Polizei verhaftet Demonstranten in Minsk
Reuters/Vasily Fedosenko
Weißrussland

Weitere Massenfestnahmen nach Protesten

Nach neuen Protesten gegen den autoritär regierenden Präsidenten Alexander Lukaschenko hat die Polizei in Weißrussland in der Nacht auf Donnerstag weitere 700 Personen festgenommen. Der wegen Wahlbetrugs kritisierte Staatschef bleibt unterdessen bei seiner harten Linie. Die Aufforderung der Opposition und der EU-Staaten zum Dialog lehnt er ab.

Die Proteste, an denen sich Tausende Menschen beteiligen, hatten am Sonntag nach der Präsidentschaftswahl begonnen. Offiziellen Angaben zufolge entfielen 80 Prozent der Stimmen auf Lukaschenko. Die Opposition ließ das Ergebnis offiziell anfechten, aus der internationalen Politik wurden Manipulationsvorwürfe erhoben. Der 65 Jahre alte Lukaschenko regiert Weißrussland seit mehr als einem Vierteljahrhundert und ginge in seine sechste Amtszeit.

Trotz der Polizeigewalt protestierten die Menschen auch am Donnerstag wieder. Im Zentrum von Minsk bildeten Frauen Donnerstagfrüh eine Menschenkette. Zugleich wächst die Solidarität mit den Demonstrierenden. In Minsk traten mehr als 100 Ärzte gegen Gewalt auf. Der prominente Moderator des Staatsfernsehens Wladimir Karanik kündigte angesichts der „Lügen“ und „Gewalt“ demonstrativ seinen gut bezahlten Posten. Die vierfache Biathlon-Olympiasiegerin Darja Domratschewa zeigte sich auf Instagram bestürzt über die Gewalt in ihrer Heimat.

Demonstrierende Frauen in Minsk
APA/AFP/Sergei Gapon
Demonstrantinnen in Minsk: In Weißrussland wächst die Solidarität mit der Protestbewegung

Es kursierten mehrere Videos, auf denen Männer mit Kritik an der Gewalt gegen friedliche Bürger ihre Uniformen in den Müll warfen oder sogar verbrannten oder ihre Dienstmarken mit Kündigungsschreiben abgaben. Sie erklärten, dass sie ihren Eid auf den Schutz des weißrussischen Volkes und nicht den Machterhalt eines Mannes geschworen hätten. Die Echtheit der Videos war nicht überprüfbar.

Junger Demonstrant starb in Gewahrsam

Bei den Protesten wurden bisher insgesamt fast 7.000 Menschen verhaftet. Dutzende Demonstrierende und Sicherheitskräfte wurden dem weißrussischen Innenministerium zufolge verletzt. Ein Demonstrant starb während der Proteste, ein weiterer in Polizeigewahrsam, wie Mittwochabend bestätigt wurde.

Die Mutter des 25-Jährigen hatte den Sicherheitskräften Willkür vorgeworfen und sie für den Tod verantwortlich gemacht. Ihr Sohn, der eine Herzkrankheit gehabt habe, sei am Wahlsonntag in der Stadt Gomel auf dem Weg zu seiner Freundin festgenommen worden und dann in Polizeigewahrsam im Krankenhaus gestorben. Die Polizei teilte mit, dass die Gerichtsmedizin die Todesursache klären müsse.

Polizei geht gegen Demonstrant in Minsk vor
AP
Die Polizei geht mit Gewalt gegen die Demonstranten vor – ein Demonstrant starb im Gefängnis, einer während der Proteste

Nach Darstellung der Ermittler hatte der Mann an nicht genehmigten Protesten teilgenommen und sei dann mit zehn Tagen Arrest bestraft worden. Sein Gesundheitszustand soll sich im Gewahrsam verschlechtert haben, weshalb er in ein Krankenhaus gekommen sei. Dort starb er den Behördenangaben zufolge.

Lukaschenko verweigert Dialog

Einen Dialog lehnt Lukaschenko bisher trotz aller Proteste ab: „Die Basis dieser ganzen sogenannten Protestierenden sind Leute mit einer kriminellen Vergangenheit, die heute arbeitslos sind“, sagte er am Mittwoch in Minsk. Auf einer Sitzung zu Fragen der nationalen Sicherheit sagte er Staatsmedien zufolge, dass jetzt vor allem die verfassungsmäßige Ordnung geschützt und das „normale Funktionieren der Staatsorgane“ gesichert werden müsse.

Investitionen in Weißrussland: Kritik der Opposition

Österreich war dem weißrussischen Präsidenten Lukaschenko in der jüngeren Vergangenheit recht freundlich gesinnt. Einige heimische Unternehmen investierten kräftig in seinem Land. Dieser Umstand sorgte für Kritik seitens der Opposition.

Die Regierungen Litauens, Lettlands und Polens wollen indes zwischen Lukaschenko und der Opposition vermitteln. Warschau und Riga unterstützten einen von ihm vorgelegten Vermittlungsplan, sagte der litauische Präsident Gitanas Nauseda. Der Dreipunkteplan sehe die Schaffung eines „Nationalrats“ vor, der aus Vertretern von Lukaschenkos Regierung und der Zivilgesellschaft bestehen soll. Zudem müssten die Behörden alle inhaftierten Demonstranten freilassen und die „Gewalt gegen die Bürger“ einstellen.

Der slowenische Premierminister Janez Jansa sprach sich für eine Wiederholung der Präsidentenwahl aus. Das sei die „einzige friedliche Lösung“, betonte Jansa. Stimme Präsident Lukaschenko einer Neuwahl zu, könnte das die derzeitige Situation lösen, so Jansa. Bei einem erneuten Urnengang müsse aber auch die Präsenz unabhängiger, internationaler Wahlbeobachter verstärkt werden, forderte er.

EU will Beziehungen zu Weißrussland überprüfen

Falls sich Lukaschenko nicht auf den Plan einlasse, drohten seinem Land neue EU-Sanktionen, sagte Nauseda. Die EU kritisierte ebenso wie Österreich einen „unverhältnismäßigen und inakzeptablen Einsatz staatlicher Gewalt“. Die EU-Außenminister werden am Freitagnachmittag in einer informellen Videositzung über mögliche neue Sanktionen sprechen.

Brüssel kündigte indes an, die Beziehung zu Weißrussland gründlich zu überprüfen. „Das könnte unter anderem beinhalten, Maßnahmen gegen jene zu ergreifen, die verantwortlich für die beobachtete Gewalt, ungerechtfertigte Verhaftungen und die Fälschung der Wahlergebnisse sind“, sagte EU-Außenbeauftragter Josep Borrell im Namen der 27 Staaten. Allerdings hatte sein Sprecher zuvor bereits darauf verwiesen, dass für Sanktionsbeschlüsse die Zustimmung aller EU-Mitgliedsländer gebraucht wird.

Grafik zur Wahl in Weißrussland
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA; Fotos: AFP

Ungarn gilt dabei als möglicher Gegner von Sanktionen. Die Regierung in Budapest warnte am Donnerstag vor einer Ächtung der Regierung in Minsk. Die EU müsse ihre Entscheidungen auf Grundlage eines Dialogs fällen, sagte der ungarische Außenminister Peter Szijjarto. Die Entwicklung der Beziehungen zwischen der EU und der Regierung in Minsk dürfe nicht verbaut werden. Auch ein Rückschlag bei den Partnerschaftsprogrammen müsse vermieden werden.

UNO fordert Freilassung von Inhaftierten

Die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte verurteilte indes das gewalttätige Vorgehen der Behörden. Die hohe Anzahl der Festgenommenen – darunter auch Minderjährige – deute auf Massenfestnahmen hin, die die Vorgaben des internationalen Menschenrechts verletzten, erklärte Michelle Bachelet. „Noch verstörender sind die Berichte über Misshandlungen während und nach der Inhaftierung.“ Bachelet forderte die Freilassung aller unrechtmäßig Festgenommenen.

Oppositionskandidatin verließ Land

Lukaschenkos Herausforderin bei der Wahl, Swetlana Tichanowskaja, war am Dienstag nach Litauen ausgereist. Offenbar hatte man Druck auf sie ausgeübt. Ihre Mitstreiterin Veronika Zepkalo forderte den Westen auf, die 37-Jährige als Präsidentin anzuerkennen. „Ich appelliere an die Weltgemeinschaft: Bitte helfen Sie, den Wahnsinn in Weißrussland zu stoppen!“

Van der Bellen „zutiefst besorgt“

Bundespräsident Alexander Van der Bellen zeigte sich angesichts der Eskalation „zutiefst besorgt“. „Gewalt, willkürliche Verhaftungen und Repression der Behörden gegen friedliche Demonstrantinnen und Demonstranten sowie Medien sind inakzeptabel und aufs Schärfste zu verurteilen“, twitterte das Staatsoberhaupt am Donnerstag.

Internationale Menschenrechtsstandards müssten eingehalten bzw. hergestellt werden. Eine Lösung zum Wohle der Bevölkerung und des Staates Weißrussland könne nur auf friedlichem Weg und durch Dialog erfolgen, hielt Van der Bellen fest.

Kurz fordert „klare Reaktion“ der EU

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) forderte, ebenfalls via Twitter, eine „klare Reaktion“ der EU. Die Entwicklungen nach der Präsidentenwahl am Wochenende und das gewaltsame Vorgehen gegen Demonstranten verurteilte er „auf das Schärfste“. Die verhafteten Demonstranten müssten „umgehend“ freigelassen, die Todesfälle von Protestierenden „rasch und lückenlos“ von unabhängiger Seite aufgeklärt werden, so Kurz.

Auch die SPÖ-Parteivorsitzende und Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses, Pamela Rendi-Wagner, meldete sich zu Wort. Auch sie forderte die Freilassung der festgenommenen Demonstranten, ein entschlossenes Auftreten der EU und ein klares Signal, „dass kein Weg am Dialog zwischen Regierung und Opposition vorbeiführt. Es geht darum, eine weitere Eskalation zu vermeiden“. In ihrer Videokonferenz sollten die EU-Außenminister eine Neuauszählung der Stimmen unter Beobachtung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) einfordern, erklärte Rendi-Wagner.