Atommüllfässer
Getty Images/Charissa Van Straalen/Eyeem
Atommüll

Suche nach Warnhinweis für die Ewigkeit

Wie soll die Nachwelt in Tausenden Jahren auf radioaktive Abfälle, die zuvor in Endlagern zugeschüttet worden sind, aufmerksam gemacht werden? Dieser Frage geht die Atomsemiotik nach. Fachleute aus Wissenschaft, Ökonomie und Kunst debattieren über Alternativen zu Warnschildern und meterhohen Säulen. Möglichkeiten gibt es viele – doch Fragen auch.

Schon seit Jahrzehnten suchen Expertinnen und Experten nach einer Lösung, wie man die nachfolgenden Generationen auf Atommüll in der Erde aufmerksam machen soll. Im Grunde geht es darum, dass auch in Tausenden Jahren Menschen nicht dort graben sollten, wo die giftigen Stoffe liegen. Auf den ersten Blick scheint das Problem banal zu sein. Warum nicht einfach ein großes Warnschild aufstellen? Man könnte ja in allen Sprachen darauf hinweisen, dass man hier sein Leben riskiert. Doch so einfach ist die Sache nicht. Denn wer weiß heute, wie man in 10.000 Jahren kommuniziert – und in welcher Sprache?

Für das US-Endlager in New Mexiko, Waste Isolation Pilot Plant (WIPP), gibt es bereits seit den 1990er Jahren einen Plan für ein Warnsystem. In den nächsten zehn bis 20 Jahren wird die unterirdische Mülldeponie mit hochradioaktivem Transuranabfall voll sein und die Hohlräume eingestürzt und mit Beton versiegelt. Um zu verhindern, dass das, was in rund 650 Meter Tiefe zugeschüttet wurde, von unwissenden Nachfahren ausgegraben wird, setzt man unter anderem auf 32 knapp acht Meter hohe Granitsäulen, die die Außengrenze des mehrere Quadratkilometer großen Areals markieren sollen.

Innerhalb dieser Grenze soll ein zehn Meter hoher und 30 Meter breiter Erdwall entstehen, der den tatsächlichen Fußabdruck des Endlagers markiert. Innerhalb des Walls befinden sich noch mehr Granitsäulen. Alle Säulen sollen mit Warnhinweisen in sechs Weltsprachen und in der Sprache der Navajo gefräst werden. Für Nachfahren, die überhaupt nicht lesen können oder die Sprache nicht verstehen, sollen Gesichter, die Ekel und Panik ausdrücken, auf die Gefahr hinweisen. Es werden auch Hinweise in der Erde vergraben, und in einem großen Granitraum sollen Informationen über dieses Endlager bereitgestellt werden.

Symbole und Zeichen reichen nicht

Es sei „lediglich unser erster bewusster Versuch, über den Abgrund der tiefen Zeit hinweg zu kommunizieren. Es wird weitere geben, die wir in Erwägung ziehen sollten“, schrieb der Science-Fiction-Autor und Physiker Gregory Benford, der selbst bei der Ausarbeitung des Systems beteiligt war. Doch ob all das überhaupt umgesetzt wird, steht in den Sternen. Nach der Versiegelung um das Jahr 2035 muss man zunächst 100 Jahre warten, bis man den Plan umsetzt. Zuletzt hatte die in Paris ansässige internationale Kernenergiebehörde (NEA) der OECD vorgeschlagen, mehrere Warnsysteme miteinander zu kombinieren. Es sei auch die Frage zu stellen, ob man – wie im Fall von WIPP – künftige Besucher und Besucherinnen abschrecken sollte.

US-Atommüllendlager Waste Isolation Pilot Plant (WIPP) in New Mexico (USA)
AP/Susan Montoya Bryan
In ferner Zukunft soll auf dem Gelände des WIPP ein exorbitant großes Warnsystem installiert werden

Linguisten und Linguistinnen zweifeln überhaupt daran, dass Zeichen und Symbole allein reichen, um die Nachwelt zu warnen. Selbst das dreiblättrige Strahlenwarnzeichen ist nicht allen Menschen der Erde bekannt. Die Hunderte Jahre alten japanischen Tsunami-Steine, in denen Sätze wie „Erinnert das Unheil der Tsunamis. Baut nicht unterhalb dieses Punktes“ eingraviert wurden, konnten ebenfalls die Menschen nicht davon abhalten, dort zu bauen, wo es gefährlich ist. Irgendwann, so hieß es, würden die alten Warnungen in Vergessenheit geraten.

Die 70er Jahre gelten als Geburtsstunde der Atomsemiotik, ihren Höhepunkt erreichte die Nischendisziplin doch erst ein Jahrzehnt später mit der Human Interference Task Force. In dieser Zeit zeigten sich die damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter und Ronald Reagan über die Zunahme des Atommülls in den Atomkraftwerken besorgt – besonders weil sie gegenwärtig und zukünftig eine Gefahr darstellt. Ein Team aus Forschern und Forscherinnen – darunter der renommierte Semiotiker Thomas Sebeok – sollte deshalb Lösungsvorschläge für ein Warnsystem für künftige Generationen entwickeln.

„Strahlenkatze“ und spezielle Pflanzen sollten warnen

Sebeok selbst zögerte zuerst mit seiner Zusage, wie er Jahre später in der Fernsehdokumentation „Countdown für die Ewigkeit“ sagte. Das Projekt sei nicht richtig greifbar gewesen. „Ich fragte: Wie weit voraus sollen wir denn denken? Die Antwort aus Washington lautete: 10.000 Jahre“, so der in Ungarn geborene Semiotiker, der 2001 in den USA starb. Er nahm sich des Projekts an und studierte die Geschichte von Symbolen und Zeichen. Doch ein Warnzeichen zu „erfinden“, das auch 10.000 Jahre später noch verstanden werden soll, gestaltete sich als schwierig.

Zum Vergleich: Stonehenge wird auf 4.500 bis 5.000 Jahre geschätzt, Christi Geburt liegt 2.020 Jahre zurück und das Nibelungenlied („Uns ist in alten mæren wunders vil geseit von helden lobebæren“) wurde zu Beginn des 13. Jahrhunderts niedergeschrieben. Geht man davon aus, dass eine Generation eine Zeitdauer von 33 Jahren umfasst, dann müsste das Atommüllwarnsystem auch noch für die letzte von mehr als 300 Generationen verständlich sein. „Man wird nie wissen, welche Sprache die Menschen in 5.000 Jahren sprechen“, sagte Sebeok. Doch die Expertenrunde hatte Vorschläge geliefert, die noch heute durch die Debatte geistern.

Viele von ihnen scheinen aus der Welt der Science-Fiction zu stammen und wurden damals von der Öffentlichkeit auch so bewertet. Zwei Forscher wollten etwa Katzen genetisch so manipulieren, dass sich ihr Fell verfärbt, wenn sie radioaktiver Strahlung ausgesetzt werden. Die Katze als Warnsystem für 10.000 Jahre wurde zwar nicht umgesetzt, allerdings gilt die „Ray Cat“ heute als Kultobjekt auf T-Shirts und kommt auch in Filmen vor. Ein anderer Vorschlag mit demselben Muster lautete: Man muss eine Pflanzensorte züchten, die in Anwesenheit von Strahlung erblüht.

„Atomare Priesterschaft“ sorgte für Spott

Grundsätzlich war unter den Vorschlägen aber auch so mancher, den man gleich umsetzen könnte. Es müssten Warnschilder aufgestellt werden, die je nach Entwicklung mit anderen Sprachen ergänzt werden. Auch das geplante Warnsystem beim WIPP in New Mexico fußt im Grunde auf dieser Lösung. Eine radikalere Schlussfolgerung zog Sebeok: Wenn nicht das eine Zeichen, das noch in 10.000 Jahren vor Atommüll warnt, gefunden werden kann, muss ein kultureller Kontext geschaffen werden, der die Zeit überdauert. Er sprach sich für eine „atomare Priesterschaft“ aus, die mit Hilfe von Legenden und Ritualen Fremde von atomaren Lagerstätten fernhält.

Tunnel im US-Atommüllendlager Waste Isolation Pilot Plant (WIPP) in New Mexico (USA)
AP/Eric Draper
Die Höhlen des WIPP werden in etwa 20 Jahren vollkommen zugeschüttet werden

Doch die „Priesterschaft“ brachte Sebeok ordentlich Kritik und Spott ein. Der Semiotiker erklärte später, dass er eine Gruppe von Weisen meinte, die von der Politik unabhängig agiere und dafür Sorge getragen hätte, dass die nachfolgenden Generationen über die Gefahren mittels mündlicher Überlieferung aufgeklärt werden. Damals sorgte der Vorschlag auch innerhalb der Expertengruppe für Gelächter. Doch heute vertreten insbesondere Künstlerinnen und Künstler die Auffassungen, dass Rituale das Kernstück eines Warnsystems für die Ewigkeit sein können.

Statt der „atomaren Priesterschaft“ stand Anfang der 90er Jahre aber vielmehr die „feindliche Architektur“ im Mittelpunkt. Fachleute empfahlen etwa meterhohe Türme mit Stacheln („Landschaft der Dornen“), einen schwarzen Granitstein, der Sonnenenergie absorbiert, um unpassierbar heiß zu werden („schwarzes Loch“), oder „Verbietungsblöcke“, deren Masse Menschen einschüchtern könnte. Eingewendet wurde bei diesen Warnsystemen, dass diese Hochsicherheitsmaßnahmen die Nachfahren dazu verleiten könnten, erst recht nach „Schätzen“ zu graben.

Ewig andauernder Prozess

Nach den debattenreichen 90er Jahren war das Thema Warnsystem wegen Atommülls für Nachfahren eingeschlafen. Erst nach der Kernschmelze im Atomkraftwerk Fukushima im Jahr 2011 beschäftigten sich Fachleute weltweit wieder intensiver mit dieser Frage. Eine Studie aus der Schweiz empfahl, ein Endlager mit Millionen von Tonscherben zu markieren, die zu Symbolen wie Totenschädeln angeordnet werden. Eine andere Idee betraf sündhaft teure und witterungsbeständige Saphirplatten, auf denen reichlich Informationen gespeichert werden könnten, die man in einer Kammer nahe dem Gefahrenort unterbringt.

Viele Ideen sind freilich Gedankenspiele, um auf das Thema aufmerksam zu machen. In dem 2019 veröffentlichten Endbericht „Entsorgung radioaktiver Abfälle und Stilllegung – Generationsübergreifende Erhaltung von Aufzeichnungen, Wissen und Gedächtnis (RK&M)“ hieß es abschließend, dass es auch weiterhin das Ziel bleibe, potenzielle Eindringlinge abzuschrecken. Es sollte aber das Wissen über die Gefahr von Atommüll im Zentrum stehen. Denn es gehe nicht nur darum, eine Botschaft zu überliefern, sondern diese Botschaft „interpretierbar, aussagekräftig, glaubwürdig und im Laufe der Zeit nutzbar zu halten“.