Demonstranten im libanesischen Außenministerium
APA/AFP/Adel Al Salman
Beirut

Proteste schlugen in Gewalt um

Wenige Tage nach der verheerenden Explosion im Hafen sind am Samstag Tausende Menschen in Beirut auf die Straße gegangen. Die Massenproteste, die sich gegen die libanesische Regierung richteten, schlugen in Gewalt um. Mehrere Ministerien wurden kurzzeitig besetzt. Premier Hassan Diab sprach sich für Neuwahlen als Reaktion auf die Katastrophe aus.

Fernsehbilder zeigten am Samstagabend, wie wütende Menschen in das Energie- und das Handelsministerium eindrangen. Zuvor hatten Hunderte, von ehemaligen Militärs angeführte Demonstrierende bereits das Außenministerium besetzt und zum „Hauptquartier der Revolution“ ausgerufen. Nach drei Stunden wurden sie von der Armee aus dem Gebäude gedrängt.

Auch der Sitz des libanesischen Bankenverbandes wurde gestürmt. Wütende Demonstrierende legten Feuer, bevor sie von der Armee zurückgedrängt und die Flammen gelöscht wurden, wie ein AFP-Fotograf beobachtete. Am Rande der Demonstrationen kam nach Polizeiangaben ein Beamter ums Leben. Er habe mehreren in einem Hotel festsitzenden Menschen geholfen, als er aus einer Menschenmenge angegriffen worden und tödlich gestürzt sei, erklärte die Polizei auf Twitter.

Viele Verletzte

Tausende Menschen waren am Nachmittag durch die Straßen von Beirut gezogen. Vier Tage nach der verheerenden Explosion im Hafen Beiruts schlugen die Proteste gegen die Regierung nun in Gewalt um. Es kam zu Zusammenstößen zwischen Demonstrierenden und der Polizei.

Demonstranten vor dem libanesischen Außenministerium in Beirut
Reuters/Ellen Francis
Demonstrierende vor dem Außenministerium in Beirut: Bei den Protesten wurden zahlreiche Menschen verletzt

Mehr als 200 Menschen wurden dabei verletzt, wie das libanesische Rote Kreuz mitteilte. Einige Demonstrierende versuchten Absperrungen zum Parlament zu durchbrechen und warfen Steine. Die Sicherheitskräfte setzten Gummigeschoße und Tränengas ein, um die Menschen zu vertreiben.

Gerechtigkeit und Rache

Das Motto der Protestkundgebung lautete „Gerechtigkeit für die Opfer, Rache an der Regierung“. Die Demonstrierenden riefen unter anderem „Revolution, Revolution“ und „Das Volk will den Sturz des Regimes“. „Der Aufstand und die Revolution gehen weiter“, sagte einer der Demonstranten dem Sender MTV. Präsident Michael Aoun, Regierungschef Diab und die gesamte politische Führungsspitze seien verantwortlich.

Demonstranten in Beirut
Reuters/Thaier Al-Sudani
Tausende Menschen gingen in Beirut auf die Straße

Bereits im vergangenen Oktober hatten Massenproteste gegen die Regierung begonnen. Die Protestbewegung fordert politische Reformen. Den Eliten wirft sie Korruption vor. Das Land steckt schon seit Jahren in einer schweren Wirtschafts- und Währungskrise, die durch die Coronavirus-Pandemie noch verschärft wurde.

Libanesischer Premier für Neuwahlen

Der libanesische Ministerpräsident Hassan Diab kündigte am Samstag an, Neuwahlen zu beantragen. Nur so könne die Krise in dem Land überwunden werden, sagte Diab am Samstagabend in einer Fernsehansprache. Er werde seinem Kabinett daher am Montag Neuwahlen vorschlagen. Diab wies eine Verantwortung für die wirtschaftlichen und politischen Probleme des Landes zurück. Einen möglichen Termin für Neuwahlen nannte er nicht. Die nächsten Wahlen stünden eigentlich im Jahr 2022 an.

Der Premier rief die politischen Parteien auf, sich auf eine „nächste Stufe“ zu einigen. Er sei bereit, für weitere zwei Monate die Verantwortung zu übernehmen, bis es eine Übereinkunft gebe. „Das Ausmaß des Desasters ist größer, als es sich irgendjemand vorstellen kann“, erklärte Diab. „Wir befinden uns in einem Notstand.“ Er stehe an der Seite derjenigen, die einen Wandel wollten, sagte er.

Weiter Vermisste nach Explosion

Am Dienstag hatten zwei gewaltige Explosionen den Hafen von Beirut erschüttert. Nach Regierungsangaben waren 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat explodiert, die jahrelang ungesichert in einer Halle im Hafen lagerten. 21 mutmaßliche Verantwortliche wurden festgenommen, darunter der Direktor des Hafens.

Die Zahl der Todesopfer der Explosionen stieg am Samstag nach Angaben des Gesundheitsministeriums auf 158, die der Verletzten auf mehr als 6.000. 21 Menschen werden noch vermisst. 6.200 Gebäude wurden nach offiziellen Angaben beschädigt, Hunderttausende Menschen sind obdachlos.

Zerstörte Gebäude in Beirut
APA/AFP
Bild der Verwüstung: Halb Beirut wurde bei der Explosion beschädigt

Die tatsächliche Ursache der Explosionen ist Gegenstand von Ermittlungen, die Rede war von einem Unfall oder Fahrlässigkeit bei der Lagerung. Am Freitag schloss der libanesische Präsident Aoun aber auch einen Anschlag nicht aus. Es sei möglich, dass die Explosionen durch „Fahrlässigkeit oder durch äußere Einwirkung, mit einer Rakete oder einer Bombe“, ausgelöst wurden, sagte er im Fernsehen. Hinweise auf einen möglichen politischen Hintergrund oder einen Anschlag gab es aber nicht.

Frankreich und UNO veranstalten Geberkonferenz

Am Sonntag wollen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und die Vereinten Nationen gemeinsam eine Geberkonferenz für den Libanon ausrichten. Auch US-Präsident Donald Trump kündigte seine Teilnahme an der Videokonferenz an, die Gelder für den Wiederaufbau von Beirut sammeln soll.

Aus Österreich wird laut Außenministerium kein Vertreter an der Konferenz teilnehmen. Die EU sei durch EU-Ratspräsident Charles Michel und den Ratsvorsitzenden deutschen Außenminister Heiko Maas vertreten, hieß es auf APA-Anfrage.

EU sagt Libanon Nothilfe von 33 Millionen Euro zu

Die EU-Kommission hat dem Libanon für die erste Notversorgung 33 Millionen Euro zugesagt. Österreich hat dabei eine Million Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds als Soforthilfe zur Verfügung gestellt.

Die österreichische Regierung stellte unterdessen eine Million Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds (AKF) als Soforthilfe für den Libanon zur Verfügung. Die Mittel werden im Wege der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC) und österreichischer NGOs für die Versorgung und Unterbringung der obdachlos gewordenen Bewohnerinnen und Bewohner Beiruts zur Verfügung gestellt.