Straßensperre durch Polizisten bei Protesten gegen Polizeigewalt Ende Mai in Minneapolis (Minnesota)
APA/AFP/Kerem Yucel
Amnesty International

US-Polizei verletzt Menschenrechte

Schwere Menschenrechtsverletzungen wirft Amnesty International der US-Polizei in ihrem Vorgehen bei Anti-Rassismus-Protesten vor. In zahlreichen Fällen seien Schlagstöcke, Geschoße, Tränengas und Pfefferspray gegen friedliche Demonstrantinnen und Demonstranten eingesetzt worden.

In den zehn Tagen nach der Tötung des Afroamerikaners George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz am 25. Mai seien mindestens sechs Fälle dokumentiert, in denen Polizisten mit Schlagstöcke gegen friedliche Demonstranten vorgegangen seien. In 13 Fällen sei es zu einem nicht notwendigen Einsatz von Schaumstoff- oder Gummigeschoßen gekommen, heißt es in einem am Dienstag vorgelegten Bericht der Menschenrechtsorganisation.

In 89 Fällen in 34 US-Staaten hätten Polizisten zwischen dem 25. Mai und dem 5. Juni zudem unnötigerweise Tränengas eingesetzt, schreibt Amnesty weiter. In 21 Fällen in 15 Staaten und der Hauptstadt Washington sei rechtswidrig Pfefferspray eingesetzt worden. Der Einsatz von Tränengas und Pfefferspray sei in der Coronavirus-Krise besonders zu verurteilen, weil die Demonstranten ihre Schutzmasken abnehmen müssten, um sich die Reizstoffe aus dem Gesicht zu spülen, erklärte die Menschenrechtsorganisation.

„Unverhältnismäßige und oft exzessive Gewalt“

In Summe listet Amnesty „unverhältnismäßige und oft exzessive Gewalt“ in 40 Staaten sowie der Hauptstadt Washington auf: 125 voneinander unabhängige Fälle. Die jüngsten Ereignisse hätten Bedenken hinsichtlich „des Rechts auf Leben, der Sicherheit von Personen, des gleichen Schutzes vor dem Gesetz“ sowie der freien Meinungsäußerung und der friedlichen Versammlung geweckt.

Polizisten in Minneapolis gehen mit Pfefferspray gegen Demonstranten vor
Reuters/Carlos Barria
Amnesty dokumentiert insgesamt 125 Fälle von Polizeigewalt gegen Demonstranten

„Der unnötige und manchmal exzessive Einsatz von Gewalt durch die Polizei gegen Demonstrant*innen verdeutlicht genau den systemischen Rassismus und die Straflosigkeit, wegen der die Menschen auf die Straßen gegangen sind“, beklagte Ernest Coverson, Leiter der Kampagne für das Ende von Waffengewalt bei Amnesty International USA, in einer Aussendung.

Ruf nach Reform der Polizeiarbeit

Die Recherchen von Amnesty würden einmal mehr verdeutlichen, dass Polizeiarbeit in den USA dringend reformiert werden müsse: „Die Herangehensweise des Landes an die polizeiliche Überwachung von Protesten muss sich auf lokaler, bundesstaatlicher und föderaler Ebene von Grund auf ändern“, sagte Justin Mazzola von Amnesty International USA. Die Organisation fordert ein härteres Vorgehen gegen gewalttätige Polizisten, auch hochrangige Beamte. Alle müssten in Straf- oder Disziplinarverfahren zur Rechenschaft gezogen werden.

Amnesty wirft der Polizei auch Gewalt gegen Rettungskräfte, Journalisten und Rechtsbeobachter vor. Auch sie seien Opfer von Schlägen, Tränengas und dem „wahllosen“ Abfeuern zum Beispiel von Gummigeschoßen geworden.

Proteste gegen Polizeigewalt Anfang Juli in Washington
AP/STAR MAX/IPx
Demonstranten erinnern an Floyd und fordern ein Ende von Rassismus und Polizeigewalt

Die Tötung des unbewaffneten Floyd bei seiner Festnahme in Minneapolis (Minnesota) hatte Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt gegen Afroamerikaner nicht nur USA-weit, sondern auch international ausgelöst. Auch in Wien gingen viele Menschen auf die Straße, einmal waren es in der Bundeshauptstadt 50.000.

Trumps Politik verschärft Lage

In den USA ging die Polizei immer wieder mit großer Härte gegen die zumeist friedlichen Demonstranten vor. Oft kam es zu Einsätzen von Sicherheitskräften, die als unverhältnismäßig kritisiert wurden – so bei der gewaltsamen Räumung eines Platzes vor dem Weißen Haus, in dessen Nähe Präsident Donald Trump kurze Zeit später mit einer Bibel vor einer Kirche posierte, und bei Einsätzen von Bundesbeamten, die die Trump-Regierung entsandt hatte, in Portland im Bundesstaat Oregon.

Nach Einschätzung von Kritikern trägt Trump mit seiner „Law and Order“-Politik zur Verschärfung der Lage bei. Wiederholt forderte der Präsident ein hartes Vorgehen gegen potenziell gewaltbereite Demonstranten. Demokraten und Anti-Rassismus-Demonstranten werfen ihm vor, mit seiner rabiaten Rhetorik und der Entsendung paramilitärischer Einheiten seine rechtsgerichteten Anhänger für die Präsidentschaftswahl im November mobilisieren zu wollen. Zudem wolle Trump von seinem vielkritisierten CoV-Krisenmanagement ablenken. In den Umfragen liegt Trump teils deutlich hinter seinem Rivalen Joe Biden von den Demokraten.

Jährlich 1.000 Tote bei Polizeieinsätzen

Amnesty International zufolge werden pro Jahr in den USA mehr als 1.000 Menschen von der Polizei getötet. Da die Regierung keine Daten dazu erhebe, sei die genaue Zahl unbekannt. Aus Statistiken geht hervor, dass unverhältnismäßig viele Afroamerikaner unter den Todesopfern sind.

Neues Video von Polizeieinsatz gegen Floyd

Die „Daily Mail“ veröffentlichte am Montag ein Video, das den kompletten Polizeieinsatz gegen Floyd zeigt. Gefilmt mit einer Bodycam, einer Kamera, die die Polizisten während des Einsatzes am Körper trugen, zeigt es den Schrecken in Floyds Gesicht und seine Bitte, ihn nicht zu erschießen. Zu sehen ist weiters, wie die Beamten Floyd beschimpfen und die Bitten von Passanten, Floyds Gesundheitszustand zu prüfen, ignorieren, nachdem einer der Polizisten ihn mit dem Knie im Genick minutenlang zu Boden drückte, bis Floyd starb.

Das Video erschien bereits Mitte Juli, durfte auf Beschluss eines Richters bisher jedoch nur im Gericht angeschaut werden. Die Massenproteste gegen Polizeigewalt und Rassismus nach Floyds Tod verliefen nach anfänglichen Ausschreitungen größtenteils friedlich.