Medizinisches Personal mit Blutprobe im Iran
Reuters/Wana News Agency
BBC-Bericht zum Iran

CoV-Opferzahl deutlich höher als bestätigt

Schon bisher ist der Iran das am heftigsten von der Coronavirus-Pandemie betroffene Land des Nahen Ostens. Eine am Montag veröffentlichte Recherche der BBC legt nahe, dass die Zahlen noch deutlich höher sind als offiziell bestätigt. Laut BBC könnte es dreimal so viele Todesopfer geben wie vom Regime veröffentlicht.

14.405 Menschen starben nach offiziellen Angaben der Behörden bis 21. Juli im Land an den Folgen einer CoV-Infektion. Die tatsächliche Opferzahl könnte zu diesem Zeitpunkt bei über 42.000 gelegen sein, meldete die BBC unter Berufung auf Dokumente, die dem persischsprachigen Dienst des britischen Rundfunks zugespielt wurden.

Auch die Zahl der insgesamt aufgetretenen Infektionen dürfte im Iran um einiges höher sein, als es die offizielle Statistik abbildet: Statt der bisher verzeichneten knapp 279.000 Fälle soll die tatsächliche Zahl bei über 451.000 liegen, so die BBC. Aus den Dokumenten geht zudem hervor, dass die iranischen Behörden den ersten CoV-Todesfall im Land bereits am 22. Jänner verzeichneten – fast einen Monat vor dem ersten offiziell bestätigten Sterbefall.

BBC: Zahlen absichtlich niedrig gehalten

Die Dokumente enthalten nach Angaben der BBC Details dazu, wie viele Menschen täglich ins Spital gebracht wurden, samt Alter, Geschlecht, Symptomen, möglichen Vorerkrankungen sowie dem Datum der Einlieferung und der Länge des Krankenhausaufenthalts. Aus ihnen lässt sich ein umfassenderes Bild zeichnen, wie sich das Coronavirus in der Islamischen Republik ausbreitete.

Grafik zu den CoV-Todesopferzahlen im Iran
Grafik: ORF.at; Quelle: BBC

Und sie legen nahe, dass die iranischen Behörden sehr genau Bescheid wussten, was die Situation im Land betraf. So hätten die Behörden laut BBC eine zu niedrige Zahl der CoV-Todesopfer eingemeldet, obwohl ihnen Unterlagen zu allen Todesfällen vorlagen. Das lege nahe, dass die Zahlen absichtlich niedrig gehalten werden sollten.

Fachleute bezweifelten schon länger die Richtigkeit der offiziell aus dem Iran gemeldeten Zahlen. Das iranische Gesundheitsministerium betonte dagegen stets, die an die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gemeldeten Zahlen seien „transparent“ und enthielten keinerlei Abweichungen.

Viele Migrantinnen und Migranten unter Opfern

Am schlimmsten wütete das Coronavirus in der Hauptstadt Teheran, wo den Dokumenten der BBC zufolge über 8.100 Menschen an Covid-19 oder der Lungenkrankheit ähnlichen Symptomen starben. In der Stadt Ghom, dem ersten Zentrum der Pandemie im Iran, wurden über 1.400 Tote verzeichnet.

Auffallend ist die hohe Zahl der nicht iranischen Bürgerinnen und Bürger, die starben. Sie liegt bei über 1.900. Die meisten Opfer dürften Geflüchtete aus Afghanistan sein, die zu Hunderttausenden im Iran leben, so die BBC.

Neuer Anstieg nach Lockerungen

Die ersten beiden Todesfälle in Zusammenhang mit dem Coronavirus wurden im Iran offiziell am 19. Februar in der Stadt Ghom verzeichnet. Noch am selben Tag erklärte das geistliche Oberhaupt des Iran, Ali Chamenei, „Feinde des Iran“ würden die Gefahr aufbauschen.

Irans Geistlicher Oberhaupt Ayatollah Ali Khamenei trägt bei einer Rede Plastikhandschuhe
AP
Das geistliche Oberhaupt der Islamischen Republik spielte die Virusgefahr anfangs herunter

Tatsächlich waren am 19. Februar landesweit bereits 52 Menschen an dem Erreger gestorben, wie aus den geleakten Dokumenten hervorgehe, so die BBC. Die Todesrate sei bis Mitte März fünfmal so stark gestiegen wie offiziell berichtet.

Mitte März, kurz vor dem persischen Neujahrsfest (Nouruz), verhängte die Regierung einen strengen „Lock-down“. Die Maßnahmen zeigten Wirkung, das Infektionsgeschehen ging zurück. Im Mai wurden Beschränkungen zurückgenommen. Seither geht die Zahl der Infektionen und Todesfälle auch offiziell wieder nach oben.

Rouhani: Bis zu 25 Mio. Infizierte

Mittlerweile hat die iranische Regierung ihre Rhetorik zwar deutlich geändert, die Zahlen gehen aber immer noch hinauf. Präsident Hassan Rouhani sagte Mitte Juli in einer Ansprache, dass bis zu 25 Millionen Iranerinnen und Iraner – ein Drittel der Bevölkerung – vom Virus betroffen seien.

Vergangene Woche wurde offiziell ein neuer Tageshöchststand bei den CoV-Toten verzeichnet. Binnen 24 Stunden wurden 235 Todesopfer gemeldet. Hinter den Kulissen tobt ein Machtkampf zwischen dem Gesundheitsministerium und dem Präsidenten.

Machtkampf in Teheran

Das Ministerium macht die von Rouhani angeordneten Lockerungen für die Verschlechterung der Lage verantwortlich. Meinungsverschiedenheiten innerhalb der iranischen Regierung gibt es auch in Zusammenhang mit den jährlichen Aschura-Trauerfeiern.

Mann mit MNS-Maske im Iran
APA/AFP/Atta Kenare
Der Iran ist eines der am stärksten von der Pandemie betroffenen Länder der Welt – die Fall- und Opferzahl dürfte noch weit höher liegen als offiziell bekanntgegeben

Der Klerus und auch Präsident Rouhani bestehen darauf, dass trotz der Coronavirus-Krise die Aschura-Zeremonien Ende August veranstaltet werden sollen. Das Gesundheitsministerium ist dagegen, weil es bei Aschura zu großen Menschenansammlungen kommt und dementsprechend auch zu neuen Infektionen.