Schon im Mai dieses Jahres gab es alarmierende Meldungen: Der vergangene Winter hat viel zu wenig Niederschlag für den Neusiedler See gebracht, der sich zu 80 Prozent aus Regenwasser speist. Auch wenn sich der heurige Sommer bis jetzt klimatisch eher durchwachsen zeigt, entspannt das die Situation kaum: Das fallweise Regnen der vergangenen Wochen ist nicht viel mehr als der sprichwörtliche Tropfen in den zudem immer wärmer werdenden See – um 1,9 Grad ist die Wassertemperatur seit 1985 gestiegen.
An einem heißen Sommertag verliert er etwa einen Zentimeter, bei starkem Südost-Wind werden zudem große Wassermengen in den Schilfgürtel gedrückt und versickern dort – ein bedrohliches Szenario für ein Gewässer mit einem mittleren Wasserstand von nur etwas mehr als einem Meter.
Getrübte Bade- und Segelfreuden
Und das Vergnügen für Badegäste und Wassersportler wird getrübt: Immer mehr Segelboote bleiben im Schlamm stecken, viele wurden im Frühling erst gar nicht zu Wasser gelassen. Auch die Seebäder leiden unter der Situation. Kommt der Wind aus Nordwest, fehlt etwa im Seebad Breitenbrunn schnell zusätzlich ein halber Meter Wasser.
Dazu kommt das Problem überalterter Schilfbestände: Seit es aufgrund der Feinstaubproblematik keine Brandrodungen mehr gibt, trägt ihre Verrottung zu vermehrter Schlammbildung und damit langfristig zur Verlandung bei, beklagt Matthias Grün, Direktor des Bereiches Forst- und Naturmanagement der Esterhazy Stiftungen: „Dem Schilfmanagement muss künftig mit Sicherheit mehr Bedeutung beigemessen werden. Das hat einen großen Einfluss auf den Wasserstand und die Verdunstung.“
Lösung mit Ungarn angedacht
Bereits seit 2003 wird darüber diskutiert, ob eingeleitetes Fremdwasser – etwa aus der Donau – den Neusiedler See auf einem ausgeglichenen Niveau halten könnte. An den technischen wie finanziellen Schwierigkeiten eines solchen Unterfangens hat sich seither nichts geändert, diesmal aber will das Land Burgenland dranbleiben – mehr dazu in burgenland.ORF.at.
Eine grenzüberschreitende Taskforce, in die alle Verantwortlichen eingebunden werden sollen, erarbeitet in den nächsten Jahren ein Konzept dazu. Neues Wasser muss her – das hat sich der zuständige burgenländische Landesrat Heinrich Dorner (SPÖ) fest vorgenommen.
Ins Auge gefasst wird eine gemeinsame Lösung mit Ungarn: Unter anderem wird eine Zuleitung aus der Mosoni Duna überlegt, einem nach der Kanalisierung der Donau für das Kraftwerk Gabcikovo eher spärlich dotierten Donauarm. Das Wasser soll nicht nur den See auffüllen helfen, sondern auch in der Landwirtschaft eingesetzt werden – auch in Ungarn. Das könne sich schon von der benötigten Menge her nicht ausgehen, monieren Kritiker einer etwaigen Dotierung des Sees mit Fremdwasser.
Sinkende Grundwasserpegel nicht nur Problem für den See
Doch von übertriebenen Warnungen hält Landesrat Dorner generell wenig: „Sollte der See eines Tages wirklich austrocknen, kann man sich ja vorstellen, dass vieles nicht mehr möglich sein wird. Aber diese ganzen Horrorszenarien sind entbehrlich. So weit wird es, glaube ich, nicht kommen.“
Bei dem Projekt gehe es außerdem nicht nur um den See, sondern auch um die Lacken im Seewinkel und die Grundwassersituation, sagt Projektleiter Christian Seiler, Hauptreferatsleiter der burgenländischen Wasserwirtschaft. Seit Jahren schon ist der stetig sinkende Grundwasserpegel in der Region nicht nur für die Weinbauern ein Problem.
Langwierig und kostspielig
Doch wie lange würde es überhaupt dauern, bis Wasser von außen in den See gelangen kann? „Also mit fünf bis zehn Jahren für den ersten Tropfen muss man schon rechnen – wenn alle Verträglichkeitsprüfungen durchgehen“, sagt Seiler. Auch die Kostenfrage sei nicht irrelevant: Der geplante Wasserübergabepunkt auf ungarischer Seite liegt relativ tief, Pump-, Stau- und Verteilanlagen müssten errichtet werden.
Allein die erste Ausbaustufe zu realisieren würde etwa 35 Mio. Euro kosten, rechnet Seiler vor. Doch der See darf nicht austrocknen, darauf hat sich die österreichisch-ungarische Gewässerkommission 2014 in einem Strategiepapier geeinigt. Es geht um den „Erhalt des Sees als Landschaftselement unter Rücksichtnahme auf das Natur- und Kulturerbe der Region“.
Warnung des WWF
Rücksicht auf das Naturerbe wollen vor allem Umweltschutzorganisationen nehmen, auch wenn die Landespolitik betont, dem See keinesfalls schaden zu wollen. Es gibt eindringlich warnende Stimmen: Ein Eingriff in sein komplizierte Ökosystem würde den Steppensee tiefgreifend verändern, mit unabsehbaren Folgen, sagt etwa Bernhard Kohler vom WWF. „Längerfristig wäre eine Verlandung die Folge – also das Gegenteil von dem, was man eigentlich bezwecken will.
Flusswasser ist kalkhaltig, eine Aussüßung des salzhaltigen Sees wäre die Folge. Und das würde wiederum die Verschlammung begünstigen.“ Und es gäbe auch sehr unangenehme kurzfristige Folgen: „Die Trübe des Sees würde verschwinden, der See mehr oder weniger klar werden, was eine massive Algenblüte zur Folge hätte. In so einer giftgrünen Brühe will sicher niemand Boot fahren, geschweige denn schwimmen.“
Der WWF soll zwar in die Taskforce der burgenländischen Landesregierung eingebunden werden, doch bleibt abzuwarten, wie viel Mitsprache er haben wird. Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) kündigte im heurigen Frühling vor dem Eisenstädter Landtag jedenfalls an, dass der Naturschutz „sicher nicht darüber entscheiden wird, ob der See austrocknet oder nicht“.
Enorme touristische Bedeutung
Die Sorge im Land ist freilich groß, gut die Hälfte des burgenländischen Tourismus findet rund um den Neusiedler See statt. Von der Gastronomie über den Einzelhandel bis hin zu Handwerksbetrieben: Die Menschen leben mehr oder weniger vom See, auch wenn dieser überschätzt werde, was die touristische Bedeutung angeht, sagt Stefan Schindler, Geschäftsführer von Neusiedler See Tourismus. „Wir haben eine große Vielfalt an touristischen Angeboten, nicht nur den Wassersport. Einige unserer Gäste würden vielleicht nicht mehr die Attraktivität verspüren, hierherzukommen. Aber der Tourismus würde bleiben und lediglich ein anderer werden.“
WWF sieht Modell für Umgang mit Klimawandel
Einigermaßen gelassen bleibt auch Kohler vom WWF, der die Situation grundsätzlich in größeren Zeiträumen betrachtet. „Die Leute profitieren von diesem Steppenseecharakter in vielerlei Hinsicht, deshalb sollte der See so bleiben, wie er ist. Wir müssen ihn in Ruhe lassen.“
Charakteristisch für einen Steppensee seien nun einmal große Schwankungen und auch gelegentliche Austrocknungen. Für Kohler sind der Neusiedler See und sein Umland eine Art Modellregion – ein Modell dafür, welche unmittelbaren Folgen der Klimawandel haben könnte und wie die Menschen dann damit umgehen werden.