Berliner tanzen im Volkspark Hasenheide
picturedesk.com/dpa/Christoph Soeder
Legal statt illegal

Berlin sucht Ausweg für die Partyszene

Geschlossene Clubs, dafür Tausende bei illegalen Open-Air-Raves: In fast ganz Europa hat die Pandemie die Partyszene in den Untergrund getrieben – und damit unkontrollierbar gemacht, und das nicht nur in Sachen Coronavirus. In Berlin, einer der Partyhauptstädte Europas, versucht man nun, legale Freiluftevents auf Grünflächen zu ermöglichen. Einfach ist das nicht, und Zustimmung wie Widerstand kommen quer aus allen Gruppen, von Politik bis zu Veranstaltern.

Brisanz in die Debatte hatte erst am Wochenende eine illegale Party im Volkspark Hasenheide in Neukölln gebracht. Nach einigen kleineren Events davor versammelten sich diesmal rund 3.000 Partywillige. Es dauerte Stunden, bis die Polizei die Veranstaltung aufgelöst und die Musikanlagen beschlagnahmt hatte. An Abstandregeln hielt sich kaum jemand, und übrig blieb ein großer Müllberg.

Im Juni wurden im Gleisdreieck-Park Polizisten bei Krawallen von Feiernden angegriffen. Der Berliner Senat schilderte die Lage sehr eindrücklich: „Insbesondere in den Abendstunden kommt es zu massiven Vandalismusschäden, Lärmbelästigungen sowie anderen Ereignissen.“

Besser kontrolliert und legal?

Die Berliner Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) glaubt, dass man mit professionell organisierten Partys solchen illegalen Feiern den Garaus machen könnte. Regeln zur Eindämmung des Coronavirus würden dann gelten. Und man könnte auch mit einem Müll- und Toilettenkonzept dafür sorgen, dass die Parks und Grünflächen auch den Tagesnutzern ohne stinkende Einschränkungen zur Verfügung stehen.

Sie unterstützt damit die Clubcommission Berlin, das Netzwerk der Clubbetreiber, die schon Vorschläge für geeignete Flächen quer über Berlin gemacht hat. Das Feiern im Freien auf Abstand laut Infektionsschutzgesetz sei ja nicht verboten, sagte Sprecher Lutz Leichsenring. Eine Erläuterung dazu veröffentlichte der Verband auf seiner Website. Vom kontrollierten Feiern hätten am Ende alle was – nicht nur die, die diesen Sommer tanzen wollen.

Lokalpolitik am Zug

Entscheiden müssen aber die Lokalpolitiker – und Zustimmung wie Ablehnung kommen quer durch die politischen Lager: Einige CDU-Politiker könne sich mit der Idee anfreunden, andere nicht. Eher Zustimmung kommt von Linken und Grünen, auch die FDP sieht in legalen Veranstaltungen Vorteile. Bei fast allen vorgeschlagenen Flächen kamen allerdings bisher Einsprüche aus der Lokalpolitik, zudem müsste wegen Lärmschutz fast überall um 22.00 Uhr die Party vorbei sein. Scharfe Kritik an der Partyszene kommt von Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD): „Pandemiezeit ist keine Partyzeit“, sagte sie nicht zum ersten Mal. Nicht umsonst seien die Clubs als Erstes geschlossen worden.

Auch die Berliner Clubbetreiber sind gespalten. Während die einen legale Outdoor-Events herbeisehnen, sind andere skeptisch: Man brauche einiges an Infrastruktur. Ob das kostendeckend funktioniere, sei unklar, hieß es etwa gegenüber Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) und „taz“. Und auch Haftungsfragen seien ungeklärt: Wer hafte, wenn es etwa tatsächlich zu Ansteckungen kommt?

Kaum nachgewiesene Ansteckungen

Befürworter der Events meinen wiederum, die Ansteckungsgefahr im Freien sei relativ gering. Weder nach illegalen Events noch nach der viel kritisierten „Wasserdemo“ mit Hunderten Schlauchbooten zu Pfingsten auf der Spree habe es einen verzeichenbaren Anstieg an Infektionen gegeben. Die Versammlung „Für die Kultur – Alle in einem Boot“, bei der einige Hunderte Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Booten unterwegs waren, wurde von der Polizei beendet und hatte deutschlandweit die Politik und Öffentlichkeit zu entsetzten und mahnenden Worten veranlasst.

Teilnehmer an der Wasserdemonstration in Berlin
picturedesk.com/dpa/Vincent Bruckmann

Das Comeback der englischen Rave-Kultur

Doch nicht nur in Berlin, sondern auch in vielen anderen Ländern sind Partys in den Untergrund gewandert. Am Wochenende kamen bis zu 2.000 Menschen zu einer dreitägigen Technoparty auf einem Feld rund 60 Kilometer südlich von Prag. Die Polizei ließ die Partygänger gewähren, obwohl die Aktion nicht bei den Behörden angemeldet war. Man verwies auf die schlechten Erfahrungen 2005. Damals war die Technoparty CzechTek gewaltsam aufgelöst worden, Dutzende Menschen wurden verletzt.

In Großbritannien sorgen illegale Raves schon seit Monaten für Aufregung und Reminiszenzen an die frühere Partykultur. Ab den späteren 1980er Jahren feierte man auf Feldern und in verwaisten Fabrikshallen Acid-House- und später Technopartys – oft als Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei. Mit den Ausgangsbeschränkungen in England erlebten solche Raves ein überraschendes Comeback, sehr zum Missfallen der Behörden – mehr dazu in fm4.ORF.at.

Der Open-Air-Sommer und seine Grenzen

Doch es sind nicht nur die großen illegalen Partys, die derzeit einen neuen Generationenkonflikt anheizen. Für die Jungen und die jung Gebliebenen ist es ein Open-Air-Sommer: Auch aus Mangel an Alternativen wird in den Städten Europas draußen getratscht, getrunken – und auch gefeiert und getanzt. Und das sorgt auch für Ärger, und das nicht nur, weil immer wieder darauf hingewiesen wird, dass die Abstandregeln nicht eingehalten werden.

Menschen genieflen die Abendsonne am Donaukanal
picturedesk.com/Andreas Tischler
Bilder von dicht gedrängten Menschen beim Donaukanal sorgten im Frühjahr in Wien für Gesprächsstoff

Beschwerden von Anrainern über Lärm und Mist kommen hinzu – und in Einzelfällen auch Gewalt und Krawalle. Bei den Ausschreitungen in Stuttgart und Frankfurt vor einigen Wochen dürfte der Pandemiefrust der Jugend zumindest zu einem Teil Grund für die aggressive Stimmung und Übergriffe verantwortlich gewesen sein.

Jugend, Clubs und das Coronavirus – ein Dilemma

Sieht man die Problematik in einem noch größeren Kontext, offenbart sich das gesamte – derzeit wohl unlösbare – Dilemma: Während jüngere Menschen von der gesundheitlichen Krise der Coronavirus-Pandemie weit weniger betroffen sind als ältere, sind die Auswirkungen für sie laut mehreren Studien deutlich spürbarer. Das äußerte sich quer durch die jüngeren Altersgruppen von Schulschließungen bis hin zu größeren Einbußen im Job und auf dem Arbeitsmarkt.

Und genau ihr Lebensstil ist es auch, der durch Schließungen und Verbote deutlich mehr eingeschränkt ist als der von älteren: Clubkultur und Live-U-Musik sind jene Branchen, für die es bisher keine Lösungen gibt. Die Wiener Clubszene etwa erneuerte erst am Montag wieder ihren Hilferuf um finanzielle Unterstützungen und warnte vor einem großen Clubsterben. Einmal mehr wird – auch, aber nicht nur in Österreich – die Kritik laut, dass die Jugend eben keine Lobby habe, die stark genug sei – während es sich andere Gruppen und Branchen irgendwie richten können.

Ikonisch für Superspreader-Events

Auf der anderen Seite steigen gerade jetzt in ganz Europa die Infektionszahlen bei jüngeren Menschen. Solange es vergleichsweise milde Verläufe gibt, wäre das wohl nicht das größte Problem. Gefährlich wird es aber dann, wenn das Virus von den Jungen zu stark verbreitet wird und wieder vulnerablere Gruppen betroffen sind.

Und wiewohl Apres-Ski-Bars mit Clubs auf manchen Ebenen nur bedingt vergleichbar sind: Mit Ischgl steht die Nachtgastronomie ikonisch für Superspreader-Events. Und Massenansteckungen in Clubs wie etwa in Seoul und zuletzt in Prag zeigen, dass Feiern zumindest indoor wohl nicht so schnell wie zur Zeit vor dem Coronavirus möglich sein wird.