Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko
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Trotz Protesten

Lukaschenko lehnt Dialog ab

Auch nach Tagen blutiger Gewalt infolge der Präsidentenwahl in Weißrussland bleibt der wegen Wahlbetrugs kritisierte Staatschef Alexander Lukaschenko bei seiner harten Linie. Die Aufforderung der Opposition und auch der EU-Staaten zum Dialog lehnte er am Mittwoch ab. Unterdessen wurde bekannt, dass ein festgenommener Demonstrant im Gefängnis gestorben ist.

Tausende beteiligten sich in den vergangenen Nächten an den Protesten gegen die mutmaßlich gefälschte Wiederwahl von Lukaschenko. Ein festgenommener Demonstrant starb nach Behördenangaben im Gefängnis. Der 25-Jährige sei gestorben, nachdem er am Sonntag in der Stadt Gomel bei einer Demonstration gegen die Präsidentenwahl festgenommen und zu zehn Tagen Gefängnis verurteilt worden sei, teilten die Behörden am Mittwoch mit. Die Todesursache ist nicht bekannt.

Dem jungen Mann sei es in der Haft „plötzlich schlechter“ gegangen, hieß es weiter. Es ist das zweite Todesopfer seit Beginn der landesweiten Proteste. Am Montag war bereits ein Demonstrant getötet worden – laut Regierungsangaben weil ein Sprengsatz in seinen Händen explodierte.

Einen Dialog lehnte Lukaschenko trotz aller Proteste jedoch ab: „Die Basis dieser ganzen sogenannten Protestierenden sind Leute mit einer kriminellen Vergangenheit, die heute arbeitslos sind“, sagte er am Mittwoch in Minsk. Auf einer Sitzung zu Fragen der nationalen Sicherheit sagte er Staatsmedien zufolge, dass jetzt vor allem die verfassungsmäßige Ordnung geschützt und das „normale Funktionieren der Staatsorgane“ gesichert werden müsse.

Polizei geht gegen Demonstrant in Minsk vor
AP
Die Polizei geht mit Gewalt gegen die Demonstranten vor – ein Demonstrant starb im Gefängnis, einer während der Proteste

„Wahnsinn in Weißrussland stoppen“

Bei den Protesten kam bisher ein Mensch ums Leben. Lukaschenko hatte offiziellen Angaben zufolge die Wahl mit rund 80 Prozent der Stimmen gewonnen. Die Opposition erkennt das Ergebnis nicht an und wirft Lukaschenko, der das Land seit 1994 autoritär regiert, Wahlbetrug vor. Westliche Beobachter stuften die Abstimmung – wie alle anderen Wahlen seit 1995 in dem Land – als weder frei noch fair ein.

Lukaschenkos Herausforderin bei der Wahl, Swetlana Tichanowskaja, war am Dienstag nach Litauen ausgereist. Offenbar hatte man Druck auf sie ausgeübt. Ihre Mitstreiterin Veronika Zepkalo forderte den Westen auf, die 37-Jährige als Präsidentin anzuerkennen. „Ich appelliere an die Weltgemeinschaft: Bitte helfen Sie, den Wahnsinn in Weißrussland zu stoppen!“

Swetlana Tichanowskaja
Reuters/Vasily Fedosenko
Wohl aus Angst vor politischer Verfolgung und aus Sorge um ihre Kinder hat Tichanowskaja das Land verlassen

Nachbarstaaten wollen vermitteln

Die Regierungen Litauens, Lettlands und Polens wollen zwischen Lukaschenko und der Opposition vermitteln. Warschau und Riga unterstützten einen von ihm vorgelegten Vermittlungsplan, sagte der litauische Präsident Gitanas Nauseda am Mittwoch bei einer Pressekonferenz. Der Dreipunkteplan sehe die Schaffung eines „Nationalrats“ vor, der aus Vertretern von Lukaschenkos Regierung und der Zivilgesellschaft bestehen soll. Zudem müssten die Behörden alle inhaftierten Demonstranten freilassen und die „Gewalt gegen die Bürger“ einstellen. Falls sich Lukaschenko nicht auf den Plan einlasse, drohten seinem Land neue EU-Sanktionen, sagte Nauseda.

Litauen will zudem die Einreisebestimmungen für Weißrussen lockern. „Weißrussische Bürger, die aus humanitären Gründen kommen, können nach Litauen einreisen“, sagte Regierungschef Saulius Skvernelis einem Rundfunkbericht zufolge am Mittwoch in Vilnius. Nähere Angaben machte er zunächst nicht.

Grafik zur Wahl in Weißrussland
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA; Fotos: AFP

Beratungen über Sanktionen

Die EU kritisierte ebenso wie die österreichische Bundesregierung einen „unverhältnismäßigen und inakzeptablen Einsatz staatlicher Gewalt“. Die EU-Außenminister werden am Freitagnachmittag in einer informellen Videositzung über mögliche neue Sanktionen sprechen. Die EU kündigte indes an, die Beziehung zu Weißrussland gründlich zu überprüfen.

Investitionen in Weißrussland: Kritik seitens der Opposition

Österreich war dem weißrussischen Präsidenten Lukaschenko in der jüngeren Vergangenheit recht freundlich gesinnt. Einige heimische Unternehmen investierten kräftig in seinem Land. Dieser Umstand sorgte für Kritik seitens der Opposition.

„Das könnte unter anderem beinhalten, Maßnahmen gegen jene zu ergreifen, die verantwortlich für die beobachtete Gewalt, ungerechtfertigte Verhaftungen und die Fälschung der Wahlergebnisse sind“, sagte EU-Außenbeauftragter Josep Borrell im Namen der 27 Staaten. Allerdings hatte sein Sprecher zuvor bereits darauf verwiesen, dass für Sanktionsbeschlüsse die Zustimmung aller EU-Mitgliedsländer gebraucht wird. Ungarn gilt dabei als möglicher Gegner von Sanktionen.

Demonstrierende Frauen in Minsk
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In Minsk gehen Frauengruppen weiß gekleidet auf die Straßen. Sie wollen ein Zeichen gegen Polizeigewalt setzen.

Kritik aus dem Ausland zurückgewiesen

„Wir müssen eine einheitliche Position finden, um Druck auf Lukaschenko aufzubauen“, forderte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn im „Tagesspiegel“ (Donnerstag-Ausgabe). Strafmaßnahmen müssen von allen EU-Mitgliedsstaaten einstimmig mitgetragen werden. US-Außenminister Mike Pompeo, der am Donnerstag in Wien eintreffen wird, sagte in Prag: „Wir wollen, dass die Menschen in Belarus die Freiheiten erhalten, die sie einfordern“, Friedliche Proteste müssten geschützt werden.

Das Außenministerium in Minsk wies Kritik aus dem Ausland zurück. Die schnellen Erklärungen zahlreicher europäischer Politiker seien absolut inakzeptabel. „Es ist bereits geplant, schicksalhafte Entscheidungen für die Beziehungen unseres Landes mit der EU zu treffen“, hieß es.

„Letzter Diktator Europas“

Lukaschenko regiert seit 26 Jahren mit harter Hand. Von Kritikern wird er oft als „letzter Diktator Europas“ bezeichnet. Tatsächlich ist er der am längsten herrschende Staatschef in einer Republik in Europa, nur einige Monarchen sind länger an der Spitze ihrer Staaten, jedoch ohne reale politische Macht.

Tausende Festnahmen

Der Streit um den Wahlsieg hatte die größten und längsten Proteste in der Geschichte des Landes ausgelöst. Sie haben das Ziel, Lukaschenko aus dem Amt zu drängen. In der Nacht auf Mittwoch sind mehr als 1.000 Menschen festgenommen worden, am Dienstag kam es dem Innenministerium zufolge zum Einsatz von Schusswaffen – zum „Schutz des Lebens und der Gesundheit“ der Sicherheitskräfte, wie es hieß.

Gewalt bei Demonstrationen in Weißrussland

In Minsk wurden mehr als 1.000 Menschen von der Polizei festgenommen. Pressefotografen wurden ebenso attackiert.

Trotz der Polizeigewalt protestierten die Menschen auch am Donnerstag wieder. In mehreren unabhängigen Kanälen des Nachrichtendienstes Telegram war auf Videos zu sehen, wie Menschen in Minsk, Grodno, Brest und anderen Städten Lukaschenko dazu aufriefen, die Gewalt zu beenden und abzutreten. Zugleich wuchs die Solidarität mit den Demonstranten. In Minsk traten mehr als 100 Ärzte gegen Gewalt auf. Der prominente Moderator des Staatsfernsehens Wladimir Karanik kündigte angesichts der „Lügen“ und „Gewalt“ demonstrativ seinen gut bezahlten Posten.

Menschenketten gegen Polizeigewalt

In mehreren Städten bildeten sich Menschenketten gegen die Polizeigewalt. Der nicht zur Wahl zugelassene Kandidat Waleri Zepkalo, ein prominenter IT-Unternehmer, appellierte aus seinem russischen Exil an die EU, Tichanowskaja als Präsidentin anzuerkennen. Hunderte IT-Unternehmer forderten Lukaschenko zum Einlenken auf und drohten in einem offenen Brief, mit ihren Firmen das Land zu verlassen.

Es kursierten mehrere Videos, auf denen Männer mit Kritik an der Gewalt gegen friedliche Bürger ihre Uniformen in den Müll warfen oder sogar verbrannten, ihre Dienstmarken mit Kündigungsschreiben abgaben. Sie erklärten, dass sie ihren Eid auf den Schutz des weißrussischen Volkes und nicht dem Machterhalt eines Mannes geschworen hätten. Die Echtheit der Videos war nicht überprüfbar.

Die vierfache Biathlon-Olympiasiegerin Darja Domratschewa zeigte sich bei Instagram bestürzt über die Gewalt in ihrer Heimat. Sie appellierte an die Sonderpolizei Omon, die Gewalt zu beenden. „Lasst nicht weiter diesen ungerechten Horror auf den Straßen zu“, schrieb sie bei Instagram. Jeder Konflikt lasse sich auf friedliche Weise lösen. In Minsk etwa schossen Männer in schwarzen Uniformen und Sturmmasken wahllos mit Gummigeschoßen in Richtung von Bürgern, die von Balkonen aus die Sicherheitskräfte ausbuhten und „Schande“ riefen. Es gab viele gewaltsame Festnahmen.

UNO beklagt Misshandlung von Verhafteten

Die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte verurteilte das gewalttätige Vorgehen der Behörden. In den vergangenen drei Tagen seien Berichten zufolge mehr als etwa 6.000 Menschen festgenommen worden, darunter Minderjährige, erklärte Michelle Bachelet.

Das deute auf Massenfestnahmen hin, die die Vorgaben des internationalen Menschenrechts verletzten. „Noch verstörender sind die Berichte über Misshandlungen während und nach der Inhaftierung.“ Bachelet forderte die Freilassung aller unrechtmäßig Festgenommenen.