Kreuzfahrtsschiff „Aida Mar“ in Hamburg
Reuters/Fabian Bimmer
Neustart gestrichen

Kreuzfahrtschiffe bleiben vor Anker

Viele Menschen in enger Gemeinschaft: Kreuzfahrtschiffe sind zu Beginn der CoV-Ausbreitung zu Infektionsherden geraten. Im Sommer wollten die Reedereien mit Sicherheitskonzepten die Saison neu starten, doch neue Ausbrüche und Reisebeschränkungen machen der Branche wieder einen Strich durch die Rechnung.

Als „Branchenselbstmord“ bezeichnete der Tourismusexperte Alexis Papathanassis vor zwei Wochen im „Spiegel“ die Möglichkeit, dass es wieder zu einem CoV-Ausbruch auf einem Passagierschiff kommen könnte. Nun ist geschehen, was die Reedereien unbedingt verhindern wollten: Infektionen, ein schwieriges Contact-Tracing, Passagiere in Quarantäne.

Wiederholt gab es zuletzt kleinere Ausbrüche des Coronavirus auf Passagierschiffen. So wurden etwa erst am Wochenende drei Crewmitglieder der Schiffe „Costa Deliziosa“ und „Costa Favolosa“, die sich im Hafen der italienischen Stadt Civitavecchia befinden, positiv getestet. Auf den Schiffen der Reederei Costa Crociere befanden sich keine Passagiere.

Im Pazifik ist die „Paul Gauguin“ betroffen, die vor Tahiti liegt. Sie war zwischen Bora Bora und den Rangiroa-Inseln gefahren, als ein Besatzungsmitglied positiv getestet wurde. Das Schiff drehte um und steuerte seinen Heimathafen Papeete an. Dort müssen die Passagiere nun an Bord und in ihren Kabinen bleiben, wie der „Guardian“ am Montag berichtete.

Ein Fall, Hunderte Ansteckungen

Schlimm hat es auch die norwegische Gesellschaft Hurtigruten erwischt. Ihr Expeditionsschiff „Roald Amundsen“ liegt in Tromso vor Anker. Nach zwei aufeinanderfolgenden Fahrten seit Mitte Juli waren 36 Besatzungsmitglieder und vier Passagiere positiv getestet worden. Hunderte hatten das Schiff aber bereits verlassen, bevor die Infektionen bestätigt wurden. Sie müssen nun mühselig gesucht und isoliert werden.

Die „Roald Amundsen“ war eines jener Schiffe, die im März tagelang auf See gestrandet waren, weil der Zielhafen ihnen wegen CoV-Fällen an Bord das Anlegen verweigert hatte. Nun werfen die Behörden der Reederei vor, nichts gelernt und ihre Schiffsreisen zu früh wieder aufgenommen zu haben.

Seit März war die Branche komplett lahmgelegt, nachdem sich das Virus auf einigen Schiffen ungehindert ausgebreitet hatte. So wurde die unter britischer Flagge fahrende „Diamond Princess“ im Februar in Japan zeitweise unter Quarantäne gestellt, nachdem sich rund 700 Menschen an Bord angesteckt hatten. Alle Infektionen waren auf einen einzelnen Fall vor Beginn der Quarantäne zurückzuführen.

Im Gegensatz zu Hurtigruten – die bereits im Juni wieder Reisen anbot – nahm der Großteil erst vor wenigen Tagen die Kreuzfahrtschifffahrt wieder auf, und das unter strengen Sicherheitsvorkehrungen. In Deutschland wurde ein Konzept mit den Behörden entwickelt, in der ersten Phase sollte es keine Landgänge und eine drastische Reduktion der Passagierzahlen geben.

Frage der Zumutbarkeit

Vor rund einer Woche lief das erste deutsche Kreuzfahrtschiff aus dem Hafen: Mit 1.200 Passagieren statt 2.900 legte ein TUI-Schiff zu einer dreitägigen Minikreuzfahrt ab. Auch Hapag-Lloyd Cruises ging wieder auf Fahrt. Es galt ein Mindestabstand von 1,50 Metern oder Maskenpflicht. Die Gäste hatten nicht selbst Zugang zu den Speisen. Vor Beginn der Reise waren ein Gesundheitsfragebogen auszufüllen und eine Fiebermessung zu absolvieren. Zudem mussten die Gäste jeden Morgen in einer Schlange zum Fiebermessen antreten. Der deutsche Reisebüroverband sprach sich sogar für eine allgemeine Testpflicht auf Kreuzfahrtschiffen sowie für alle Urlaubsrückkehrer aus. Die Kosten sollten von den Gästen selbst getragen werden.

Kreuzfahrtsschiff „Roald Amundsen“ in Tromsö
APA/AFP/NTB Scanpix/Terje Pedersen
Die „Roald Amundsen“ liegt isoliert vor Anker. Hurtigruten sieht sich mit Vorwürfen konfrontiert.

Experte Papathanassis hatte hingegen vor Schnellschüssen gewarnt und systematische Krisenpläne gefordert. Kunden dürften nicht als Testobjekte dienen. „Außerdem: Eine Kreuzfahrt, die hauptsächlich aus Seetagen und Social Distancing besteht, entspricht nicht dem, was ich für ein attraktives Urlaubserlebnis halte“, sagte Papathanassis.

Auch die Reedereien selbst blasen nun ihren geplanten Neustart wieder ab, bevor er richtig begonnen hat. Die zum weltgrößten Kreuzfahrtkonzern Carnival gehörende Reederei Aida sagte geplante Kurzreisen bis Mitte August ab. Aida teilte mit, bereits bezahlte Reisen und alle gebuchten Leistungen sollten den Passagieren gutgeschrieben werden. Bei Umbuchungen erhielten die Reisenden ein Bordguthaben von 50 Prozent auf den aktuellen Reisepreis, hieß es.

Polizeiliche Ermittlungen möglich

Hurtigruten stoppt bis auf Weiteres alle Expeditionskreuzfahrten und entschuldigte sich für die Entwicklungen. „Eine vorläufige Auswertung zeigt einen Zusammenbruch in mehreren unserer internen Verfahren“, erklärte Vorstandschef Daniel Skjeldam und fügte hinzu: „Unser eigenes Versagen sowie der jüngste Anstieg der Infektionen auf internationaler Ebene hat uns dazu veranlasst, alle Expeditionskreuzfahrten in norwegischen und internationalen Gewässern einzustellen.“ Die Reederei bedauere den Vorfall zutiefst und übernehme die „volle Verantwortung“.

Auch Norwegens Regierung reagierte und beschränkte den gesamten Kreuzfahrtverkehr wieder: Die Behörden würden zunächst in den nächsten zwei Wochen verhindern, dass Schiffe mit mehr als 100 Personen an Bord in norwegischen Häfen anlegen und Menschen an Land gehen könnten. Der reguläre Fährbetrieb und der weitere Schiffsverkehr seien davon ausgenommen. Die norwegische Polizei erwägt sogar die Aufnahme von Ermittlungen.

Die italienische Costa Crociere setzte bis Mitte August ihre Fahrten aus. In den USA, wo die meisten großen Kreuzfahrtkonzerne beheimatet sind, herrscht bis Ende September noch ein gänzliches Kreuzfahrtverbot.

Erste Insolvenz angemeldet

Die Branche gerät so immer stärker in Nöte: Die meisten Kreuzfahrtunternehmen erwirtschaften ihren Gewinn nicht nur mit dem Preis für die Passage, sondern ebenso aus Gastronomie, Boutiquen und weiteren Angeboten an Bord sowie den Arrangements bei Landgängen. All das fällt nun entweder weg oder um mehrere Nummern kleiner aus, wenn kaum mehr als die Hälfte der kalkulierten Passagiere an Bord sein darf. Die Kosten hingegen sind ähnlich hoch wie bei einem voll besetzten Schiff, auch wenn weniger Servicemitarbeiter und weniger Nahrungsmittel an Bord gebraucht werden.

Die großen Konzerne wie die US-amerikanische Carnival-Gruppe, zu der auch Aida gehört, Royal Caribbean und Norwegian Cruise Line hatten ein dickes Finanzpolster und verfügen bei den Banken noch über Kreditmöglichkeiten. Doch inzwischen verloren sie viele Milliarden Dollar, ihre Aktienkurse schrumpften zusammen. Mit der britischen Firma South Quay Travel hat bereits ein Anbieter Insolvenz angemeldet. Alle Reisen wurden abgesagt.