Frauen protestieren in Weißrussland
APA/AFP/Sergei Gapon
Weißrussland

Frauen in Weiß gegen Lukaschenko

Mit Polizeigewalt will Weißrusslands Machthaber Alexander Lukaschenko die Proteste gegen ihn ersticken. Doch diese gehen weiter. Den Frauen, die auch am Donnerstag in weißer Kleidung und mit Blumen Menschenketten bildeten, schlossen sich wieder Tausende an.

Weiß ist die Farbe der Opposition. Bereits am Mittwoch hatten sich Hunderte weiß gekleidete Frauen in Minsk versammelt, um gegen das gewaltsame Vorgehen der Polizei bei den Protesten zu demonstrieren. Später schlossen sich Frauen in anderen Städten wie Orscha, Brest und Gomel an. Wie schon an den Vorabenden setzte die Polizei erneut Gummigeschoße, Schlagstöcke und Blendgranaten ein, um die Proteste aufzulösen.

Am Donnerstag kamen erneut Tausende Menschen im Stadtzentrum zusammen und bildeten Menschenketten, wie mehrere Medien berichteten. Vor allem Frauen, aber auch einige Männer, stellten sich zu Dutzenden oder sogar zu Hunderten an Straßen, U-Bahn-Stationen und vor Betrieben auf. Viele waren in Weiß gekleidet und hatten Blumen dabei. Auf Plakaten war etwa „Blumen statt Gewehrkugeln“ zu lesen. Die Demonstrantinnen und Demonstranten forderten Lukaschenko zum Rücktritt auf.

Frauen protestieren in Weißrussland
APA/AFP/Sergei Gapon
Frauen in weißer Kleidung treten auf dem Platz des Sieges in Minsk gegen staatliche Gewalt auf

Streiks in Staatsbetrieben

In vielen Staatsbetrieben traten am Donnerstag die Belegschaften in einen Streik. In der Hauptstadt Minsk und anderen Städten des Landes versammelten sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und forderten, dass die Oppositionkandidatin Swetlana Tichanowskaja als die wahre Siegerin der Präsidentschaftswahl vom Sonntag anerkannt wird.

Unklar war, wie sich die Lage in dem Land zwischen Russland und dem EU-Mitglied Polen weiter entwickelt. Ein Massenstreik in Unternehmen könnte dem wirtschaftlich angeschlagenen Land schwer schaden. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Automobilwerks BelAZ verlangten Berichten zufolge, dass die dort produzierten Fahrzeuge nicht an die Polizei geliefert werden sollten, die zuletzt brutal gegen Demonstrantinnen und Demonstranten vorging.

Menschen protestieren vor dem Automobilwek BelAZ
AP/Sergei Grits
Mitarbeiter des Automobilwerks BelAZ legen die Arbeit nieder

Tausend Demonstranten freigelassen

Nach Angaben des Innenministeriums waren allein am Mittwoch rund 700 Menschen bei den Protesten festgenommen worden. Damit ist die Zahl der Festnahmen seit Sonntagabend auf mindestens 6.700 gestiegen. Unterdessen seien aber „mehr als tausend Menschen freigelassen worden“, sagte Parlamentschefin Natalya Kotschanowa im Staatsfernsehen. Lukaschenko habe zudem eine Untersuchung angeordnet, um „allen Fällen von Inhaftierung auf den Grund zu gehen“.

Die Demonstrantinnen und Demonstranten seien unter der Auflage freigelassen worden, dass sie nicht mehr an „nicht genehmigten Demonstrationen teilnehmen“ dürften, sagte Kotschanowa weiter. Innenminister Juri Karajew entschuldigte sich zudem für die Polizeigewalt gegen „Passanten“, die nicht an den Protestaktionen beteiligt waren.

„Krieg gegen eigenes Volk“

Das Menschenrechtszentrum Wesna (Frühling) beklagte indes erneut „übermäßige Polizeigewalt“. Es seien Gummigeschoße und Blendgranaten auf friedliche Demonstrantinnen und Demonstranten abgefeuert worden. Die Uniformierten hätten in mehr als zehn Städten des Landes Proteste gewaltsam aufgelöst. Die Polizei in der Stadt Gomel bestätigte den Tod eines 25-Jährigen. Am Montag war bereits ein Demonstrant in Minsk zu Tode gekommen. Zur Zahl der insgesamt verletzten Demonstranten machte die Regierung keine Angaben. Wie die Polizei einräumte, hatte sie am Dienstag in Brest mit scharfer Munition auf Demonstrantinnen und Demonstranten geschossen.

Polizisten mit einem Schlagstockeinsatz
AP/Sergei Grits
Machthaber Lukaschenko lässt Demonstrierende niederschlagen

Die weißrussische Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch verurteilte die Polizeigewalt. Die Regierung habe „den Krieg gegen ihr eigenes Volk“ erklärt, sagte sie dem Sender Radio Liberty/Radio Free Europe. Das Vorgehen der Sicherheitskräfte nannte sie „unmenschlich“ und „satanisch“. Lukaschenko forderte Alexijewitsch zum Rücktritt auf: „Geh, bevor es zu spät ist, bevor Du Menschen in einen fürchterlichen Abgrund geworfen hast, den Abgrund des Bürgerkrieges.“

Gewalt gegen Journalisten

Der weißrussische Journalistenverband sprach von massiver Gewalt gegen Medienschaffende. Mehr als 60 Journalisten seien in den vergangenen Tagen festgenommen worden. Derweil kündigen immer mehr prominente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Staatsmedien aus Protest ihre Jobs. Darunter ist der prominente Moderator des Staatsfernsehens Jewgeni Perlin der angesichts der „Lügen“ und „Gewalt“ seinen gut bezahlten Posten hinwarf.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International forderte am Donnerstag die weißrussischen Behörden auf, die Angriffe auf Journalisten einzustellen. „Es ist erschreckend zu sehen, was die Regierung gewillt ist zu tun, um Informationen über die brutale Niederschlagung der Proteste zu unterdrücken – Reporter mit Schlagstöcken und Gummigeschoßen anzugreifen, ihre Ausrüstung zu zerstören und Dutzende ins Gefängnis zu werfen“, sagte Marie Struthers, Direktorin für Osteuropa und Zentralasien bei Amnesty International.

Internet- und Mobilfunkausfälle

Da das Internet von den Behörden immer wieder abgeschaltet wird, um die Kommunikation der Demonstrantinnen und Demonstranten zu behindern, organisieren diese sich etwa über den Instant-Messenger-Dienst Telegram. So erreichte der Telegram-Kanal Nexta live, wo Bilder und Videos von den Demonstrationen hochgeladen werden, in kürzester Zeit Hunderttausende Abonnenten.

Lukaschenko lässt hart gegen Demonstranten vorgehen

Auch vier Tage nach der Präsidentschaftswahl in Weißrussland gehen die Proteste weiter. Viele Weißrussen wollen den in ihren Augen gestohlenen Sieg des seit 26 Jahren regierenden Präsidenten Alexander Lukaschenko nicht hinnehmen.

Doch auch das Mobilfunknetz wurde von den Behörden zeitweise stillgelegt. Das bestätigte die A1 Telekom Austria, die in Weißrussland mit A1 Belarus und fünf Millionen Abonnenten die Nummer zwei auf dem Mobilfunkmarkt ist, gegenüber dem ORF. So sei das Mobilfunknetz am vergangenen Sonntag von den Behörden stillgelegt worden. Am Mittwoch sei der Zugriff von den staatlichen Behörden dann wiederhergestellt worden.

A1 bedauerte die Ausfälle. Diese seien „nachweislich außerhalb unseres Einflussbereichs“ gelegen, sagte Konzernsprecher Michael Höfler am Donnerstag. Die A1 Belarus Services seien vom Funktionieren der weißrussischen Infrastruktur abhängig. „Die Störungen der letzten Tage betrafen nicht nur A1 Belarus, sondern alle Internet Provider in Weißrussland gleichermaßen.“

EU-Außenminister beraten Sanktionen

EU-Parlamentspräsident David Sassoli äußerte sich am Donnerstag „zutiefst besorgt“ über die Gewalt gegen friedliche Demonstrantinnen und Demonstranten. Die Weißrussen hätten das Recht, gegen „die angefochtenen Ergebnisse der Wahlen und den intransparenten Wahlprozess“ zu protestieren. Bei einer Videokonferenz am Freitag wollen die EU-Außenminister über die mögliche Wiedereinführung von Sanktionen beraten.

Eine einheitliche Linie zeichnete sich dabei nicht ab. Nach Angaben von Diplomaten und EU-Vertretern befürworten neben Deutschland auch Litauen, Lettland, Schweden und Österreich eine harte Haltung gegen die Regierung Lukaschenko. Dagegen machte vor allem Ungarn seine Vorbehalte am Donnerstag deutlich und mahnte einen Dialog mit der Führung in Minsk an. Die Entscheidung über Sanktionen muss einstimmig fallen.

Bundesregierung verurteilt Härte der weißrussischen Polizei

Am Freitag werden die EU-Außenminister über die angespannte Situation in Weißrussland nach der umstrittenen Präsidentenwahl beraten.

ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg stellte in der ZIB1 vier Forderungen auf: ein Ende der Gewalt sowie die Freilassung „willkürlich festgenommener Demonstranten und Journalisten“. Außerdem forderte er, dass die „Internetblockade sofort aufhört“ und dass ein umfassender innerstaatlicher Dialog stattfinden müsse. „Und ich glaube, dass die EU gut daran tut, dass falls diese Schritte nicht gesetzt werden von weißrussischer Seite, dass wir durchaus auch gezielte Sanktionen in den Raum stellen.“

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) erklärte via Twitter: „Die Entwicklungen in #Belarus und das seit Tagen gewaltsame Vorgehen gegen Demonstranten verurteilen wir auf das Schärfste.“ Er fügte hinzu: „Es braucht eine klare Reaktion der EU." Auch die SPÖ-Chefin und Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses, Pamela Rendi-Wagner, forderte die Freilassung der festgenommenen Demonstrantinnen und Demonstranten, ein entschlossenes Auftreten der EU und ein klares Signal, „dass kein Weg am Dialog“ vorbeiführt.

Und auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen zeigte sich angesichts der Eskalation der Situation zutiefst besorgt. „Gewalt, willkürliche Verhaftungen und Repression der Behörden gegen friedliche Demonstrantinnen und Demonstranten sowie Medien sind inakzeptabel und aufs Schärfste zu verurteilen“, twitterte Van der Bellen.

Russland: Situation wird sich bald normalisieren

In Minsk und in vielen anderen Städten in Weißrussland gibt es seit Sonntag Proteste gegen den angeblichen Wahlsieg des seit 26 autoritär regierenden Lukaschenko bei der Präsidentschaftswahl. Dem amtlichen Wahlergebnis zufolge hatte er mehr als 80 Prozent der Stimmen geholt. Tichanowskaja, zu deren Wahlkampfauftritten Tausende Menschen gekommen waren, soll demnach nur auf rund zehn Prozent gekommen sein. Die Opposition spricht von massivem Wahlbetrug, Tichanowskaja ist mittlerweile nach Litauen geflohen.

Grafik zur Wahl in Weißrussland
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA; Fotos: AFP

Russland geht von einer baldigen Beruhigung der Lage aus. „Wir rechnen eigentlich damit, dass sich die Situation im Land bald wieder normalisiert und ruhig wird“, sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, in Moskau. Russland rufe alle zur Zurückhaltung und Besonnenheit auf. Bisher hat sich Moskau kaum zu den Ereignissen in der Ex-Sowjetrepublik geäußert. Weißrussland ist wirtschaftlich enorm abhängig vom Dauerverbündeten Russland. Sacharowa betonte, dass das Ausland die Proteste anheize.