Kultursommer 2020
Kultursommer 2020/Stadt Wien Marketing GmbH/Christoph Liebentritt
Ausblick in den Herbst

Großveranstaltungen unter neuen Vorzeichen

Das Donauinselfest aufgeteilt, Sportevents abgesagt, Uniaufnahmetests als Hochsicherheitsveranstaltungen: Die Viruspandemie bestimmt auch nach fünf Monaten weiterhin das soziale und gesellschaftliche Leben. Deutschland experimentiert mit Großkonzerten. In Österreich nimmt man künftig die Veranstalter in die Pflicht.

Am Freitag kamen in Wien, Graz, Innsbruck und Linz Tausende junge Menschen unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen zu den Aufnahmetests für das Medizinstudium. Das Gelände darf nur in einem zugewiesenen Zeitslot betreten und verlassen werden. Am Eingang wird kontaktlos Fieber gemessen. Abstandhalten, Händedesinfektion und Maske abseits des personalisierten Sitzplatzes sind Pflicht.

In Wien hält die MedUni den Test sogar an zwei Standorten ab, um Zugfahrten durch ganz Österreich zu minimieren. Der Einlass wird überwacht. In den Hallen weisen insgesamt 1.900 Markierungen darauf hin, Abstand zu halten. Eine optimierte Lüftung der Testhalle soll das Infektionsrisiko durch Aerosole senken. Bei Hunderten Mitwirkenden wurde ein PCR-Test gemacht.

Erste Großkonzerte in Deutschland

Insgesamt handelt es sich um das Zusammenkommen von 16.000 Menschen verteilt auf mehrere Standorte. Das erstellte Konzept dafür wurde minutiös geplant, um die Bildung von Clustern unter allen Umständen zu vermeiden. Zum Vergleich: Auf dem Konzert der Rolling Stones 2017 in Spielberg kamen 95.000 Menschen an einem Ort zusammen. Dabei stellt sich auch die Frage, wie man künftig mit Massenevents umgehen soll, zumal Sport und Kultur für den Herbst auf brauchbare Anweisungen pochen.

In Deutschland laufen derzeit die Planung für erste Großkonzerte auf Hochtouren. Solche Großveranstaltungen sind dort noch bis mindestens Ende Oktober untersagt, wenn Kontaktverfolgungen und die Einhaltung von Hygieneregeln nicht möglich sind. Die deutschen Bundesländer können aber Ausnahmen treffen. Erste Veranstalter peilen daher nun die Rückkehr von Konzerten an.

Aufnahmetest für das Medizinstudium
APA/Martin Hörmandinger
Aufnahmetest in der Uni Wien: Alles minutiös geplant

In Düsseldorf etwa startete jüngst der Vorverkauf für ein Großkonzert mit Bryan Adams und Sarah Connor. Bis zu 13.000 Zuschauer sollen dann am 4. September im Fußballstadion Platz finden. Auch die Berliner Waldbühne will an diesem Tag wieder für ein Konzert öffnen – wenn auch nur mit bis zu 5.000 Plätzen. Dazu ist ein politischer Streit entbrannt, ob das zulässig sei.

Experiment am Menschen

Forscherinnen und Forscher der Uniklinik Halle führen dazu ein Großexperiment am Menschen durch, das wohl in ganz Europa Beachtung finden wird. Dazu sollen am kommenden 22. August bis zu 4.000 freiwillige, gesunde Probanden und Probandinnen zu einem Konzert des Popsängers Tim Bendzko kommen. Die Konzertbesucher sollen dabei möglichst das tun, was sie auch sonst tun: Sich vor der Bühne drängen, auf die Toilette gehen, Getränke kaufen. „Wir wollen untersuchen, wie viele Kontakte die Teilnehmer untereinander während des Konzerts überhaupt haben – das ist nämlich noch unklar“, so Studienleiter Stefan Moritz.

Dafür planen die Forscher mit einem großen technischen Aufwand: Jeder Teilnehmer bekommt einen „Contact Tracer“ umgehängt, ein Gerät das ständig den Abstand zu anderen Personen misst. Zusammen mit Sensoren unter der Hallendecke lassen sich so Bewegungsdaten erheben.

Außerdem soll fluoreszierendes Desinfektionsmittel ausgegeben werden, um zu sehen, welche Flächen besonders oft angefasst wurden. Eine weitere Teilanalyse beschäftigt sich mit dem Flug von Aerosolen. Dazu haben die Wissenschaftler die Arena samt Raumlüftungssystem in einem Computermodell nachgebaut. Auch die An- und Abreise wird überwacht, auch die Straßenbahnen vor der Arena sind verkabelt. Alle erhobenen Daten sollen in ein mathematisches Modell fließen, mit dem das Risiko eines Ausbruchs nach einer Großveranstaltung in Hallen bewertet werden kann. Erste Ergebnisse werden im Herbst erwartet.

Sorge vor zweiter Welle

Während sich manche Forscher dafür aussprechen, dass die Gesellschaft lernen müsse, mit dem Virus zu leben, riet der Leipziger Epidemiologe Markus Scholz am Freitag von einer Rückkehr zu Großveranstaltungen ab. Eine zweite Welle zeichne sich deutlich ab. „Ich sehe daher aktuell keinerlei Spielraum für weitere Lockerungen – auch und gerade nicht für Großveranstaltungen“, sagt Scholz. Vielmehr habe die Absage dieser Events zu Pandemiebeginn geholfen, den exponentiellen Anstieg der Infiziertenzahl zu durchbrechen. „Diese Maßnahme sollte daher nur mit besonderer Vorsicht zurückgenommen werden“.

In Österreich gehörten Veranstaltungen mit Publikum zu einem der großen Öffnungsschritte. Seit 1. August sind Veranstaltungen für bis zu 200 Personen zulässig. Events mit zugewiesenen und gekennzeichneten Sitzplätzen in geschlossenen Räumen sind mit bis zu 500 Personen und im Freiluftbereich mit bis zu 750 Personen erlaubt. Ausnahmen muss die Bezirksverwaltungsbehörde abzuhalten gestatten, so wären ab September auch Veranstaltungen mit 5.000 Teilnehmern in geschlossenen Räumen und mit bis zu 10.000 Personen im draußen möglich – immer unter Einhaltung des Mindestabstands und dem Tragen einer Maske.

Veranstalter brauchen Konzept

Zudem soll das Covid-19-Gesetz über das Jahresende hinaus verlängert werden. Mit der dazugehörigen Novelle, die derzeit in Begutachtung ist, wird der Gesundheitsminister ausdrücklich ermächtigt vorzugeben, wie viele Menschen zu welcher Zeit Orte betreten dürfen. Und er kann Auflagen wie Abstandsregeln, Schutzmaßnahmen und Präventionskonzepte verfügen. Sie müssen schon jetzt für die für den Städtetourismus so wichtigen Messen vorgelegt werden, die Behörde kann diese Konzepte, die etwa die Schulung von Mitarbeitern beinhalten, stichprobenartig überprüfen.

Mit der Novelle werden die Konzepte künftig für alle Veranstaltungen – im Kultur- oder Sportbereich, aber auch von großen Feiern wie Hochzeiten etc. – vom Veranstalter gefordert. Um die Cluster-Erhebung zu verbessern, sollen Betriebe, Veranstalter und Vereine auch verpflichtet werden, Kontaktdaten von Gästen, Besuchern, Kunden und Mitarbeitern für 28 Tage aufzubewahren und den Gesundheitsbehörden im Anlassfall zur Verfügung zu stellen – wenn die Betroffenen der Datenverarbeitung ausdrücklich zugestimmt haben.

In den Erläuterungen wird zudem klargestellt, dass Betriebe, Veranstalter und Vereine einen Eintritt oder eine Dienstleistung nicht verweigern dürfen, wenn die Einwilligung zur Datenverarbeitung abgelehnt wird.

„Heiße Kartoffel“ Verantwortung

Der Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk kritisierte die Novelle, da seien „Konflikte vorprogrammiert“, sagte Funk zur APA. Man habe die „heiße Kartoffel“ zu den Betrieben verschoben, konstatierte Funk. Sie hätten damit die Verantwortung für eine mögliche Erhöhung der Ansteckungsgefahr, wenn sie Leute ohne Aufnahme der Kontaktdaten zu Veranstaltungen zulassen müssen – weil sie ihnen nicht den Zutritt verwehren können.

Mit dem Herbst beginnt laut Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) Phase vier im Kampf gegen die Pandemie, die sich ziehen wird, bis ein Impfstoff existiert. Bis dahin soll auch die „Corona-Ampel“ fertig sein, ein Warnsystem mit vier farblich gekennzeichneten Stufen. Je nach Warnstufe gelten dann auch für Veranstaltungen in Kultur und Sport bestimmte Vorgaben.

Veranstalter wollen planen können

Die Veranstalter wünschen sich – neben Finanzhilfen – klare Ansagen für mehr Planungssicherheit. Darauf machten vor einer Woche erneut Vertreter der Clubszene bei einer Demonstration in Wien aufmerksam. Auch die Sportorganisatoren wandten sich diesbezüglich an die Politik. Man sei bereit für den Neustart und dafür, Besucher zu empfangen.

Man brauche aber einen Schutzschirm, der im Fall einer Absage die bis dahin angefallenen Kosten von der Politik abdecke. Gerhard Stübe, Geschäftsführer des Festspiel- und Kongresshauses Bregenz und Präsident des Dachverbands der österreichischen Kongress- und Tagungsindustrie ACB, forderte eine Ausfallhaftung des Bundes. Demnächst werde man der Regierung einen Plan für das Wiederhochfahren und die Forderungen vorlegen, so Stübe in den „Vorarlberger Nachrichten“ („VN“).