Arzt mit Handschuhen hält eine Spritze und eine Ampulle in den Händen
Getty Images/iStockphoto/Meyer & Meyer
Coronavirus

Breite Basis gegen Impfpflicht

Wenn auch nur in der Theorie, haben Politikerinnen und Politiker am Mittwoch erneut über die Impfpflicht diskutiert, sollte es einen Impfstoff gegen das Coronavirus geben. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner und FPÖ-Chef Norbert Hofer traten entschieden gegen eine Impfpflicht auf.

Rendi-Wagner hält die derzeitige Diskussion über eine Coronavirus-Impfpflicht für sinnlos. Seriös könne man diese erst dann führen, wenn ein Impfstoff vorliege und man seine Wirkung und Nebenwirkungen kenne. Ganz allgemein bestätigte sie aber ihre schon als Gesundheitsministerin vertretene Linie: „Ich bin grundsätzlich nicht für eine Impfpflicht.“

Generell solle man Hoffnungen und Erwartungen nicht zu hoch schrauben, so Rendi-Wagner in einer Pressekonferenz am Mittwoch. Noch kein einziger Impfstoffkandidat stehe knapp vor der Zulassung. Die große Herausforderung sei dann auch noch die Produktion und Verteilung, schließlich handle es sich um eine Pandemie, in der die gesamte Weltbevölkerung den Anspruch auf eine Impfung erheben werde.

SPÖ-Parteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner
APA/Herbert Neubauer
SPÖ-Chefin Rendi-Wagner ist gegen eine Impfpflicht

Hofer: „Jeder sollte selber entscheiden können“

Gegen eine verpflichtende Impfung gegen das Coronavirus in Österreich sprach sich auch FPÖ-Chef Norbert Hofer aus. „Ein Zwang widerspricht dem freiheitlichen Grundgedanken. Jeder Mensch sollte selber entscheiden können, ob er sich gegen Corona impfen lassen will oder nicht“, betonte er in einer Aussendung. Der Parteichef sprach sich allerdings in der „Presse“ auch persönlich gegen eine Impfung aus. Er vertraue vielmehr auf sein „gutes Immunsystem“, er bekomme angeblich auch keine Grippe und lehne deshalb auch eine mögliche Coronavirus-Impfung ab.

Nach dem grünen Licht am Dienstag in Russland für einen Coronavirus-Impfstoff – ohne das Abwarten großer klinischer Studien zu Wirksamkeit und etwaigen Nebenwirkungen – warnte Hofer davor, Sicherheitsbestimmungen über Bord zu werfen: „Es müssen vor einer Zulassung eines Coronavirus-Impfstoffes alle Studien und Tests durchlaufen werden. Vorher darf der Impfstoff nicht zur Verwendung kommen.“

Anschober: „Qualität und Sicherheit gehen vor“

Die Regeln zur Erprobung von Impfstoffen müssten so wie bei allen Impfstoffen zu 100 Prozent eingehalten werden, sagte Gesundheitsminister Anschober hinsichtlich der Zulassung einer russischen Vakzine. „Für die EU und damit für Österreich kommt ein nicht ausreichend erprobter Impfstoff nicht infrage“, versicherte er in einer Aussendung.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober
APA/Georg Hochmuth
Anschober besteht auf einem Impfstoff, der erprobt ist

„Qualität und Sicherheit“ gingen vor. Anträge auf Zulassungen für Coronavirus-Impfstoffe können derzeit bei der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) beschleunigt abgewickelt werden. Das bedeute nicht, dass dabei weniger Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit der Impfstoffe vorgelegt werden müssen als bei anderen Zulassungsverfahren, hieß es in der Aussendung des Gesundheitsministeriums. Manche Studien, die normalerweise nacheinander durchgeführt werden, können jedoch damit auch parallel angelegt werden.

Anschober ist zuversichtlich, dass 2021 einer oder mehrere umfassend getestete, sichere, wirksame und zugelassene Impfstoffe vorliegen werden. Innerhalb der EU werden die reservierten Liefermengen nach Bevölkerungsanteil aufgeteilt. „Österreichs Ziel ist dabei, eine Impfung für alle zu ermöglichen, die sich impfen lassen möchten. Ich hoffe sehr, dass wir dieses Ziel ehestmöglich erreichen. Derzeit arbeiten wir an der Impfstrategie, um Vorgangsweise, Vorrang und Logistik für diese Schlüsselphase im Kampf gegen Covid-19 gut vorzubereiten“, so Anschober.

Italien: Sozialdemokratischer Ex-Premier für Impfpflicht

Währenddessen wurde die Diskussion im Nachbarland Italien angeheizt durch den Beschluss des römischen Krankenhauses Spallanzani, ab 24. August einen Impfstoff an 90 Freiwilligen zu testen: Der sozialdemokratische Ex-Premier Matteo Renzi, der das Land zwischen 2014 und 2016 regiert hatte, startete eine Unterschriftensammlung für eine Cov-Impfpflicht. Er reagierte damit auf Premier Giuseppe Conte, der am Wochenende betont hatte, dass in Italien keine Impfpflicht gegen das Coronavirus eingeführt wird, auch wenn ein Impfstoff entwickelt werden sollte.

„Sollte ein Impfstoff gegen Covid-19 auf den Markt kommen, muss die Impfung für jeden in Italien Pflicht sein“, forderte Renzi. Er hatte in den vergangenen Jahren eine Kampagne gegen die „No Vax“-Bewegung geführt. Diese besteht zum Großteil aus Eltern, die sich trotz der 2017 gesetzlich eingeführten Pflicht weigern, schulpflichtige Kinder gegen zehn Krankheiten, darunter Diphtherie, Tetanus und Masern, impfen zu lassen.

„Wir haben wegen Covid-19 in Italien zwei Monate lang Ausgangssperre gehabt. Wird jetzt ein Impfstoff entwickelt, lassen wir den Italienern die Freiheit, sich impfen zu lassen oder nicht? Das ist doch wohl ein Witz!“, schrieb Renzi, der auf seiner Website den Link zur Unterschriftensammlung postete. Seine Äußerung löste hitzige Diskussionen aus. Auf Facebook florierten Hashtags gegen Renzi, der beschuldigt wurde, der Verfassung zu widersprechen und auf undemokratische Weise alle Italienerinnen und Italiener zur Impfung zwingen zu wollen.

Russland weist Bedenken gegen Impfstoff zurück

Unterdessen wies Russland Vorbehalte aus dem Ausland gegen seinen CoV-Impfstoff „Sputnik V“ – den ersten allgemein zugelassenen weltweit – zurück. „Ausländische Kollegen versuchen offenbar, irgendeine Meinung zu äußern, die nach unserer Ansicht absolut unbegründet ist“, sagte Gesundheitsminister Michail Muraschko der Agentur Interfax zufolge. Die Zulassung des wenig erprobten Impfstoffes erfolgte vor dem Vorliegen der Ergebnisse der Phase-III-Studien – ein Vorgehen, das dem international üblichen Ablauf widerspricht. Weder die Wirksamkeit noch die Nebenwirkungen lassen sich derzeit fundiert beurteilen.

Der Impfstoff wurde vom staatlichen Gamaleja-Institut für Epidemiologie und Mikrobiologie in Moskau entwickelt. Dessen Direktor Alexander Ginzburg sagte, zunächst sollten russische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Impfstoff bewerten. Erst dann würden die Daten veröffentlicht. Die Forschungsergebnisse könnten Ginzburg zufolge in einer russischen Fachzeitschrift, aber auch im Ausland publiziert werden.

Wiedermann-Schmidt: „Wirklich nur in Russland möglich“

Nach Muraschkos Angaben wird die erste Charge des neuen Impfstoffes innerhalb der nächsten zwei Wochen erwartet. „Heute läuft eine Qualitätskontrolle“, so der Gesundheitsminister. Die Produktion in Russland sei in erster Linie zur Impfung der eigenen Bevölkerung ausgerichtet. Russland werde aber dem Ausland anbieten, selbst den russischen Impfstoff zu produzieren. Erste Interessenten gibt es laut russischer Regierung bereits, so etwa Israel und der brasilianische Bundesstaat Parana. Russland will parallel zur dritten Testphase bereits medizinisches Personal sowie Lehrerinnen und Lehrer impfen lassen. „Die Impfung wird freiwillig sein“, sagte Muraschko. Empfohlen werde sie für Menschen mit Vorerkrankungen.

Die österreichische Vakzinologin Ursula Wiedermann-Schmidt von der MedUni Wien zeigte sich äußerst skeptisch gegenüber dem russischen Impfstoff: „Zulassung nach einer Phase II? Das ist offenbar wirklich nur in Russland möglich. Zum Glück und richtigerweise undenkbar ohne Phase III für unsere Breiten.“ Wissenschaftlich sei zu der russischen Vakzine bisher nichts publiziert worden. Details fehlten, um das Projekt beurteilen zu können.

Robert-Koch-Institut macht Rückzieher bei Impfstoff-Prognose

Mit einer Kommunikationspanne über die Entwicklung eines Coronavirus-Impfstoffs stiftete unterdessen das deutsche Robert-Koch-Institut (RKI) heute Verwirrung. Das Institut veröffentlichte zunächst ein Positionspapier mit der optimistischen Prognose, dass ein solcher Impfstoff bis Herbst verfügbar sein könnte – es musste diese Aussagen dann aber wieder zurückziehen: Das Papier sei nicht mehr auf dem neuesten Stand und nur versehentlich im Internet veröffentlicht worden, teilte das Institut gegenüber mehreren Medien mit.

Bei der Veröffentlichung sei ein „sehr ärgerlicher Fehler“ unterlaufen, teilte eine Sprecherin gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland mit. „Bei dem veröffentlichten Papier handelt es sich um eine völlig veraltete, inzwischen mehrfach überarbeitete Version, die nicht zur Veröffentlichung vorgesehen war.“

Das RKI gehe ausdrücklich nicht davon aus, dass ein Impfstoff schon bis Herbst zur Verfügung stehen könnte, stellte die Sprecherin klar. Das Institut habe das Papier inzwischen gelöscht und werde in Kürze eine aktuelle Version des Positionspapiers publizieren.

In dem veralteten Papier war die Rede davon, dass Prognosen die Verfügbarkeit eines oder mehrerer Impfstoffe bis Herbst 2020 „möglich erscheinen“ ließen. Allerdings warnte das RKI vor überhöhten Erwartungen.