Prügelnde Polizisten in Weißrussland
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Nach Wahl

EU droht Weißrussland mit Sanktionen

Weißrusslands Langzeitstaatschef Alexander Lukaschenko geht nach seinem umstrittenen Wahlsieg so scharf gegen politische Gegner vor, dass seine Gegenkandidatin Swetlana Tichanowskaja gar das Land verlassen musste. Die EU bewertet die Wahl als „weder frei noch fair“, die Beziehungen zu Minsk werden nun geprüft.

Lukaschenko hatte die Präsidentschaftswahl am Sonntag nach offiziellen Angaben mit mehr als 80 Prozent der Stimmen gewonnen. Somit war der Weg frei für seine sechste Amtszeit seit 1994. Die Proteste gegen Lukaschenko und mutmaßliche Wahlfälschungen rissen seither nicht mehr ab, die Behörden gingen hart gegen die Demonstrierenden vor. In der Nacht auf Dienstag wurden erneut 2.000 Personen festgenommen. Und auch in der Nacht auf Mittwoch kam es bei Protesten erneut zu Verhaftungen.

Die EU reagierte am Dienstag mit Sanktionsdrohungen. Die Wahl sei „weder frei noch fair“ gewesen, hieß es in einer am Dienstag veröffentlichten Erklärung der 27 EU-Mitgliedsstaaten. Die EU werde die Beziehungen zu Minsk auf den Prüfstand stellen und auch „Maßnahmen“ gegen weißrussische Vertreter prüfen, die für „Wahlmanipulation, Gewalt gegen regierungskritische Demonstranten sowie willkürliche Festnahmen“ verantwortlich seien.

Minsk weist Vorwürfe zurück

Noch kurz zuvor schien eine schnelle Reaktivierung von EU-Sanktionen gegen die Führung Weißrusslands nicht in Reichweite. Der Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell sagte, dass man nach der umstrittenen Präsidentenwahl zunächst eine ordentliche Lagebeurteilung brauche. Zudem verwies er darauf, dass es für Sanktionsbeschlüsse die Zustimmung aller 27 Mitgliedsstaaten brauche. Als ein Land, das Strafmaßnahmen gegen die Führung blockieren könnte, galt Ungarn. Dessen Regierungschef Viktor Orban hatte sich zuletzt wiederholt an die Seite Lukaschenkos gestellt und sich für eine Aufhebung aller EU-Sanktionen gegen Weißrussland ausgesprochen.

Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko
Reuters/Sergei Gapon
Alexander Lukaschenko

Das Außenministerium im Minsk wies die Vorwürfe zurück: Die schnellen Erklärungen zahlreicher europäischer Politiker seien absolut inakzeptabel, erklärte das Ministerium am Dienstag nach einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Belta. Es werde nicht einmal versucht, die Lage objektiv zu verstehen und Informationen zu überprüfen. „Es ist bereits geplant, schicksalhafte Entscheidungen für die Beziehungen unseres Landes mit der EU zu treffen“, hieß es. Das Ausland solle die Instabilität in der Gesellschaft nicht weiter anstacheln.

Grüne laden Tichanowskaja nach Österreich ein

Auch ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg zeigte sich enttäuscht von den Entwicklungen. „Die EU und Österreich haben Belarus in der Vergangenheit die Hand ausgestreckt. Die Regierung von Präsident Lukaschenko hat allerdings gerade ihr unfreundlichstes Gesicht gezeigt. Das ist ein sehr enttäuschender und bitterer Rückschritt“, sagte Schallenberg. „Die Partnerschaft mit der EU gibt es aber nicht zum Nulltarif. Lukaschenko darf sich daher nicht wundern, wenn die EU jetzt ihre Beziehungen zu Belarus neu bewertet.“

Die Grünen luden Tichanowskaja nach Österreich ein. „Ich habe heute mit ihr Kontakt aufgenommen und sie nach Österreich eingeladen“, so die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, am Dienstag auf Twitter. In einer Aussendung ergänzte sie: „Wir wollen aus erster Hand erfahren, wie es der Opposition in Weißrussland geht, und gemeinsam ausloten, wie auch Österreich zu einer Beruhigung der aufgeheizten Lage und mittelfristig zu einem friedlichen Systemwechsel in Weißrussland beitragen kann.“ Ernst-Dziedzic plädierte dafür, „die Samthandschuhe im Umgang mit seinem Regime auszuziehen“.

Lukaschenkos Konkurrentin verlässt Weißrussland

Swetlana Tichanowskaja ist nach Litauen geflüchtet. In Weißrussland gehen ihre Anhänger weiter auf die Straße. Sie vermuten Wahlmanipulationen.

Die Proteste gegen die Wahl waren zuvor eskaliert. In der Nacht auf Dienstag wurde ein Demonstrant getötet. Der Mann habe tödliche Verletzungen erlitten, als ein „Sprengsatz“ in seinen Händen explodiert sei, teilte die Polizei mit.

In der Nacht zum Mittwoch gab es erneut Zusammenstöße in mehreren Städten des Landes. In den Sozialen Netzwerken gab es Berichte, wonach Sicherheitskräfte wieder brutal gegen Demonstranten vorgingen. Gummigeschoße und Blendgranaten wurden abgefeuert. In Minsk errichteten Demonstranten Barrikaden.

Tichanowskaja in Litauen

Bereits in den Wochen vor der Wahl gingen die Behörden hart gegen die Opposition vor, ließen Hunderte Demonstranten und politische Rivalen festnehmen, unter ihnen auch Tichanowskajas Mann, den bekannten Blogger Sergej Tichanowski. Seine Frau trat an seiner Stelle zur Wahl an.

Grafik zur Wahl in Weißrussland
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA; Fotos: AFP

Tichanowskaja reiste in der Nacht nach Litauen aus – auf Druck des Regimes, wie der litauische Außenminister Linas Linkevicius Dienstagnachmittag sagte. Tichanowskaja erhielt ein einjähriges Visum und eine Unterkunft in Litauen. Auch für ihre Sicherheit werde gesorgt, sagte Linkevicius.

„Ich will kein Blut“

Zuvor war ein Video publik geworden, in dem die 37 Jahre alte Oppositionsführerin die Demonstranten dazu aufruft, zu Hause zu bleiben. Die Botschaft entstand Medienberichten zufolge auf Druck der weißrussischen Behörden. Eine Vertraute der Politikerin sagte, Tichanowskaja habe mit ihrer Ausreise auch die Freilassung ihrer Wahlkampfleiterin Maria Moros erreicht.

Weißrusslands Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja
APTN
Tichanowskajas Videobotschaft entstand Berichten zufolge auf Druck der Behörden

„Ich will kein Blut und keine Gewalt“, sagte Tichanowskaja in dem Video, das im Messengerdienst Telegram veröffentlicht wurde. Dabei liest sie auf einer Couch sitzend eine Botschaft ab und blickt kein einziges Mal in die Kamera. Die Menschen sollten sich nicht der Polizei widersetzen und die Gesetze respektieren, sagte sie. Die Menschen hätten ihre Wahl getroffen.

Tichanowskaja hatte am Montag bei der Wahlleitung offiziell Beschwerde gegen das Ergebnis der Wahl eingelegt und erklärt, im Land bleiben zu wollen. Dann soll sie stundenlang nicht mehr erreichbar gewesen sein.

Lukaschenko: Proteste vom Ausland organisiert

Lukaschenko hatte am Montag das Ausland für die Proteste verantwortlich gemacht. Es habe Aufrufe dazu aus Polen, Russland und Tschechien gegeben, sagte der Präsident.

Hinter den Drahtziehern müssten nicht zwingend staatliche Strukturen stehen. „Es wird keinen Maidan geben, egal wie sehr jemand das will. Es ist wichtig, dass sich alle beruhigen.“ Lukaschenko hatte bereits im Wahlkampf vor einer Revolution und Zuständen wie 2014 auf dem Maidan gewarnt, dem Unabhängigkeitsplatz von Kiew im Nachbarland Ukraine.