Demonstrators run away from police as they gather to protest against a result of the Belarusian presidential election in Minsk, Belarus, Sunday, Aug. 9, 2020. Police and protesters clashed in Belarus’ capital and the major city of Brest on Sunday after the presidential election in which the authoritarian leader who has ruled for a quarter-century sought a sixth term in office. (AP Photo/Sergei Grits)
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Wahl in Weißrussland

Laute Rufe nach Neuauszählung

Nach der umstrittenen Wahl in Weißrussland und den anschließenden schweren Protesten am Sonntag häuft sich die Kritik daran, dass der autoritäre Regierungschef Alexander Lukaschenko mit 80,2 Prozent der Stimmen zum Sieger erklärt wurde. Die Opposition will das Ergebnis nicht anerkennen, auch international wächst die Kritik an den Vorgängen. Eine Neuauszählung wird gefordert. Kritisiert wird auch die Härte bei den Demos.

Bei den Protesten gegen das angebliche Wahlergebnis wurden nach Angaben der Regierung landesweit rund 3.000 Menschen festgenommen. Allein in der Hauptstadt Minsk habe es tausend Festnahmen gegeben, teilte am Montag das Innenministerium mit. Mehr als 50 Zivilisten und 39 Polizisten seien bei Zusammenstößen in der Nacht verletzt worden. Die Demonstranten hatten laut den Angaben Feuerwerkskörper gezündet, Barrikaden errichtet und die Polizei mit Wurfgeschoßen attackiert. Die Angaben lassen sich nicht verifizieren.

Angaben von Aktivisten, wonach bei den Zusammenstößen auch ein Demonstrant getötet wurde, wies das Ministerium zurück. Die Menschenrechtsorganisation Viasna hatte zuvor mitgeteilt, ein junger Mann sei bei den Protesten von einem Polizeifahrzeug angefahren worden. Er habe dabei eine so schwere Kopfverletzung erlitten, dass Sanitäter sein Leben nicht mehr retten konnten. In Sozialen Netzwerken kursierte ein Video von dem Vorfall, zudem Bilder von schwer verletzten Menschen.

Szene von den Protesten in Weißrussland. Polizisten blockieren eine Straße blokieren um die Demonstranten zu stoppen.
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Ein Großaufgebot der Einsatzkräfte begegnete den Demonstranten

Vor allem in Minsk hatten einander Demonstranten und Polizisten am Sonntagabend gewaltsame Auseinandersetzungen geliefert. Ungeachtet eines Demonstrationsverbots waren Tausende Menschen im Zentrum der Hauptstadt auf die Straße gegangen. Die Sicherheitskräfte gingen mit Blendgranaten, Wasserwerfern und Gummigeschoßen gegen die Protestierenden vor.

Opposition will gegen „Diktator“ kämpfen

Es waren die schwersten Proteste, die die frühere Sowjetrepublik je gesehen hat. Die Wahlleitung rief den seit mehr als 26 Jahren regierenden Lukaschenko inzwischen als Sieger der Wahl aus, was ihm eine sechste Amtszeit ermöglicht. Die Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja erkennt das Ergebnis nicht an. Die Opposition bekräftigte Pläne, weiter gegen „Europas letzten Diktator“ zu protestieren. Laut der Wahlkommission kam sie auf 9,9 Prozent.

Grafik zur Wahl in Weißrussland
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA; Fotos: AFP

Tichanowskaja rief den langjährigen Amtsinhaber Lukaschenko zum Rückzug und zur Machtübergabe auf und erklärte sich selbst zur Wahlsiegerin, ihr Stab forderte eine Neuauszählung. Es habe große Manipulationen bei der Abstimmung gegeben. Tichanowskajas Berater erklärten, die Opposition verlange eine Neuauszählung der Stimmen in Wahllokalen, wo Probleme aufgetreten seien. In mehreren Wahllokalen, in denen es keine Wahlfälschung gegeben haben soll, gewann sie nach Angaben ihres Stabs haushoch. Tichanowskaja war angetreten, nachdem ihr Mann, der bekannte Blogger Sergej Tichanowski, inhaftiert und von der Wahl ausgeschlossen worden war.

Lukaschenko: Proteste vom Ausland organisiert

Lukaschenko machte unterdessen das Ausland für die Ausschreitungen verantwortlich. Es habe Aufrufe dazu aus Polen, Russland und Tschechien gegeben, sagte der Präsident am Montag Staatsmedien zufolge in Minsk. „Sie kontrollieren unsere Schafe. Und die verstehen nicht, was sie tun, und werden bereits kontrolliert“, sagte der 65-Jährige. Hinter den Drahtziehern müssten nicht zwingend staatliche Strukturen stehen. „Es wird keinen Maidan geben, egal wie sehr jemand das will. Es ist wichtig, dass sich alle beruhigen“, so der Langzeitpräsident.

Lukaschenko hatte bereits im Wahlkampf vor einer Revolution und Zuständen wie 2014 auf dem „Maidan“ gewarnt, dem Unabhängigkeitsplatz von Kiew im Nachbarland Ukraine. Er drohte mehrfach mit dem Einsatz der Armee. Der Präsident meinte an die Eltern von Demonstranten gerichtet, sie sollten auf ihre Kinder aufpassen, damit es später kein Wehklagen gebe. „Etwa 25 Bereitschaftspolizisten wurden verwundet. Sie wurden absichtlich geschlagen. Sie haben geantwortet.“

Berichte über Wahlfälschung „glaubhaft“

Unterdessen äußerte auch die internationale Politik vermehrt Zweifel an der Legitimität des Wahlergebnisses. Es sei „ganz offenkundig“, dass bei der Wahl am Sonntag „die Mindeststandards für demokratische Wahlen nicht eingehalten wurden“, so der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Die Berichte über Wahlfälschung seien „glaubhaft“.

Presidentschaft Kandidatin Svetlana Tikhanovskaya zusammen mit Maria Kolesnikova bei einer Pressekonferenz am 10. August 2020.
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Kandidatin Tichanowskaja (l.) will weiter für einen Wahlsieg kämpfen

Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verurteilte das gewaltsame Vorgehen gegen Demonstranten. Sie forderte zudem die Behörden in Minsk auf „sicherzustellen, dass die Stimmen genau gezählt und veröffentlicht werden“. Auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und EU-Nachbarschaftskommissar Oliver Varhelyi verurteilten „die unverhältnismäßige und inakzeptable staatliche Gewalt gegen friedliche Demonstranten“ und forderten „die sofortige Freilassung aller in der vergangenen Nacht Festgenommenen“. Auch EU-Ratspräsident Charles Michel verurteilte das aggressive Einschreiten von Sicherheitskräften.

Nachbarstaaten fordern „demokratische Standards“

Die Nachbarstaaten Polen und Litauen riefen die autoritäre Führung in Minsk zum Gewaltverzicht auf. In einer gemeinsamen Erklärung schrieben die beiden Staatsoberhäupter Andrzej Duda und Gitanas Nauseda: „Wir fordern die belarussischen (weißrussischen, Anm.) Behörden auf, grundlegende demokratische Standards uneingeschränkt anzuerkennen und aufrechtzuerhalten.“ Es gelte, Grundfreiheiten, Menschen- und Bürgerrechte einschließlich der Rechte nationaler Minderheiten und der Meinungsfreiheit zu respektieren. Polen forderte einen EU-Sondergipfel. Kritik kam auch aus dem benachbarten Lettland.

Korrespondent Krisai zur Wahl in Weißrussland

ORF-Korrespondent Paul Krisai beobachtet aus Moskau die Wahl in Weißrussland. Er erklärt, was die nächsten Schritte nach dem offiziellen Sieg von Machthaber Lukaschenko sind und ob die Gefahr einer Revolution besteht.

In Österreich äußerten die Grünen Kritik an der „Staatsgewalt“. „Ich verurteile die brutale Gewalt gegen friedliche Menschen, die für ihre politischen und bürgerlichen Rechte eintreten, auf das Allerschärfste“, so die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, am Montag in einer Aussendung. Ernst-Dziedzic forderte eine Überprüfung der Wahl durch unabhängige Gremien und gegebenenfalls eine Wahlwiederholung unter Beobachtung der OSZE.

Das Außenministerium verurteilte ebenfalls „entschieden die Gewalt gegen friedliche Demonstranten“ und forderte die weißrussischen Behörden auf, „die willkürlich verhafteten Menschenrechtsverteidiger und Journalisten umgehend freizulassen“. Man beobachte die jüngsten Entwicklungen „mit großer Sorge“, die Durchführung der Wahl habe nicht internationalen Standards und nicht den Empfehlungen der OSZE entsprochen.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg kritisierte das aggressive Einschreiten der Sicherheitskräfte ebenfalls scharf. „Die NATO verurteilt Gewalt gegen friedliche Demonstranten“, sagte er am Montag. Die Grundrechte inklusive des Rechts auf freie Meinungsäußerung und auf friedlichen Protest müssten respektiert werden. Auch SPÖ-Bundesparteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner kritisierte die Einschüchterung von Medien und Opposition.

Glückwünsche von Putin und Xi

Gratulation kam hingegen von Kreml-Chef Wladimir Putin und Chinas Präsident Xi Jinping. Die Beziehungen zwischen den beiden benachbarten „Brüdervölkern“ sollten gestärkt werden, schrieb Putin nach Kreml-Angaben am Montag in einem Glückwunschtelegramm. Auch Xi betonte, dass er die Entwicklung zwischen China und Weißrussland sehr schätze. China und Russland können als ständige Mitglieder im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dort jederzeit ein Veto bei Entscheidungen einlegen.

Xi wolle mit Präsident Lukaschenko zusammenarbeiten, um gemeinsam die umfassende strategische Partnerschaft beider Länder voranzutreiben, berichtete Chinas staatliche Nachrichtenagentur Xinhua. Auch der Präsident von Kasachstan, Kassym-Schomart Tokajew, gratulierte Lukaschenko.