunkt von Lelouchs Schaffen, nämlich dem Kurzfilm „C’etait un rendez-vous“ entlehnt. Dafür bretterte Lelouch 1976 im frühmorgendlichen Paris mit einer an die Stoßstange montierten Kamera acht ungeschnittene Minuten lang in aberwitzigem Tempo quer durch die Stadt.

Lebendige Filmgeschichte

All diese Details zu kennen ist jedoch gar nicht wichtig, auch den alten Film zu sehen oder wiederzusehen ist nicht notwendig. „Die schönsten Jahre“ sind selbst ohne dieses Wissen herzzerreißend darin, wie sie von den Eckpunkten eines Kennenlernens und den Sollbruchstellen dieser Liebe handeln. Lelouchs Film ist ein Geschenk: Zum einen, weil er ein Stück Filmgeschichte lebendig macht: Hier sind Gesichter, die das Kino geprägt haben, wohl zum letzten Mal gemeinsam auf der Leinwand zu sehen.

Und zum anderen, weil ihm hier etwas gelingt, was über die sentimentale Liebesgeschichte hinausweist, auf etwas Enormes, Wahres, nämlich die banale und ganz und gar unbegreifliche Tatsache, dass wir älter werden, zerknittern, hinfällig werden und irgendwann sterben. Diese Vergänglichkeit, so offen ausgestellt, ist dermaßen erschütternd, dass dieser Film deswegen vielleicht noch keine Kunst ist. Aber wie er das zeigt, ist das Größte.