Werner Kogler bei den Sommergesprächen 2020
ORF/Hans Leitner
„Sommergespräche“

Kogler zwischen Kompromissen und Werten

Erstmals hat sich am Montag Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler den Fragen im ORF-„Sommergespräch“ gestellt. Nachdem die Grünen 2017 aus dem Parlament geflogen waren, landeten sie nach der Neuwahl 2019 auf der Regierungsbank. Dass mit dem Regierungspartner ÖVP Kompromisse auf der Tagesordnung stehen, daraus macht Kogler kein Geheimnis. Die grünen Werte habe er trotzdem nie aufgegeben.

„Im Zentrum der Macht“ sieht der grüne Vizekanzler seine Partei heute. Seit der Gründung sei immer klar gewesen, „dass wir auf allen Ebenen versuchen, die Welt zu verändern und zu verbessern“, gab sich Kogler im Gespräch mit Simone Stribl idealistisch – trotz der Hochs und Tiefs der letzten Jahre und der hohen Parteischulden.

Es sei nach dem Wahlerfolg der Grünen für ihn von Beginn an klar gewesen: „Nicht auf der Flucht sein, sondern die Verhandlungen suchen“, so Kogler. Und es waren harte Regierungsverhandlungen mit dem heutigen Regierungspartner, der ÖVP. Gerade beim Thema Migration, Asyl und Integration scheiden sich die Geister.

„In die Regierung zu gehen ist kein Selbstzweck“

Auch wenn sich die Grünen in der Asylpolitik oftmals komplett konträr zum heutigen Regierungspartner äußerten, hielt Kogler dennoch fest: „Noch nie zuvor hat es so eine dramatische Erhöhung der Hilfe vor Ort gegeben.“ „Was wäre denn denn die Alternative gewesen?“, fragte der Grünen-Chef mehrmals und sprach die Linie des vorherigen ÖVP-Regierungspartners, der FPÖ, an. Kompromisse einzugehen erscheine ihm daher als die sinnvollere Variante. „In die Regierung zu gehen ist kein Selbstzweck“, betonte der Vizekanzler. „Das Ganze ist ein Kompromiss.“

Migrationsfragen: Kompromisse mit der ÖVP

Eine Alternative der Regierungsbildung habe es Ende 2019 nicht gegeben, hob Kogler erneut hervor: „Es gab nur Türkis-Grün oder Türkis-Blau.“ „Das ist auch Demokratie“, so der Vizekanzler weiter, „dass zwei Wahlsieger etwas miteinander versuchen, auch wenn es noch so schwierig ist.“ Die türkis-grüne Regierung komme auch bei der Bevölkerung gut an, betonte er mehrmals. „Überall“ begegne ihm „großer Zuspruch“.

„Wo hätten wir das denn gehabt mit der FPÖ?“

Dass sich in Zukunft möglicherweise noch mehr grüne Ideen durchsetzen könnten, schließt der Vizekanzler nicht aus – etwa dass Asylwerberinnen und Asylwerber in Ausbildung länger in Österreich bleiben können. Das Ziel sei dabei, „wirtschaftliche Vernunft und Menschlichkeit unter den Hut zu bringen“. Als ausbaufähig sehe er das grüne Durchsetzungsvermögen mitunter deshalb, weil sich die ÖVP an Meinungsumfragen orientiere.

Weitere Erfolge als Regierungspartner sieht Kogler in der Korruptionsbekämpfung, der Einsicht des Rechnungshofs in die Parteikassen und das Informationsfreiheitsgesetz, das bis Jahresende versprochen wurde. „Wo hätten wir das denn gehabt mit der FPÖ?“, spielte der Grünen-Chef erneut auf den früheren ÖVP-Regierungspartner an und fügte hinzu: „Noch nicht einmal mit der SPÖ.“

Kogler: Kompromisse auch in Europa

Auch in der EU-Politik sieht Kogler die Grünen als wichtigen Partner der ÖVP, wenn auch hier nicht immer einer Meinung. Auf Nachfrage sehe er sich jedenfalls der deutschen Kanzlerin Angela Merkel EU-politisch näher als Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). „Ich finde das mehr als logisch“, so Kogler knapp als Erklärung. „In Österreich sind die Grünen sicher bei den proeuropäischsten Parteien.“ Zwar sei das auch die ÖVP lange gewesen, doch habe es Veränderungen gegeben. Trotz weitgehender Übereinstimmung mit Kurz beim letzten EU-Gipfel in Brüssel, wo ein EU-Haushaltsrahmen erzielt wurde, wäre Kogler „gern mehr europäisch geblieben“.

„In EU-Politik näher bei Merkel als bei Kurz“

Dennoch werte er die Übereinkunft im EU-Budget als Erfolg, da sich „Ökologisierung durch die Finanzfragen durchzieht“, so Kogler. „In Österreich hat es das noch nie gegeben.“ Dass bei 1,8 Billionen Euro EU-Budget 30 Prozent für Umwelt und Klimaschutz veranschlagt worden seien, sei ein großer Erfolg. Auch die Einnahmen und Anlagen begrüße er, auch wenn es hierbei große Diskussionen gegeben habe. „Auch in Europa ist immer überall alles ein Kompromiss.“

Eigenlob für Klimaschutzinvestitionen

In Österreich strich Kogler die heimischen Klimaschutzinvestitionen hervor: darunter der Ausbau des öffentlichen Verkehrs, Bus, Schienen, bessere Verbindungen sowie, „dass man für drei Euro pro Tag nächstes Jahr hoffentlich schon durch Österreich kommen kann“, auch wenn es hierbei noch vieles zu klären gebe. „Damit fangen wir aber an, damit einmal gleich was weitergeht“, so der Vizekanzler. Klimaschutz und Wirtschaftswachstum gehe ihm zufolge überdies einher.

Klimaschutzvorhaben im türkis-grünen Regierungsprogramm

Durch die thermischen Sanierungen von Gebäuden, Photovoltaikanlagen auf den Dächern, den Ölkesseltauschprogrammen und so weiter würden zahlreiche Arbeitsplätze geschaffen. „Viele Fliegen mit einer Klappe“, so Kogler. „Ökologische Umsteuerung muss auch sozial verantwortlich sein und umwelt- und klimaschützend“, sagte der Grünen-Chef weiter. „Dazu gibt es ja uns.“ Derzeit, auch aufgrund der Coronavirus-Krise, sind in Österreich rund 430.000 Menschen arbeitslos und 470.000 in Coronavirus-Kurzarbeit.

Bekämpfung der Coronavirus-Krise „extrem erfolgreich“

Die Coronavirus-Krise habe Kogler als „dramatische Tage, Wochen und Nächte im Kanzleramt“ erlebt. „Weil wir gesehen haben, dass es keine harmlose Sache ist. Das ist es auch heute noch nicht“, unterstrich der Vizekanzler die Krise als nach wie vor „schwere Bedrohung“. Er bleibe aber dabei, dass Österreich es „relativ gut erwischt“ habe. „Dass wir extrem erfolgreich waren in der Bekämpfung der Pandemie“, habe sich nun im Nachhinein mit der Regierungsstrategie herausgestellt, lobte der Vizekanzler die Arbeit der Regierung in der Krise.

Kogler zur Lockdown-Entscheidung

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) im „Sommergespräch“ über die Entscheidung zum Lockdown.

Mit der Sprache übertrieben – etwa dass Treffen mit Freundinnen und Freunden im öffentlichen Raum nie per Gesetz verboten waren – habe die Regierung nicht, meinte Kogler und sah die Aussagen bei diversen Pressekonferenzen „in der jeweiligen Situation angemessen formuliert“. Etwa habe man immer ausdrücklich von „Ausgangsbeschränkungen“ und nicht von „Ausgangssperren“ gesprochen. Jedoch, gab Kogler zu: „Natürlich wäre es besser gewesen, wenn Verordnungen mit Gesetzen übereingestimmt hätten.“

Nachtgastronomie, Kulturbetrieb, Wintertourismus

Den Fixkostenzuschuss für die Nachtgastronomie hob Kogler weiters als Erfolg hervor. Zumindest für die nächsten Monate garantiere man diesen zu hundert Prozent. Dass es gerade in diesem Bereich schwierig bleiben werde, davon geht Kogler derzeit noch aus. Im Kulturbereich bemühe man sich nun insbesondere mit der neuen „Krisenmanagerin“, der Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer, um ein Funktionieren. Zum Abgang der Ex-Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek (Grüne) sagte Kogler: „Es ist der Ulrike Lunacek unrecht getan worden.“ Dennoch habe man sich mit ihr gemeinsam auf ein Zurücklegen des Amtes verständigt, da vieles nicht funktioniert habe.

Auch im Wintertourismus werde man in Österreich noch mit Einschränkungen rechnen müssen „solange wir keine Impfung haben“. Hier gelte es, Wirtschaft und Gesundheit unter einen Hut zu bringen. So müssten auch in der Wintersaison Sicherheitsabstände, die Maskenpflicht und weitere Regeln eingehalten werden. „Wenn die Verordnungen aus dem Gesundheitsministerium so sind oder so bleiben, dann wird es noch für eine Zeit schwierig bleiben“, erklärte Kogler.

Österreichs Zukunft? – „Zuversichtlich.“

Die Rettung der Wirtschaft hänge jedoch nicht nur von österreichischen Entscheidungen ab, sondern auch von internationalen. „In Österreich ist immer noch genügend Eigenkapital da“, lobte Kogler und hob zudem das „europaweit beobachtete und gelobte“ heimische Kurzarbeitsmodell hervor, das man in abgeänderter Form länger weiterführen will. „Aber die globale Frage ist auch da“, gab der Vizekanzler sich etwas besorgt, lobte aber die EU-Initiativen: „Gut, dass die EU derart große Pakete gemacht hat.“

Die Zukunft Österreichs sieht Kogler nach eigenen Worten zuversichtlich. Doch „solange es keine Impfung gibt, werden wir Distanz halten müssen“, mahnte er. „Zusammenhalten heißt jetzt auch Abstand halten.“ Die Österreicherinnen und Österreicher würden es schon aushalten, „zwischendurch Maske zu tragen und Abstand zu halten“. So würde es gelingen, in allen Bereichen aus der Krise zu kommen.

Analyse: „Alles ist von der Corona-Krise überlagert“

Ob der von Kogler mehrmals angesprochenen mangelnden Alternativen in der Regierungsbildung analysierte Politologe Peter Filzmaier in der ZIB2, dass vor allem Bundeskanzler Kurz die anderen Alternativen nicht gewollt habe. „Die Grünen blieben übrig“, so Filzmaier.

„Sommergespräch“ mit Vizekanzler Werner Kogler – die Analyse

Nach dem Fiasko bei der Nationalratswahl 2017 schafften die Grünen bei der Wahl im vergangenen Jahr nicht nur den Wiedereinzug ins Parlament, sondern auch gleich den Sprung in die Bundesregierung. In den Umfragen hat das den Grünen bisher nicht geschadet, der eigenen Performance stellt Werner Kogler im ORF-„Sommergespräch“ wenig überraschend ein gutes Zeugnis aus. Die türkis-grüne Koalition ist aus seiner Sicht ohne Alternativen. Wie sich der Parteichef der Grünen insgesamt geschlagen hat, analysieren Politikwissenschaftler Peter Filzmaier und Karin Leitner von der „Tiroler Tageszeitung“.

Die ÖVP habe Kogler im Interview kaum angegriffen, schloss sich Karin Leitner von der „Tiroler Tageszeitung“ an. Sie hob auch hervor, dass derzeit alle Inhalte von der Coronavirus-Krise überschattet würden. Nur langsam fange Kogler an, „wo die grüne Handschrift ist“, so Leitner, „da viele Grüne unzufrieden sind“. „Er muss beginnen zu zeigen, wie viel Grün im Regierungsprogramm steckt.“

Was jedenfalls nicht im Regierungsvertrag stehe, ergänzte Filzmaier, sei ein Entgegenkommen der ÖVP beim Asylthema, obwohl Kogler im „Sommergespräch“ diese Möglichkeit angesprochen hatte. „Im Regierungsprogramm steht, dass die ÖVP sich (beim Migrationsthema, Anm.) andere Mehrheiten suchen darf“, bemerkte Filzmaier.