Der Präsident von Weißrussland Alexander Lukaschenko
Reuters/Vasily Fedosenko
Weißrussland

Lukaschenko sucht Kontakt zu Putin

Nach tagelangen Massenprotesten gegen mutmaßliche Wahlfälschung in Weißrussland sucht Staatschef Alexander Lukaschenko nach eigenen Worten den Kontakt zum russischen Präsidenten Wladimir Putin – und Moskau habe Minsk „Hilfe“ zugesichert, um die „Sicherheit von Weißrussland zu gewährleisten“, so Lukaschenko. Die Demonstrationen seien nicht länger nur eine Bedrohung für die ehemalige Sowjetrepublik selbst.

Lukaschenko verwies auf ein bestehendes Verteidigungsbündnis mit Moskau: „Was die militärische Dimension angeht, haben wir ein Abkommen mit der russischen Föderation im Rahmen der Union“ zwischen Russland und Weißrussland. „Derartige Situationen fallen unter das Abkommen“, fügte er hinzu.

Mit der „Verteidigung“ von Weißrussland gehe das Land auch als Beispiel für andere voran. „Die meisten Leute, die auf die Straßen drängen, verstehen das nicht.“ Der seit 26 Jahren autoritär regierende Lukaschenko lässt Massenproteste gegen die von der Opposition vermutete Fälschung der Präsidentenwahl seit Tagen niederschlagen.

Lukaschenko telefonierte zu Mittag mit dem russischen Präsidenten. Beide Seiten hätten sich zuversichtlich gezeigt, dass die Probleme bald gelöst würden, teilte der Kreml in Moskau danach mit. Diese Probleme sollten nicht von „destruktiven Kräften“ ausgenutzt werden, um die Zusammenarbeit beider Länder zu beeinträchtigen, hieß es weiter. Weißrussland ist wirtschaftlich von Russland abhängig.

Putin drängt seit Längerem auf enge Verbindung

Putin drängt seit Längerem auf eine engere Verbindung Russlands mit Weißrussland in einem gemeinsamen Staat. Lukaschenko lehnte das bisher ab und warf Russland vor, sein Land mit 9,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern „schlucken“ zu wollen. Die Moskauer Regierung beobachtet die Entwicklung im Nachbarland auch deshalb genau, weil russische Erdölexporte durch Weißrussland in Richtung Westen fließen. Zudem betrachtet Russland Weißrussland als Puffer gegenüber der NATO und dem Westen.

Putin hatte Lukaschenko schriftlich zu seinem Wahlsieg gratuliert. Die Wahlkommission hatte Lukaschenko bei der Wahl am vergangenen Sonntag 80,1 Prozent der Stimmen zugesprochen. Viele Menschen in der Ex-Sowjetrepublik haben erhebliche Zweifel daran.

„Anleitungen für Revolution“

Lukaschenko warnte zugleich wegen der Proteste vor einem politischen Umsturz. „Wir lesen bereits die Anleitungen für eine farbige Revolution“, sagte der Präsident. Es gebe bereits „Elemente äußerer Einmischung“. „Wir sehen, was passiert. Wir dürfen uns nicht von den friedlichen Aktionen und Demonstrationen einlullen lassen“, sagte Lukaschenko.

Mit „farbigen Revolutionen“ meinte er die Umstürze in anderen ehemaligen Sowjetrepubliken wie der Ukraine. Lukaschenko hatte bereits am Freitag das Ausland für die Proteste verantwortlich gemacht. Er zählte dabei die Niederlande, Polen, Russland und die Ukraine auf. Am Samstag erklärte Lukaschenko noch einmal, jede ausländische Vermittlung anzulehnen. „Wir brauchen keine ausländischen Regierungen, keine Vermittler“, wurde der Staatschef zitiert.

Militär an westliche Landesgrenze verlegt

„Wir werden das Land an niemanden abgeben“, soll Lukaschenko weiter bei einem Treffen im Verteidigungsministerium gesagt haben. Seine Äußerungen waren eine Antwort an Lettland, Litauen und Polen, die am Mittwoch vorgeschlagen hatten, einen „Nationalrat“ zur Überwindung der politischen Krise im Land einzurichten.

Am Samstag riefen Lettland, Litauen sowie auch Estland Lukaschenko zu einer Neuwahl auf. Unter Beteiligung internationaler Beobachter sollte auf transparente Weise eine freie und faire Präsidentschaftswahl durchgeführt werden, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der Regierungschefs der drei EU-Länder im Nordosten Europas. Am Samstagabend kündigte Lukaschenko die Verlegung einer Einheit der Luftstreitkräfte an die westliche Landesgrenze an.

Proteste gegen die Resultate der Präsidentenwahl in Minsk (Weißrussland)
Reuters/Vasily Fedosenko
Seit der Wahl kam es täglich zu Protesten. Einige Soldaten solidarisierten sich mit den Demonstrierenden und senkten ihre Schilde.

Erneut Tausende bei Demos

Am Samstag versammelten sich in Minsk erneut Tausende Menschen, um gegen Gewalt und Willkür unter Lukaschenko zu demonstrieren. In den vergangenen Tagen legten auch immer mehr Beschäftigte in Staatsbetrieben ihre Arbeit nieder. Lukaschenko warnte am Samstag erneut vor den wirtschaftlichen Folgen von Streiks. Er wolle am Montag den staatlichen Lastwagenhersteller besuchen und dort mit Arbeitern sprechen, kündigte der 65-Jährige an.

Bei Protesten kam es in den vergangenen Tagen zu rund 7.000 Festnahmen, die Sicherheitskräfte gingen brutal gegen Demonstrantinnen und Demonstranten vor. 2.000 Gefangene wurden – auch auf Druck der EU – am Freitag wieder freigelassen. Sie berichteten von teils schweren Misshandlungen. Nach Angaben von Journalistenverbänden wurden seit dem Wahlsonntag auch etwa 70 Journalistinnen und Journalisten festgenommen.

Blumen und Schweigeminute für getöteten Demonstranten

Mit einer Schweigeminute erinnerten am Samstag Tausende Menschen in Minsk an einen Demonstranten, der bei den Protesten ums Leben gekommen war. Viele legten in der Hauptstadt Blumen nieder und entzündeten Kerzen, wie in Videos in Kanälen des Nachrichtendienstes Telegram zu sehen war. Einige knieten in der Nähe des Unglücksortes in der Nähe des Zentrums nieder und hielten inne.

Menschen legen in Minsk (Weißrussland) Blumen nieder für den bei Protesten getöteten Demonstranten
APA/AFP/Sergei Gapon
Zahlreiche Menschen legten am Samstag zum Gedenken an den getöteten Demonstranten Blumen nieder

Nach Darstellung der Behörden soll in der Hand des 34-Jährigen ein Sprengsatz explodiert sein, den er auf Sicherheitskräfte habe werfen wollen. Viele Menschen glauben dieser Version nicht. Ein Augenzeuge sagte dem Portal Tut.by, der Mann sei am Montag auf die Polizisten zugelaufen, es habe keine Explosion gegeben. Dem Vater des 34-Jährigen solle es auch nicht gestattet worden sein, seinen Sohn in der Leichenhalle ein letztes Mal zu sehen.

Im Zusammenhang mit den Protesten sind bisher zwei Menschen ums Leben gekommen. Die Polizei in der Stadt Gomel hatte am Mittwoch den Tod eines jungen Mannes bestätigt, der am Sonntag festgenommen worden war. Nach Aussagen der Mutter wollte der 25-Jährige, der eine Herzkrankheit gehabt habe, seine Freundin besuchen und war auf dem Weg dorthin in Polizeigewahrsam gekommen. Er kam dann in eine Klinik, wo er starb.

Bericht: Minsk offen für Gespräche mit EU

Einem Medienbericht zufolge zeigte sich Weißrussland unterdessen offen für Gespräche mit der EU. Die Regierung in Minsk sei unter allen Umständen zu einem Dialog mit der EU bereit, erklärte das Außenministerium am Samstag laut der russischen Nachrichtenagentur RIA. Details wurden nicht bekannt.

EU ebnet Weg für neue Sanktionen

Die EU hatte wegen der Polizeigewalt in Weißrussland zuvor neue Sanktionen gegen Unterstützer Lukaschenkos auf den Weg gebracht. Zudem soll es Strafmaßnahmen gegen Personen geben, die für eine Fälschung der Präsidentenwahl verantwortlich gemacht werden.

Dabei soll es um Einreisesperren und die Beschlagnahme von Konten geben. Zudem wolle die EU einen Fonds einrichten, der die weißrussische Zivilgesellschaft unterstützen soll, hieß es nach Angaben von Diplomatinnen und Diplomaten. Der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) soll nun eine Liste mit Personen zusammenstellen, gegen die sich die Sanktionen richten.

Das außerplanmäßige virtuelle Treffen der 27 EU-Außenministerinnen und -minister war angesichts der Entwicklungen nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl kurzfristig anberaumt worden. Dabei zeigten sich die EU-27 „extrem besorgt über die Gewalteskalation nach den Präsidentenwahlen“, wie das österreichische Außenministerium erklärte. „Es wurde vereinbart, mit der Vorbereitung gezielter Sanktionen gegen die für die Wahlfälschungen und Gewalt gegen friedliche Demonstranten verantwortlichen Personen zu beginnen.“

Opposition: Neue Sanktionen kommen zu früh

Die Opposition in Weißrussland sieht unterdessen die neuen Sanktionen der EU skeptisch. Die Zeit sei noch nicht reif dafür, sagte Maria Kolesnikowa vom Wahlkampfstab der geflohenen Oppositionellen Swetlana Tichanowskaja der deutschen Zeitung „Welt am Sonntag“.„Wirtschaftssanktionen würden sowieso vor allem die einfachen Menschen in Belarus treffen, das hat die Vergangenheit gezeigt.“ Tichanowskaja beansprucht den Wahlsieg für sich und rief zu friedlichen Demonstrationen auf.

Swetlana Tichanowskaja
AP/Sergei Grits
Tichanowskaja hält die neuen Sanktionen der EU für verfrüht

Auch Strafmaßnahmen gegen einzelne Personen hält die 38-Jährige im Moment für nicht sinnvoll. Ihrer Ansicht nach werden Sanktionen gegen bestimmte Politiker und Regierungsvertreter die Chancen der EU, aber auch die der Opposition in Weißrussland auf einen Dialog mit den Behörden verschlechtern. „Wir suchen schon seit Tagen einen effektiven Dialog mit der Regierung, aber wir haben noch keine Antwort erhalten“, sagte sie.

Die EU hatte zuletzt im Februar 2016 ungeachtet der Kritik von Menschenrechtsorganisationen zahlreiche Sanktionen gegen den Machtapparat von Lukaschenko auslaufen lassen. Lediglich ein bestehendes Waffenembargo sowie Strafmaßnahmen gegen vier Weißrussen, die am Verschwinden von Regimegegnern beteiligt gewesen sein sollen, wurden zuletzt noch aufrechterhalten.