Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der regierungskritischen Nachrichtenwebsite Index.hu
Reuters/Bernadett Szabo
Massenkündigung

Ungarns größtes Onlineportal in Aufruhr

Beim größten unabhängigen Nachrichtenportal Ungarns, Index.hu, bleibt kein Stein auf dem anderen. Mehr als 70 von insgesamt rund 90 Beschäftigten des regierungskritischen Mediums gaben am Freitag ihre Kündigung bekannt – aus Solidarität gegenüber ihrem entlassenen Chefredakteur Szabolcs Dull. Tausende gingen auf die Straßen.

In einer Stellungnahme kritisierten die Beschäftigten die Entlassung des Chefredakteurs als einen „offensichtlichen Versuch, Druck auf Index.hu auszuüben“. In den vergangenen Wochen hatte Dull in einem Beitrag „enormen Druck von außen“ auf die Website beklagt und eine geplante Überarbeitung der Website durch die Eigentümer kritisiert. Bevor er gefeuert wurde, wurde ihm vorgeworfen, er habe interne Dokumente an andere Medien geleitet.

Index.hu ist die am meisten besuchte Nachrichtenwebsite in Ungarn und eine der letzten unabhängigen Stimmen in der ungarischen Medienlandschaft. Dull arbeitete seit 2014 bei Index.hu und hatte seit 2019 den Posten des Chefredakteurs inne. Er gilt als bekanntester Kritiker von Regierungschef Viktor Orban. Er war nach seinen ersten öffentlichen Warnungen Ende Juni bereits aus dem Direktorium der Stiftung MFA entfernt worden. Damals waren Pläne an die Öffentlichkeit gelangt, wonach Teile der Redaktion an externe Firmen ausgelagert und so die Unabhängigkeit des Portals und auch die Arbeitsplätze in Gefahr gebracht werden könnten.

Der entlassene Chefredakteur von index.hu, Szabolcs Dull
Reuters/Bernadett Szabo
Am Mittwoch wurde bekannt, dass Dull als Chefredakteur entlassen wird

Mit einer Medienreform 2010 hatte Regierungschef Orban einen Großteil aller Medien unter seine Kontrolle gebracht. In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Ungarn nur noch auf Platz 89 von 180. Im März hatte der Orban-Unterstützer und einflussreiche Geschäftsmann Miklos Vaszily 50 Prozent der Anteile der Werbeagentur von Index.hu gekauft.

Rücknahme der Entlassung gefordert

Der Kuratoriumsvorsitzende der Index.hu-Eigentümerin MFA, Laszlo Bodolai, gab die Kündigung Dulls am Mittwoch bekannt. Laut Bodolai hätten die Ereignisse der letzten Tage gezeigt, dass der Chefredakteur „nicht in der Lage war, die die Marktlage ungünstig beeinflussenden inneren Prozesse zu stoppen oder zu kontrollieren“. In dem Brief Bodolais an die Index.hu-Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hieß es, dass die politische Unabhängigkeit der Website auch weiterhin nicht gefährdet sei. Über die Person des neuen Chefredakteurs werde später entschieden.

Die Forderung nach Rücknahme der Entlassung des Chefredakteurs seitens der Redaktion im Interesse der fachlichen Unabhängigkeit und Wahrung der Zukunft von Index.hu bezeichnete Bodolai als „Erpressung“. In einer Aussendung betonte Dull: Die Ereignisse der letzten Wochen hätten noch deutlicher gezeigt, dass es in Ungarn für ein Medium Bedarf gebe, bei dem „keine schleichenden äußeren Kräfte darüber entscheiden, was in die Zeitung gelangt und wer diese herstellt, wo frei und unabhängig gearbeitet werden kann“.

Ungarns Außenminister Peter Szijjarto wies Vorwürfe, man habe die Mitarbeiter von Index.hu gleichsam ans Gängelband nehmen wollen, zurück. Das seien unwahre Anschuldigungen. Die ungarische Regierung respektiere selbstverständlich die Freiheit der Presse. Im Übrigen, so Szijjarto am Donnerstag laut Medienberichten, könne die Regierung in Budapest doch gar keinen Einfluss auf die Website nehmen. Diese befinde sich ja in privater Hand.

Demonstration für Pressefreiheit

Wegen der Entlassung Dulls gingen am Freitagabend mehr als tausend Menschen in Budapest auf die Straße, um für Freiheit der Presse und gegen die Angriffe auf das regierungskritische Medium zu demonstrieren. An der von der Jugendpartei Momentum organisierten Aktion nahmen auch Vertreter anderer Oppositionsparteien teil.

Menschenmassen bei Protesten für die Pressefreiheit in Budapest
Reuters/Bernadett Szabo
Bei einer Demonstration am Freitag gingen mehr als tausend Menschen auf die Straßen

Miklos Hajnal, Vorstandsmitglied von Momentum, betonte in seiner kurzen Ansprache: Die Regierung habe einen Tag nach dem EU-Gipfel begonnen, Nägel in den Sarg von Index.hu zu schlagen. Flankiert von einem hohen Polizeiaufgebot zogen die Demonstranten und Demonstrantinnen aus der Innenstadt zum Sitz des Premiers Orban auf den Burgberg.

Das in Wien ansässige Internationale Presse-Institut (IPI) hatte die aus Protest gegen die Entlassung des Chefredakteurs bekanntgegebenen Massenkündigungen bedauert. „Man darf sich da keiner Täuschung hingeben: Das ist ein verheerender Schlag gegen den Journalismus in Ungarn“, schrieb der stellvertretende IPI-Direktor Scott Griffen auf der Website des Instituts. Index.hu sei nicht irgendein unabhängiges Medium, sondern mit einer geschätzten Million Leser täglich „ein Bollwerk“ gewesen. „Wieder ist ein Medium dem Orban-Modell zum Opfer gefallen“, schrieb Griffen.