„Jedermann Reloaded“ mit Phillip Hochmair und und der Band Elektrohand Gottes
Stephan Brückler
„Jedermann Reloaded“

Dem Himmel ganz nah

Zur Sommerfrische in Badgastein gehört seit zehn Jahren das von der internationalen Kunstszene frequentierte Festival Sommer Frische Kunst. Im Pandemiejahr musste fast das ganze Programm verschoben werden. Als einsamer Höhepunkt spielte Philipp Hochmair am Samstagabend seine Theaterperformance „Jedermann Reloaded“ auf 1.600 Meter Seehöhe vor der Kulisse der Hohen Tauern. Der allegorische Text geriet dabei ebenso modern wie sinnfällig.

Eigentlich hatte Andrea von Goetz und Schwanenfliess, Kuratorin des Sommer Frische Kunst Festivals, für die diesjährige Ausgabe große Pläne. Das allermeiste davon kann voraussichtlich erst nächsten Sommer realisiert werden. Das Sommerkulturprogramm hatte in den vergangen Jahren unter der Leitung von Goetz schon gewichtige Gäste in den alpinen Kurort gebracht: Der Anarchokunstdiktator Jonathan Meese war hier ebenso schon sommerlicher Artist in Residence wie Gerwald Rockenschaub.

Das einsame Highlight im diesjährigen Badgasteiner Kultursommer war die Aufführung von Hochmairs erfolgreicher Theaterperformance „Jedermann Reloaded“, mit der er seit 2013 tourt. Seitdem Hochmair bei den Salzburger Festspielen 2018 kurzfristig für den erkrankten Tobias Moretti einsprang und fast ohne Vorbereitungszeit einen energetischen und überzeugenden Jedermann auf dem Domplatz gab, ist der Blick auf seine monologische Interpretation von Hugo von Hofmannsthals Nationalstück noch einmal geschärft worden: Ist das der zeitgemäße, moderne Jedermann?

Philipp Hochmair
Stephan Brückler
Phillip Hochmair, Jahrgang 1973, war unter anderem Ensemblemitglied des Burgtheaters. Er ist regelmäßig in Filmproduktionen zu sehen. 2018 überraschte er Publikum und Kritik, als er bei den Salzburger Festspielen kurzfristig für den erkrankten Moretti einsprang. Mit seinem „Jedermann Reloaded“ tourt er seit 2013.

Vergänglichkeit in Pandemiezeiten

Begonnen hat alles als fixe Idee, erzählte Hochmair ORF.at: „Ich wollte den Jedermann als Monolog spielen“, sagte er, „das war die Kernidee.“ Die dramatische Form hat sich dann in Zusammenarbeit mit seiner Band Die Elektrohand Gottes gefunden. Hochmair performt alle Sprechrollen des Textes, wechselt etwa blitzschnell vom reichen Egomanen Jedermann zum armen Nachbarn, der Jedermann auf den Knien um Unterstützung bittet. Die altertümelnde Kunstsprache Hofmannthals bleibt unangetastet, wird aber durch Wiederholungen und elektronische Stimmeffekte gebrochen.

Die Performance hat schon im Wiener Burgtheater und Hamburger Thalia Theater gastiert. 2018, nach Hochmairs Erfolg bei den Salzburger Festspielen, folgte eine Platteneinspielung, und Hochmair führte seinen „Jedermann Reloaded“ im Stephansdom auf, rund 150 Vorstellungen hat er von seiner Interpretation des „reichen Mannes“ gespielt.

Die Form des Stückes hat sich nicht verändert, sehr wohl aber die Wirkung. „Es wird über die zeitbedingten Umstände anders aufgeladen“, so Hochmair. „Im Lockdown sind so viele Menschen mit ihrer Wertigkeit und ihrem Glauben zurückgeworfen worden, das zieht jetzt in den Köpfen sicher vorüber, wenn man meine Aufführungen sieht.“

Zwischen Kuhglocke und den Hohen Tauern

Die Frage nach der eigenen Vergänglichkeit ist in den letzten Monaten zweifellos vielen Menschen ins Bewusstsein gerückt. Aber auch die Kulisse hat einen Einfluss auf die Wirkung des Stücks. Auf dem Platz der Talstation des Skigebiets Nassfeld/Spotgastein, rechts im Hintergrund die Salzburger Seite des Mölltaler Gletschers, neben dem Publikum die zutraulichen Walliser Schwarznasenschafe des Alpengasthofs, untermalt von den Glocken der grasenden Kühe, und gefühlt wenige Meter bis zum Himmel – das alles akzentuiert die sinnlose Eitelkeit von Hochmairs „Jedermann“.

Während sakrale Kulissen wie der Salzburger Domplatz und der Stephansdom Jedermanns in letzter Minute erfolgende Hinwendung zum Glauben herausstreichen, war es in dieser Naturkulisse eine andere Bedeutungsebene, die beim Publikum hängen blieb: die Lächerlichkeit von menschlicher Selbstüberhöhung, sei es durch Selbstinszenierung, sei es durch zur Schau gestellte Reichtum.

Phillipp Hochmair in „Jedermann Reloaded“
Stephan Brückler
Jedermanns scheiternde Selbstbezogenheit wurde von Hochmair überzeugend dargestellt

Spielen mit der Szenerie

Hochmair verstand es geschickt mit der Kulisse zu interagieren. Sein Jedermann, irgendwo zwischen Guerillero und Rockstar angesiedelt, arbeitete mal mit feiner Klinge, mal brachial den Mensch-Natur-Bezug heraus. Besonders die Passagen zum Lustgarten, den Jedermann für seine Buhlschaft kauft, fielen diesbezüglich auf.

Die Aufforderung an seinen Knecht, er solle mit dem Geldsack den Lustgarten bezahlen gehen, wiederholte Hochmair oft und teilweise in präpotent und aggressiv gepresstem Wienerisch: „Hearst, Du sollst an Garten kaufen!“ Wenige Minuten später machte er aber klar, wie wenig weit es mit der Naturbeherrschung durch Kapital her ist. Wo man bei Hofmannsthal liest „Das bau ich recht nach meinem Sinn / als einen offenen Altan / mit schönen steinernen Säulen daran“, rief Hochmair „mit steinernen Bergen daran“ und blickte in die Höhe in Richtung des Gebirgsmassivs im Hintergrund.

Phillipp Hochmair und Band nach der Theater-Performance „Jedermann Reloaded“
Stephan Brückler
Hochmair mit seiner Band Die Elektrohand Gottes

Bei der Festszene, in der Jedermann vom Tod gerufen wird, rannte Hochmair durch die weit auseinanderliegenden Publikumsreihen und forderte sie auf, mit ihm „Land der Berge“ zu intonieren. Ein Übriges tat der experimentelle Sound der Elektrohand Gottes, die in dem Bergkessel Sportgasteins sehr druckvoll daherkam. „100 Jahre Jedermann“ brüllte Hochmair an einer Stelle mit Schalk, bevor die Band samt Theremin und Hackbrett Elektrosounds in die nächtliche Szenerie schallte.

Moderner „Jedermann“

Das konnte man natürlich als neckische Botschaft in Richtung der rund 100 Kilometer weiter nördlich stattfindenden Salzburger Festspiele verstehen, die gerade ihr Jubiläum begehen. Doch egal ob man den „Jedermann“ mit „Jedermann Reloaded“ modern oder mit den Salzburger Festspielen eher heilsgeschichtlich verstehen will, der Kern des Dramas bleibt für Hochmair immer derselbe. Die Fantasie, die der „Jedermann“ in Szene setzt, sei „ein gelungener Abschied“, so der Schauspieler gegenüber ORF.at.

Was Hochmair machen würde, wenn er so wie Jedermann nur noch eine Stunde zu leben hätte? „Wenn man mich fragen würde, was ich in meiner letzten Lebensstunde machen wollen würde, würde ich mit der Band hier spielen“, meinte er dazu. Bei aller Freude, Energie und Witz, den er in seinen vielstimmigen Jedermann-Monolog legt, glaubt man ihm das.